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Szene aus „Francesca da Rimini“

© Xiomara Bender

Tiroler Festspiele Erl: Schwere Herzen

Die Tiroler Festspiele Erl bieten als Entdeckung Saverio Mercadantes „Francesca da Rimini“ und zeigen außerdem Donizettis „Don Pasquale“.

Erst durch gemeinsame Lektüre - der Legende von „Lancelot und der ehebrecherischen Guinivere“ - kommen die Liebenden sich ganz nahe: So wie dieses Paar aus der Artussage wollen auch wir sein, beteuern Francesca und Paolo. Saverio Mercadantes Oper „Francesca di Rimini“ ist eine handlungsarme, sehr langatmige und dennoch nie ermüdende Dreiecksgeschichte, voll tiefer innerer Spannungen. Lanciotto, Francesca Ehemann und Paolos Bruder, ahnt immer mehr, warum ihm seine Gattin keine Liebe gewährt und hält seine Eifersucht schließlich nicht mehr aus. 

Dieses „Dramma per musica“ Saverio Mercadantes hat es zu Lebzeiten des Komponisten nie zu einer Auführung gebracht, geplante Produktionen 1830 bzw. 1831 in Madrid und an der Mailänder Scala scheiterten an Sängerstreitigkeiten und Honorarforderungen - so dass die Oper erst fast zweihundert Jahre später, 2016 bei den Festspielen in Martina Franca, in unmittelbarer Nähe des süditalienischen Geburtsortes Mercadantes, unter Fabio Luisi uraufgeführt wurde.

Anspielung auf Caspar David Friedrich: Szene aus „Francesca da Rimini“ (Bühnenbild Johannes Leiacker)
Anspielung auf Caspar David Friedrich: Szene aus „Francesca da Rimini“ (Bühnenbild Johannes Leiacker)

© Xiomara Bender

Die neue Produktion bei den Tiroler Festspielen in Erl könnte durchaus eine späte nachträgliche Eingliederung des so lange verschütteten Werkes ins Opernrepetoire befördern. Hans Walter Richters Inszenierung setzt bei Mercadante nicht auf die äußere Handlung, sondern vor allem auf das Innenleben der Figuren, ihre widersprüchlichen, ambivalenten Gefühle, die sich auch in Spiegelungen, die zwei Tänzer und eine Tänzerin verkörpern, zeigen.

Zwischen Belcanto und Verdi

Weiße Wände, die sich auch für den Blick auf die Ruine einer gotischen, Caspar David Friedrich zitierenden Kirche öffnen, umgrenzen einen psychischen Innenraum; darin Stühle, Bücher, vor allem ein Bett. (Bühne Johannes Leiacker) Die Probleme der Dreiecksbeziehung kommentiert dabei immer wieder ein Chor in unterschiedlichen Konstellationen.

Neu zu entdecken ist aber vor allem Mercadantes Komposition, gerade in ihrer Zwischenstellung, gleichzeitig noch dem Belcanto etwa Giacchino Rossinis verbunden, aber auch schon die expressiven Ausbrüche Giuseppe Verdis vorwegnehmend. Die drei Protagonisten beeindrucken dabei sängerisch und darstellerisch: Mit Melancholie, Liebesbedürfnis, dann wieder Rachegefühlen bis zum mörderisch bösen Wahnsinn berührt Theo Lebow als Lanciotto.

Er ist kein Bariton, wie man das für die Rolle des eifersüchtigen Leidenden erwarten könnte, sondern ein strahlender Tenor. Der Schönling Paolo, heroisch bestimmt und feminin zugleich, in Liebe entbrannt, aber voll Schuldgefühl gegenüber seinem Bruder ist eine Hosenrolle (Karolina Makula) und die Titelheldin, eine ängstliche aber auch selbstbewusste Frau: Anna Nekhames.

Verbindung nach Frankfurt/Main

Ab Ende Februar 2023 wird die Produktion auch in der Oper Frankfurt zu sehen sein. Unter der künstlerischen Leitung Bernd Löbes, gleichzeitig auch Intendant der Frankfurter Oper, scheinen sich die Tiroler Festspiele nämlich zu einer zweiten Bühne des Frankfurter Hauses entwickelt zu haben. Auch die zweite Opernproduktion, Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ rührt von daher, sie wäre im Bockenheimer Depot in Frankfurt im November 2020 herausgekommen, brachte es aber nur bis zur Generalprobe, ehe die Corona-Bestimmungen dem Unternehmen einen Strich durch die Rechnung machten.

Szene aus „Don Pasquale“ Bianca Tognocchi als Norina 
Szene aus „Don Pasquale“ Bianca Tognocchi als Norina 

© Xiomara Bender

Mag sein, der physich und psychische Abstand, den die Figuren in dieser Inszenierung von einander haben, rührt noch von den Erfahrungen mit der Pandemie. Auch bei Caterina Panti Liberovicis wird eine innere Welt der Psyche vorgeführt. Don Pasquale ist in Erl ein sehr alter, wohl kranker Mann, der noch einmal voll Liebesglut sich in seinem Bett wälzt, halluziniert und Vergnügen wünscht.

Phantasiert er nur die Nähe zu Norina? Ist der Commedia dell’arte-Harlekin Doktor Malatesta mit seiner schwarzen Nase vielleicht der Tod? Geheimnisvolle Rätsel, die sich nicht immer auflösen lassen. Auch Don Pasquale bedrängende Verdoppelungen der Figuren lassen Donizettis Alterswerk und seinen schließlich resignierenden Helden in die Nähe von Verdis „Falstaff“ rücken und geben seiner „Opera buffa“ eine sehr melancholische Färbung. Berührend und keineswegs polternd Donato di Stefano in der Titelrolle - und sich im Laufe des Abends immer mehr in den Vordergrund spielend - Bianca Tognocchi als Norina

Zur Pilgerstätte für Opernliebhaber wird der Passionspielort Erl aber vor allem auch durch das noch von Gustav Kuhn formierte internationale „Orchester der Tiroler Festspiele“. Der Belcanto-Spezialist Guiliano Carella dirigiert beide Werke und lässt das Publikum die italienische Oper des 19. Jahrhunderts ungewohnt neu sehen. Ein melancholisch Jahresausgang von tröstender Schwermut.

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