Eine Gesellschaft zerrissen zwischen den Extremen – was klingt wie eine Beschreibung des Jahres 2023, lässt sich auch schon in Karol Szymanowskis vor rund 100 Jahren uraufgeführten Oper Król Roger finden. In seiner Inszenierung am Staatstheater Cottbus, die in der vergangenen Saison Premiere feierte, verlegt der deutsch-japanische Regisseur Tomo Sugao die Geschichte des Königs Roger, seiner Frau Roxane und dem Hirten in eine moderne Welt, ohne die Realität abzubilden. Dabei legt der Regisseur den Fokus mehr auf die Menge, denn den Einzelnen. Grenzloser Konsum oder manische Naturverehrung – das ist hier die Frage.

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Król Roger
© Marlies Kross

Prall gefüllte Shoppingtüten mit Roger-Logo und luxuriöse, reich bestickte Gewänder füllen die Bühne zu Beginn des Stückes. Unwirklich denkt man die Vergangenheit der Lausitzstadt als Tuchmetropole. Das goldene Kalb, um das die Menschen (nicht nur) sprichwörtlich tanzen, ist der Konsum. Verkörpert von König Roger und seinem Gelehrten Edrisi, einer lebendig gewordenen goldenen Statue, verehrt durch die Menge, besonders wenn der Gottessegen zum Geldregen führt. Kein despotischer Herrscher, sondern ein einkaufsfördernder Landesherr ist dieser Roger. Doch die farbrauschend-glitzernde Welt des Konsums wird je durchbrochen, als der Hirte – in weißen Leinen gekleidet optisch zwischen langhaarigem Jesuslatschenträger und Hare Krishna-Guru – und seine in Trance tanzenden Anhänger*innen in das Reich eintreten. Ihr Eintreffen wird schon bald zu einer Studie über Leichtgläubigkeit und Verführbarkeit der Menschen.

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Nils Stäfe (Król Roger II) und Alexey Sayapin (Edrisi)
© Marlies Kross

Stimmgewaltig angeführt wird das Ensemble des Abends dabei von Nils Stäfe als Roger II. Mit flexiblem Bariton schafft er einen majestätisch-gesetzten Herrscher, verzweifelt und zerrissen zwischen dem Alten und dem Neuen. Hell-klangvoll und leichtfüßig-jugendlich klingt Uwe Stickert als der Hirte. Ketevan Chuntishvili als Roxane mit dunkel-funkelndem Timbre und Alexey Sayapin als eloquenter Edrisi komplettieren den Abend. Einen besonderen Eindruck hinterlässt auch der Opernchor des Staatstheaters mitsamt dem Kinder- und Jugendchor, der in dieser Oper nicht nur Beiwerk, sondern treibende Kraft ist.

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Uwe Stickert (Hirte), Nils Stäfe (Król Roger II) und Alexey Sayapin (Edrisi)
© Marlies Kross

Generalmusikdirektor Alexander Merzyn lässt währenddessen Szymanowskis Partitur mal leuchtend, mal gleißend fließen  und zeigt so die Sogwirkung einer Oper ohne Längen. Musikalisch schwankt Szymanowski in seinem Opus magnum aus dem Jahre 1927 zwischen archaisch-christlicher Tonsprache und orientalen Klängen. Wohlklingend und fein dosiert aber immer die Handlung vorantreibend weiß Merzyn diese Vielfalt auszukosten.

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Ketevan Chuntishvili (Roxana)
© Marlies Kross

Auch Regisseur Sugao spielt hin und wieder mit christlichen Symboliken und erinnert so an den mittelalterlichen Ursprung der Geschichte des König Roger. So wird das goldene Kalb des Konsums durch ein grünes Bäumchen ersetzt, das alsbald Früchte trägt. Verführt vom charismatischen Hirten, probieren die Menschen den Apfel – erkennen vermeintlich und wechseln die Seiten. Naturverehrung statt Konsumwahn ist die neue Maxime. Was zunächst nach Freiheit und die Umkehr zum Guten klingt, erweist sich aber schon bald als ebenso starre Ideologie. Ein Kult, der lieber in seinen eigenen Traditionen schwelgt und die Menschen gleich macht, als zur Erkenntnis zu führen. Wie betäubt liegen sie alle da, als der König zu seine Apotheose kommt. War schon im Konsum nicht alles Gold was glänzte, deutet sich auch der neue Kult als leere Versprechung an. So bleiben am Ende mehr Fragen als Antworten, auf eine gute Art und Weise.

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