Tolles Bühnenbild mit Hutschachtel, exzellentes Ensemble auf der Suche nach einem Hut: Nino Rotas Oper ist in Graz gut aufgehoben.

Foto: Werner Kmetitsch

Da haben sich doch eine Dame und ihr Liebhaber im Gebüsch vergnügt, während sein Pferd den Strohhut der Dame gefressen habe, das erzählt der junge Mann atemlos kichernd seinem Onkel. Wohl habe das Paar Schadenersatz gefordert, aber er hatte keine Zeit für solchen Blödsinn. Schließlich ist heute sein Hochzeitstag. Noch während der junge Fadinard dies schildert, stehen die Dame ohne Hut und ihr Offizier auf der Matte und machen Skandal, während die Hochzeitsgesellschaft samt Braut und Schwiegervater eintrifft.

Nino Rotas Oper Der Florentiner Hut basiert auf einer Vaudeville-Komödie von Eugène Labiche und ist turbulent. Im Libretto blieb viel von der sprachlichen Qualität und dramaturgischen Rasanz des originalen Theatertextes erhalten. Die Musik Rotas geht dazu d’accord mit jeder Pointe, jeder zufallenden Tür, jedem über die Ohren gezogenen Hut, mit jedem Aufseufzer, wenn die Liebe brennt oder weil das Wasser im Fußbad zu heiß ist.

Daniele Squeo am Pult der Grazer Philharmoniker verleiht den mit der Partitur "aufgelegten" Effekten lebendigste Wirkung, und ja: Regisseur Bernd Mottl lässt seine Puppen mit stupendem Gespür für ebendiese Wirkung tanzen, jede Geste, jeder Augenaufschlag oder Boxhieb ist "in tune" mit der frechen Musik.

Zitatenwerk

Ein Gutteil der Komik basiert auf Nino Rotas unverschämt wirkungsvollen An-Spielereien auf Verdi, Rossini, Puccini oder Bizet. Dass immer wieder schräge Töne dem Spaß in die Parade fahren, und man auch mal Schostakowitsch zu hören vermeint, verhindert simple Aneinanderreihung von Zitatenwerk. Jede Figur der wilden Hut-Jagd ist zugleich ein Prototyp der Operngeschichte, welchem Sängerinnen und Sänger stimmlich und darstellerisch mit Wendigkeit, Spiellust und Virtuosität Lebendigkeit verleihen.

Piotr Buszewski gibt mit dem tenoralen Schmelz eines klassischen Spieltenors den charmanten (wenn auch sehr nervösen) Fadinard. Tetiana Miyus trägt als dessen Braut Elena die Partie der großen treuen Liebenden. Ihr Vater, der bäuerliche Nonancourt, wird von Daeho Kim als Buffo-Bass mit viel Selbstironie und feiner Tiefe im Timbre gespielt. Anna Brull spielt sich einfach großartig auf als kulturaffine Baronin de Champigny. Andżelika Wiśniewska und Dariusz Perczak sind charmant als "ehebrecherisches" Paar Anaide/Emilio. Dem betrogenen Gatten Beaupertuis gibt Ivan Oreščanin tragische Größe.

Die Dame und ihr Gatte

Ein Hut gehört in eine Hutschachtel. Und aus überdimensionalen Hutschachteln, feinste Papeterieware in jugendstilartigem Schwarz-Weiß-Dekor, schuf Friedrich Eggert das Bühnenbild. Große, kleine, behäbige Schachteln (auch eine schlanke für das Wächterhäuschen in den Straßen von Paris) lassen sich öffnen und offenbaren bei aller Einheitlichkeit höchst verschiedene Locations. Ein Meisterwerk, dieses Bühnenbild.

Also der Hut wurde gefressen. Der gleiche Hut muss, egal wie und woher, aufgetrieben werden, weil ohne diesen sich die Dame nicht zum eifersüchtigen Gatten heimtrauen kann. Der junge Fadinard schafft es gerade noch aufs Standesamt. Und geht dann, die bäuerliche Hochzeitsgesellschaft im Schlepptau, auf Hutjagd bis Paris. Dort verweist eine Modistin auf eine Baronin (ein Musterstück Stroh hat das Pferd ja übriggelassen).

Ohne Orientierung

Die Baronin de Champigny aber hat den cappello di paglia ihrer Patentochter geschenkt. In deren Haus wartet – ja genau – der betrogene Ehemann der Dame ohne Hut. Und in deren Schlafgemach richtet die Hochzeitsgesellschaft, längst bar jeglicher Orientierung, der müden Braut das Brautbett ...

Dabei hätte man sich all das sparen können, hätte jemand in die große runde Schachtel geschaut, die Onkel Vezinet (Martin Fournier hat nicht viel zu singen) ganz am Anfang dahergebracht hat. Zum Glück hat keiner hineingeschaut, sonst wäre die Oper ausgefallen. Wäre schade gewesen! (Heidemarie Klabacher, 16.5.2023)