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Eleni | Jessica Rose Cambio als Eleni und Herrenchor. Foto: Lutz Edelhoff.
Eleni | Jessica Rose Cambio als Eleni und Herrenchor. Foto: Lutz Edelhoff.
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Vom Kampf einer Mutter um ihre Kinder – Nestor Taylors Oper „Eleni“ an der Oper Erfurt uraufgeführt

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Eines muss man dem Erfurter Opernchef Guy Montavon lassen: Ein Gespür für öffentlichkeitswirksame Spielplandramaturgie hat er. Hier wird nach einem Motto geplant. In diesem Jahr ist es eine Griechische Spielzeit für die das Orakel von Delphi das Stichwort liefert: „Erkenne dich selbst“ heißt es. Der Schweizer, der immer mal wieder auch Regie führt, bestimmt den Kurs der neuen Erfurter Oper, seit diese 2003 in den Neubau eingezogen ist, der noch nichts vom Charme einer angemessen dimensionierten Moderne eingebüßt hat.

Durch kulturpolitische (Un-)Wetterlagen hat er das Haus (und sich selbst) bislang allemal geschickt durchmanövriert. Dass er Generalintendant des Theaters Erfurt ist, aber das Theaterland Thüringen seiner Hauptstadt keine Schauspielsparte sichern konnte oder wollte, ist ein Schönheitsfehler, den Montavon nicht nur mit seiner demonstrativen Weltläufigkeit überspielt. Er hat die Domstufenfestpiele etabliert, deren musikalische Qualität, Schritt für Schritt, verbessert und seinem Haus damit ein überregionales Sommerevent mit positiven finanziellen Nebenwirkungen gesichert. Was aber für das Musiktheater wirklich zählt, ist ein anderes Alleinstellungsmerkmal: Gefühlt hat kein Haus vergleichbarer Größe (und auch kein größeres) innerhalb von zwei Dekaden so viele Uraufführungen herausgebracht und allemal mit großer Sorgfalt (und nicht etwa im Ausredenformat einer Studioproduktion) in Szene gesetzt. Die Homepage listet 20 Titel auf! Wie sehr die Geschichte des Genres für die allfällige Selbsterneuerung davon profitieren wird, wird man sehen. An den Versuchen, der Oper, ihre Zukunft zu sichern, hat Erfurt jedenfalls einen bemerkenswerten Anteil. 

In die aktuelle griechische (hoffentlich) post-corona Saison passt auch die die jüngste Uraufführung. Nach dem Spielzeitauftakt mit „Elektra“ (was auch sonst) folgt jetzt „Eleni“. Ursprünglich als Kompositionsauftrag für ein Konzert in der Carnegie Hall in New York zum 200. Jubiläum der griechischen Unabhängigkeit gedacht, wurde daraus (auch coronabedingter Planungsänderungen wegen) eine Opernuraufführung in Erfurt. 

Zu der Opernnovität des hierzulande wenig bekannten australo-griechischen Komponisten Nestor Taylor (*1963) hat Fergus Carrie (*1961) ein vom gleichnamigen, 1983 erschienen Bestsellers des griechisch-amerikanischen Autors und Enthüllungsjournalisten Nicholas Gage, zu dem englischsprachigen Libretto inspirieren lassen. Im Jahr 1939 als Nikolaos „Nikos“ Gatzoyiannis geboren, setzt er darin seiner Mutter Eleni ein Denkmal. Von den Verwerfungen der Geschichte des modernen Griechenlands ist heute am ehesten noch die Militärdiktatur in Erinnerung, die das Land erst Mitte der 70er Jahre los wurde. 

Die Geschichte, von der im knapp zweistündigen Zweiakter erzählt wird, führt in die 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts in ein griechisches Dorf, das in den Jahren 1947 bis 1949 zwischen die Fronten eines blutigen Bürgerkrieges zwischen kommunistischen Partisanen und eher rechtsgerichteten Regierungstruppen geraten ist. Ohne deren Motive zu hinterfragen, werden die kommunistischen Partisanen dort (vor allem von der Titelheldin) als eine Macht wahrgenommen, die den Familien ihre Kinder entreißt, um sie in die vermeintlichen realsozialistischen „Bruderstaaten“ zu verschicken. Der Form nach „freiwillig“ – tatsächlich aber mit Nachdruck angeordnet. Von den insgesamt 28.000 betroffenen Kindern und Jugendlichen gelangten über eintausend auch in die ehemalige DDR. 

