Mit Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana bricht das Alltagsleben in die Opernwelt ein. Einfache Bauern, ländliche Atmosphäre, aber nur oberflächlich dörfliche Idylle, vor allem ein roh ausgetragener Konflikt: heftige Leidenschaft, Eifersucht und Rache bis aufs Blut. Im Text ist der Naturalismus zu greifen, die Musik schildert unmittelbar Situation und Gefühl. Gemeinhin gilt das Werk als die Geburtsstunde des Verismo auf der Opernbühne.

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Carolina López Moreno (Santuzza), Giorgio Berrugi (Turiddu) und Eva Zaïcik (Lola)
© Andrea Kremper

Cavalleria ist ein kompaktes Werk. Es ist Ostermorgen in einem sizilianischen Dorf, aber auf vier der Personen liegt kein Segen. Der leichtlebige Turridu hat Santuzza die Ehe versprochen, nachdem seine frühere Geliebte Lola den Fuhrmann Alfio geheiratet hatte. Santuzza entdeckt nun, dass Turridu sein Verhältnis zu Lola erneuert hat und verrät dies in glühender Eifersucht Lolas Mann. Der sizilianische Ehrenkodex verlangt ein Duell, in dem Turridu getötet wird.

Musikalisch wechseln sich heitere Frühlings- und feierliche Ostergesänge mit der schicksalsschweren Düsternis des tragischen Konflikts nahtlos ab. Faszinierend, wie es Thomas Hengelbrock mit den Balthasar-Neumann-Ensembles und einem grandiosen Solistenensemble in dieser konzertanten Aufführung im Festspielhaus Baden-Baden gelang, auf engstem Raum ein Höchstmaß an emphatisch aufblühender Melodik mit dramatischer Tragik zu verbinden. 

Nach der bisherigen Aufführungstradition zu urteilen, würde man bei diesem Werk vielleicht keinen besonders hohen Status an Aufmerksamkeit vermuten. Meist spielt es im Doppelpack mit Leoncavallos Pagliacci (Der Bajazzo) nur die untergeordnete Rolle. Damit hat Hengelbrocks Aufführung nun aufgeräumt. Seine Interpretation stützt sich auf die Originalfassung von 1888, die wesentlich kühner ist als die begradigte Fassung der Uraufführung zwei Jahre später. Im Programmheft zählt Hengelbrock die markanten Unterschiede auf: erweiterte und musikalisch wirkungsvollere Chorpartien und vor allem die in eine höhere Lage transponierte Partie der Santuzza, die nun mit einem echten Sopran (statt wie bisher einer Mezzostimme) besetzt werden kann.

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Carolina López Moreno (Santuzza) und Domen Križaj (Alfio)
© Andrea Kremper

Wie entscheidend dies für die Wirkung der Rolle ist, wurde in Baden-Baden auf faszinierende Weise bestätigt. Carolina López Moreno war eine enorm expressive Santuzza mit aller Leidenschaft im Lieben, in der Verzweiflung und für einen kurzen Moment aus tiefster Demütigung auch Verräterin – mit vollem Einsatz einer großen Bandbreite vokaler Farben: ein jugendlicher Sopran, der in der Höhe strahlte, für die Verzweiflung eine wohlklingende Tiefe, aber für die kalte Vergeltung auch das nötige Maß an vokaler Festigkeit bis hin zum aggressiven Schrei mitbrachte.

Als Turridu war Giorgio Berrugi ebenfalls Idealbesetzung. Ein geschmeidiger Tenor mit lyrischer Tongebung in der Romanze zu Beginn und überschießendem Leichtsinn im Trinklied, kalt abweisend zur vergeblich flehenden Santuzza, dann wieder selbst bei seiner Mutter um Beistand bettelnd, so sehr, dass sein „Mamma” im Publikum für einige Lacher sorgte. Trotzdem in seiner Verstrickung in verantwortungslosen Hedonismus auch eine tragische Figur. 

Auch der Bariton Domen Križaj war für die Rolle des Alfio eine exzellente Wahl. Wandelbar seine Stimme zwischen fröhlichem Landmann in seinem Auftrittslied und eiskaltem Vendetta-Killer. In das Lied der Lola von der schönen Lilie, den aber noch schöneren Augen des Geliebten mischte Eva Zaïcik die nötige Prise Frivolität, wird hier doch anspielungsreich der Libertinage vor der Treue der Vorzug gegeben.

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Carolina López Moreno (Santuzza) und Elisabetta Fiorillo (Mamma Lucia)
© Andrea Kremper

In dieser Urfassung ist Cavalleria noch mehr eine Choroper als gewohnt und der Balthasar-Neumann-Chor war mit all seiner Flexibilität und Ausdruckskraft ein exzellenter Sachwalter der Partitur. Wie das in wunderbaren Farben strahlende Orchester. Im Intermezzo sinfonico (sonst Evergreen aus Wunschkonzert und Hollywoodschinken) legte es hier als retardierendes Zwischenspiel vor dem rasenden Finale, weich und fließend einen beruhigenden Schleier über die überschießenden Leidenschaften.

An den Anfang hatte Thomas Hengelbrock das Credo aus der Messa di Gloria des 20-jährigen Puccini gestellt und nahtlos in die Ouvertüre der Oper integriert. Eine gute Entscheidung. Nicht allein weil dieses Credo weniger liturgischen Charakter besitzt, als in der Diktion eigentlich selbst sehr opernhaft ist und so die religiöse Grundierung der Oper vorbereitete. Diese besteht nicht allein in der oberflächlichen Parallele zum Osterfest. Wirkungsmächtiger ist vielmehr der harte Kontrast zwischen den behaupteten religiösen Botschaften und einer von ganz weltlichen Leidenschaften beherrschten Lebenswirklichkeit. 

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