Bei ihrer Premiere 2011 sorgte die minimalistische Inszenierung von Giuseppe Verdis La traviata durch Regie-Altmeister Peter Konwitschny für Begeisterung und seitdem kehrt die Produktion in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen ans Grazer Haus zurück. Mit wenigen Requisiten – viele rote Vorhänge, ein Stuhl, ein paar Bücher – legt die Inszenierung den Fokus einzig und allein auf die handelnden Personen, insbesondere die Titelheldin und deren Balance am schmalen Grat zwischen Vergnügen und Selbstzerstörung. In der mittlerweile dritten Wiederaufnahme zeigt sich nun allerdings, dass dieses Konzept zwar nach wie vor funktioniert, aber durch die schwammig gewordene Personenführung und untergegangene Details längst nicht mehr so effektvoll und berührend ist, wie vor gut zehn Jahren. Als für die szenische Einstudierung verantwortlich genannt wurde Regieassistent Florian Kutej; ob Konwitschny selbst in die Proben für diese Wiederaufnahme involviert war, war dem Besetzungszettel an diesem Abend nicht zu entnehmen.

Loading image...
Heather Engebretson (Violetta Valery)
© Werner Kmetitsch

Ein zweifellos problematischer Faktor war, dass sich Heather Engebretson, die die Violetta verkörperte, in der Inszenierung nicht wohlzufühlen schien. Im ersten Akt erinnerte ihre Darstellung mehr an eine trotzig pöbelnde Anführerin einer Ghetto-Schlägertruppe als an eine dem Tod ins Auge blickende, und genau deswegen krampfhaft nach Vergnügen suchende, Edelkurtisane. Zwischen hektisch und hyperaktiv spielte sie im zweiten Akt, bevor sie schließlich im dritten Akt einen Schalter umzulegen schien und plötzlich in der Rolle angekommen wirkte. Diesen Eindruck erweckte auch ihre gesangliche Leistung an diesem Abend, denn während im ersten Akt Probleme bezüglich Intonationsgenauigkeit, Tempi und Sauberkeit der Koloraturen zu hören waren, steigerte sie sich kontinuierlich und bot in der Sterbeszene plötzlich all das, was man zuvor vermisst hatte: berührende Klangfarben, sanfte Piani und elegante Legatobögen, die über alle Register hinweg bruchlos zu fließen schienen. Der Inszenierung entsprechend unauffällig wirkte an ihrer Seite der Alfredo von Alexey Neklyudov, wobei er es im zweiten Akt durchaus auch schaffte, den verletzten Stolz und den Zorn der Figur glaubhaft zu verkörpern. Die Stimme ist lyrisch-elegant und wird sauber geführt, das Timbre verfügt über karamelligen Schmelz in der Mittellage und silbernen Schimmer in der Höhe – eigentlich wären also alle Voraussetzungen für die Partie gegeben. Woran es jedoch (noch) mangelt, ist der emotionale Ausdruck der vokalen Gestaltung; die Interpretation fesselte oder berührte leider nicht.

Loading image...
Heather Engebretson (Violetta Valery) und James Rutherford (Giorgio Germont)
© Werner Kmetitsch

Einen Ausflug vom Wagner-Fach, das er international häufig singt, in italienische Gefilde unternahm James Rutherford, der als Giorgio Germont schon bei Premiere dieser Inszenierung dabei war. Seine Stimme hat sich in den vergangenen Jahren prächtig entwickelt und die Leichtigkeit, mit der er die Rolle gestaltete, war schlichtweg beeindruckend. Sein Bariton strömte durch die Partie, war zu aufwallenden Ausbrüchen ebenso fähig wie zu feinen Nuancen und dabei schaffte er es auch stets, den emotionalen Spagat des Charakters zwischen knallhartem Geschäftsmann und liebendem Vater zu vermitteln.

Loading image...
Heather Engebretson (Violetta Valery) und Dariusz Perczak (Baron Douphol)
© Werner Kmetitsch

Einerseits ist es für die Dramaturgie des Stückes durchaus von Vorteil, dass der Regisseur die Chöre der Zigeunerinnen und Matadore im zweiten Akt streichen ließ, andererseits war es in Anbetracht der hohen gesanglichen Qualität des hauseigenen Chors natürlich schade, diese Szenen nicht zu hören. Dafür konnten in den kleinen Rollen aktuelle bzw. ehemalige Mitglieder des Opernstudios glänzen: so waren Neven Crnić und Dariusz Perczak als Marquis d’Obigny respektive Baron Douphol regelrechte Luxusbesetzungen, Corina Koller ließ als forsche Annina einen ebenmäßigen Sopran hören und Andżelika Wiśniewska gab eine jugendlich frische Flora.

Loading image...
Heather Engebretson (Violetta Valery)
© Werner Kmetitsch

Die von Matteo Beltrami am Pult der Grazer Philharmoniker gewählten Tempi waren insbesondere zu Beginn des ersten Akts zunächst etwas zu gegensätzlich, so legte er manche Takte sehr langsam an, während andere beinahe gehetzt wirkten. Dieser Eindruck legte sich aber rasch, die Interpretation wurde zunehmend stringenter und packender und wurde von den Grazer Philharmonikern nuanciert umgesetzt. Überhaupt schien das Orchester eine exzellente Tagesform erwischt zu haben, denn die Musik glühte und glänzte ebenso farb- wie emotionsreich.

***11