Eleni nun sorgt dafür, dass wenigstens ihr Sohn (also Nicholas Gage) in die USA zu seinem dort lebenden Vater entkommen kann. Sie fliegt auf, wird gefangen, gefoltert und schließlich hingerichtet. Das verarbeitende Erinnern des Sohnes an seine Mutter bildet den szenischen Rahmen in Montavons Uraufführungsinszenierung. Der erwachsene Nicholas (ernsthaft konzentriert: Brett Sprague) sitzt (im Jahre 1963) links an der Rampe an einem Schreibtisch, hat die Schreibmaschine vor sich und erinnert sich.

Die Bühne von Ausstatter Eric Chevalier evoziert ein felsig karges Griechenland. Die rechte und die linke Felsenwand kann sich schließen, zu einem Platz vor der Dorfkirche oder in der Landschaft öffnen und so den Raum für den von Markus Baisch einstudierten Chor und das konventionell geführte Personal bieten. Erzählt wird in einer einfachen Struktur und von musikalischem Pathos getragen gradlinig auf die Katastrophe zu: die Hinrichtung einer Mutter, die nichts anderes im Sinn hatte, als ihre Kinder zu schützen.

Máté Sólyom-Nagy gibt im offenen Uniformmantel und dem Habitus eines roten Kommissars den unnachsichtigen Anführer der Partisanen und fordert als neuer Machthaber im Dorf namens Lià die Gefolgschaft der Bewohner ein. Valeria Mudra ist als Milia eine ihrer fanatischen jugendlichen Anhänger. Elenis Cousin Lukàs Ziàras (Tristan Blanchet) und Dorfbewohner Vangelis (Siyabulela Ntlale) bleiben auf Distanz. Vangelis wird das erste Opfer einer kommunistischen Justiz, die Verrat mit dem Tod bestraft. Dabei wird das Volk so manipuliert, dass fast alle dem Todesurteil zustimmen. Kakhaber Shavidze ist der finstere Richter, der kein Problem damit hat, solche Urteile zu fällen und am Ende sogar eine Mutter exekutieren zu lassen. Obwohl der Plan zu einer gemeinsamen Flucht scheitert, gelingt immerhin dem jungen Nicholas die Flucht. 

Musikalische profitiert diese Uraufführung davon, dass der frühere griechische Generalmusikdirektor des Erfurter Orchesters, Myron Michailidis, die Kompostion nicht nur noch während seiner Amtszeit in Auftrag gegeben hat, sondern jetzt auch am Pult für ein Maß an Authentizität sorgen mag, das bei diesem Stoff einem Landsmann der Bühnenhelden sicher eher möglich ist, als bei einem Blick von außen. Wobei Taylors Musik, betont polystilistisch ist. Vom großen neoromantischen, puccinesken Orchesterton, bis hin zu Minimal-music und sogar zu Musicalanklängen und der klagenden Passion ist alles drin. Durchaus mit einer eigenen Färbung, aber ohne jeden Ehrgeiz, vom gepflegten Pfad des erkennbaren, melodisch rhythmischen Wohlklangs abzuweichen und auf den steilen Nebenwegen ins Unbekannte womöglich abzurutschen.  

Die Brisanz der unmittelbaren Betroffenheit über ein unabgegoltenes Kapitel der eigenen Geschichte, die dieser Stoff (das betrifft den Roman und auch seine Verfilmung) in Griechenland immer noch hat (und wohl auch die Oper hätte), erreicht sie hierzulande zwar nicht, aber sie bleibt ein eindrucksvolles Exempel über die tragische Wucht, mit der Gewalt und Krieg die Menschen aus ihrer Existenz reißen können. Dass die Musik und szenische Form ihrer Umsetzung dabei auf ambitionierten Neuerungsehrgeiz verzichten, ändert daran nichts. 

  • (Der Eindruck dieser Uraufführungsproduktion, die am 3.12. Premiere hatte, gewann der Rezensent beim einem Hauptprobenbesuch am 30.11.2022)

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