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„Arabella“ in Berlin: In Freiheit lieben

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Auf dem Weg zum guten Ausgang in der Gegenwart: In der Mitte kosen Matteo und Zdenka, rechts Arabella in farbiger Jacke.
Auf dem Weg zum guten Ausgang in der Gegenwart: In der Mitte kosen Matteo und Zdenka, rechts Arabella in farbiger Jacke. © Thomas Aurin

Außerdem bekommen Männer Drehverschlüsse auf. Tobias Kratzer baut seine „Arabella“ auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin.

Die hinreißende Oper „Arabella“, letzte Zusammenarbeit des Traumpaares Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal (der vor Fertigstellung der Partitur starb), braucht keine besondere Hilfestellung, um vom Publikum angenommen zu werden. Es steht ihr aber, wenn eine Inszenierung nicht zu naiv mit den Umständen innerhalb und außerhalb des Werkes umgeht. Die Uraufführung im Juli 1933 an der Semperoper war bereits eine Naziveranstaltung, der Dresdner Generalmusikdirektor Fritz Busch, dem Strauss die Oper gewidmet hatte, war als „Judenfreund“ aus dem Amt gedrängt worden und hatte sich im Mai zur Emigration entschlossen. Durch den Abend werden zwischendurch drei Nazis marodieren wie ein böser Spuk. Die Liebe wird siegen, aber nicht im luftleeren Raum.

Die Deutsche Oper Berlin hat mit dem Regisseur und künftigen Intendanten der Hamburgischen Staatsoper, Tobias Kratzer, direkt einen Strauss-Zyklus in drei Teilen verabredet. „Intermezzo“ und „Die Frau ohne Schatten“ sollen folgen, insgesamt drei unterschiedlich komplexe und temperierte Beziehungskisten. Das von der Wirkung her leichtgängigste Werk macht den Auftakt und hier wiederum ein kompliziert gedachter erster Akt. Aber es dürfte sich herumgesprochen haben, dass sich eine Tobias-Kratzer-Inszenierung erst vom Ende her beurteilen lässt. Zusammen mit Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüme, Letztere mit Clara Luise Hertel) und Manuel Braun sowie Jonas Dahl (Video) plant er zunächst ein Split-Screen-Verfahren. Auf der zweigeteilten Bühne perfektionistische Hotel-Interieurs um 1860, Seide, Taft, Samt, unbequeme Damengarderoben. Dazu aber auch drei Kameraleute, deren Detailaufnahmen gelegentlich auf einer Hälfte der Bühne erscheinen, vor die dann eine Leinwand heruntergelassen worden ist. Manchmal hört man es dahinter rumpeln und pumpeln, weil ein Interieur verschoben wird.

Gespielt wird auch mit einem „Als ob“, der strahlende Naturalismus ist ein Bühnenkunstnaturalismus, ansehnlich, aber auch konventionell bis ins Abgeschmackte. Es ist bedauerlich, wenn Arabella und ihre Schwester Zdenka in dieser Atmosphäre das Duett der Duette singen („Aber der Richtige, wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt ...“), das Titelheldin Sara Jakubiak und Elena Tsallagova völlig gelingt. Donald Runnicles dirigiert das überdurchschnittlich zügig, die Süße verliert ihren elegischen Anteil, aber es gewinnt einen immens jugendlichen Charme. Zumal, wie wir alle wissen, der Richtige bereits vor der Türe steht.

Jakubiak überwältigt mit ihrem makellosen, fast etwas schweren Sopran umso mehr, als sie erst vor ein paar Tagen für die erkrankte Gabriela Scherer in die Produktion sprang. Tsallagovas silbrige, kristallreine Stimme bildet einen eindrucksvollen Kontrast dazu. Auch ihrer Darstellung als Mädchen in Knabenverkleidung und mit feinem Oberlippenbärtchen fliegen die Herzen zu.

