Später wird etwas Todesangst dazukommen: Vorerst unterhält sich Macheath (Sona MacDonald, rechts) auch im Gefängnis gut.

Palffy

Auf der kreisförmig-gelben Treppenlandschaft sind fünf Häufchen aus wärmendem Stoff und sonstigen Utensilien zu sehen. Was man halt so auf der Straße zum Überleben braucht. Noch weist in der Volksoper nichts darauf hin, dass in den Stoffhügelchen Menschen hausen. Nichts weist auf jene Armseligen hin, die für Herrn Peachums Bettlerfirma durch die Gassen ziehen, um Almosen zu erflehen, von denen ein guter Teil als Gewinnbeteiligung an den Unternehmer zu gehen hat.

Nachdem ein kleiner Junge (Camillo Kirchhoff) in diesem Ambiente seine Moritat gesungen und die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill Fahrt aufgenommen hat, erwachen die Stoffskulpturen aber zu schwankenden, zitternden Existenzen, die ihr "Haus" samt Einrichtung als Schutzkleidung um sich tragen. Ist es Winter hier, auch wenn es nicht schneit? Schwer zu sagen. In jedem Fall scheint es ihnen seltsam gut zu gehen. Besonders später, wenn sie zu tanzen beginnen.

Kleidung und Stand

Das Stoffliche ist offenbar essenziell. Es spielt ja vor allem die Kleidung in dieser allzu heiteren Inszenierung von Maurice Lenhard eine überaus wichtige Rolle. Sie soll die soziale Differenz zeigen, die zwischen den Figuren herrscht (Kostüme: Christina Geiger). Offenbar soll sie allerdings auch etwas Operettenhaftes einbringen: Orangengelb wirkt der Unternehmer Peachum, der seine gemeinen Sätze nobel und höflich formuliert und von Carsten Süss gleichsam giftig als zweifelhafter Virtuose der emotionsfreien Perfidie dargestellt wird.

Rosa ist die Unschuld

Birnengrün und prunkvoll? So erscheint seine Gemahlin, die Ursula Pfitzner outrierend ins Heitere verlegt, wenn es um die Darstellung von besitzwahrender Bosheit geht. In Unschuldsrosa verpackt schließlich Tochter Polly: Den Unternehmereltern bereitet sie Kummer; sie hat ihr Herz nicht standesgemäß an einen König der Diebe verschenkt. In der Tat heben sich diese empathielosen Wohlstandsfiguren schrill ab von den Armen und den Mitgliedern jenes Unternehmens, das sich nur im Notfall an Besitzregeln hält.

Münz-Matthias (Jakob Semotan) und seine Bandenfreunde kommen schick-zerlumpt daher. Sie huldigen ihrem Herrn und Meister Macheath mit heuchlerischer Unterwürfigkeit, die ebenfalls – auch wenn es gefährlich wird – gerne in vertanztem Slapstick mündet.

Ganz in Schneeweiß die Hauptfigur: Wenn sich Sona MacDonald als Macheath nach der Hochzeit mit Polly auf seine Fluchtreise vom Puff ins Gefängnis und wieder zurückbegibt, strebt die Inszenierung ihrem glitzernden Höhepunkt entgegen. Virtuos wird die große Revuegeste zelebriert wie auch die boshafte kleine. MacDonald ist gewissermaßen die Zirkusdirektorin in der Manege einer flotten Inszenierung, die zuweilen das Flair einer Peter-Alexander-Samstagabendshow umgibt.

Etwas fehlt nun doch

Also: Zu viel an Ambivalenz und Bitterkeit löst sich im Scheinwerferlicht der Revuegesten und Pointen auf. Es fehlt trotz reichlich Licht jenes der erhellenden Ironie, es fehlt das Bedrückende und Gefährliche, das die Grausamkeit der Verhältnisse offenbaren würde. Mitunter wirkt alles, als würden sehr reiche Leute spielen, wie es ihnen mit armen Leuten und Dieben geht. Es teilt sich denn auch oft die gelbe Treppenlandschaft, bevor es gar ernst wird. Auf Podesten (Bühne: Malina Raßfeld) stehen dann die Figuren und absolvieren ihre Solos.

Die musikalische Seite ist vor allem sauber und adrett. Tadellos Marco Di Sapia (als Polizeichef) und Oliver Liebl (als Spelunkenjenny). Bei Johanna Arrouas (als Polly) macht der Wechsel vom vokal Opernhaften zum Derben inhaltlich Sinn. Auch das Orchester gab sich unter Dirigent Carlo Goldstein als Combo ohne Fehl und Tadel.

Die zerknautschten Idyllen Weills, die Abgründe und das Düstere dieser giftig-süßen Musik – all das blieb jedoch etwas hinter dem disziplinierten Abschnurren der Melodien verborgen und unterbelichtet. (Ljubiša Tošic, 29.11.2022)