Das Ungemütliche, nein, Unerträgliche der Korsetts, das merkwürdig Erniedrigende von Kleidern, die aus Frauen Schiffsfregatten machen – das Wort aufgetakelt kommt hier zu seinem Ursprung zurück – , wird zusammen mit dem „Authentischen“ serviert. Die Videos betonen das Künstliche, das „Gemachte“, allerdings doppeln sie damit ins Vordergründige, was das Spiel viel subtiler zeigen kann. Nicht zu reden von den Sichtbehinderungen durch die geteilte Bühne.

Die nach der ersten Pause in die Breite gegangen ist (zwei Pausen geben Gelegenheit, die Akteinteilung einmal wieder in Reinform wahrzunehmen): ein getäfelter Flur mit Türen, dahinter tobt der Ball. Eine routinierte Operetten- und Komödien-Bühne, auf der Kratzer aber die erste Begegnung von Arabella und Mandryka innig und geruhsam in Szene setzt. Dieser Abend, sollten da noch Zweifel gewesen sein, steht auf der Seite der Liebe. Russell Braun wurde als indisponiert angesagt und sang verhalten, aber stabil. Sein Mandryka hat nichts von dem Statuarischen, das ihm oft, vielleicht aus einer gewissen inszenatorischen Verlegenheit heraus, anhaftet. Bei Braun und Kratzer ist er ein lebhafter Mann, den drei rüpelige Getreue begleiten, mit denen er sich gut versteht. Seine Liebe zu Arabella ist: absolut, unzweifelhaft.

Die Liebe an sich, kaum ist sie bekannt, ist außerdem eine rasante Beschleunigerin. Wenn jetzt jemand reinkommt, ist wieder mindestens ein Jahrzehnt vergangen. Auch die Nazitruppe jagt durch, bevor Haar- und Brillenmode klar machen, dass die fünfziger Jahre erreicht sind. Vor allem die Damengarderoben und die Tänze (Choreografie Jeroen Verbruggen) ändern sich. Arabella bleibt der Farbe Lila treu.

Kratzer und Sellmaier arbeiten gerne mit Zeitmaschinen. Dass die Liebe eine ist, kann einem trotzdem wieder gefallen. Zumal der dritte Akt erneut zweiteilig verläuft, aber diesmal nicht räumlich, sondern temporär. Filmbilder zeigen jetzt, wie es hätte weitergehen können, hätten sich die Zeiten nicht geändert. Sie merken, dass auch das kompliziert gedacht ist, denn tatsächlich wendet sich in „Arabella“ ohnedies alles zum Guten. Und im Falle der Titelheldin ist der Wandel der Zeiten lediglich eine Garderobenfrage. Sie ist, die sie ist. Niemals würde sich Arabella zwingen lassen. Matteo, der gut fundierte Tenor Robert Watson, und Zdenka sind im Film jedenfalls in der Liebesnacht der Liebesnächte zu erleben, Matteo und Mandryka aber im Duell. Wohingegen sich die vier Liebenden in einer frohen, der individuellen Entfaltung zugewandten Gegenwart in Freiheit begegnen.

Wunderschön in dieser Freiheit: die Wasserglas-Szene, der alle chauvinistischen Reste ausgetrieben sind. Mandryka öffnet für Arabella das Plastikfläschchen, die beiden spritzen sich nass, sympathische Vorwegnahme eines friedlichen Ehelebens. Dass man sich immer schon gefragt hat, wie Arabella in der Walachei an der Seite eines Bärenjägers ihr Glück finden soll, erübrigt sich hier. Die beiden haben zweifellos anderes vor. Ironiefreies, aber gutgelauntes Liebesglück ist möglich.

Runnicles und das Orchester helfen dabei, diesen kopflastigen, klug konstruierten, aber doch konstruierten Abend mit Sinnlichkeit zu überziehen und mit Tiefe zu durchpflügen. Das spielfreudige, auch in den Nebenrollen vorzüglich besetzte Ensemble – darunter Albert Pesendorfer als Haudegen von einem Vater oder Hye-Young Moon als brillant ausflippende Fiakermilli – wird von der Musik nicht bedrängt, sondern unterstützt. Der Jubel überwog ein paar Buhs für die Regie bei weitem.

Deutsche Oper Berlin: 23., 26., 30. März, 1. April. www.deutscheoperberlin.de

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