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Ist’s ein Traum? – Im Théâtre de la Monnaie in Brüssel gibt es einen neuen Rosenkavalier. Photo: M. Baus
Ist’s ein Traum? – Im Théâtre de la Monnaie in Brüssel gibt es einen neuen Rosenkavalier. Photo: M. Baus
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Ist’s ein Traum? – Im Théâtre de la Monnaie in Brüssel gibt es einen neuen Rosenkavalier

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Nicht nur die Zeit ist ‚ein sonderbar Ding‘, wie die Marschallin so melancholisch weise in ihrem berühmten Monolog sinniert. Der ganze „Rosenkavalier“ von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ist es auch. Wie ein opulent verziertes Kunstwerk aus feinstem Porzellan. Sicher verwahrt hinter einer Glasscheibe, damit man nichts beschädigt. Von Zeit zu Zeit herausholt, um es von allen Seiten zu betrachten und Gästen vorzuführen, die ihre Freude an so einer Zeitreise der besonderen Art haben.

In ein erfundenes Maria-Theresia Wien, dessen Zeitgenossen Hugo von Hofmannsthal einen eigenen, putzig charmierenden Wiener Dialekt erfunden und Richard Strauss eine Walzerseligkeit untergejubelt hat, die es zu Zeiten der echten Kaiserin noch gar nicht gegeben hat. Aber unter all der Maskierung dieser perfekt erfundenen historischen Authentizität finden sich gleichwohl berührende Charaktere, die ihre gesellschaftliche Rolle ausfüllen und zugleich über den Rahmen aus Konventionen hinausgehen, der ihnen Grenzen setzt. 

Es ist schon ein starkes Stück mit welcher Souveränität sich diese verheiratete, attraktive Anfangdreißigerin Marie-Therese von Werdenberg, diese zumindest im Dunstkreis Wiens als „Ihre hochfürstliche Gnaden, Frau Fürstin Feldmarschall“ respektierte, mit ihrem draufgängerischen siebzehnjährigen Vetter Octavian, einen halb so alten Liebhaber nimmt. Übrigens auch, wie unverfroren Strauss einem Publikum in den Moralvorstellungen des Jahres 1911 eine Liebesnacht zwischen den beiden in die Ohren komponierte. Dabei ist das Risiko, im eigenen Schlafzimmer vom Ehemann erwischt zu werden, erheblich. Auch das Vertrauen in die Diskretion ihres Personals. Man mag sich nicht ausmalen, wenn es tatsächlich der Feldmarschall und nicht der Ochs gewesen wäre, der da zu früher Stunde im Ankleidezimmer neben dem Schlafzimmer Radau gemacht und sich Einlass erzwungen hätte. Das ist so ein Moment wie der in Mozarts „La nozze de Figaro“, als sich Cherubino eingeschlossen hat und der Graf auf dem Öffnen der Tür besteht. Dort schafft es Susanna alle zu retten. Im „Rosenkavalier“ verwandelt sich Octavian geistesgegenwärtig in ein Stubenmädchen, um seine Geliebte nicht zu kompromittieren. 

In Damiano Michielettos Lesart ist das allerdings nur eine Geste in Richtung Konvention. Der (wirklich) kleine, hier erwachsene, weiße Mohammed ist permanenter Zeuge. Und das seiner Chefin offensichtlich bedingungslos ergebene Hauspersonal ist es auch. Eigentlich müssten die immer Bescheid wissen – hier ist es betont offensichtlich. Den beiden Intriganten Valzacchi (Yves Selens) und Annina (Carole Wilson) fehlt anfangs dagegen der volle Durchblick. Jedes der beiden Gesichter ziert eine Augenklappe – die grauen Anzüge deuten Richtung Mafia für den Hausgebrauch. Diesmal arrangiert die Marschallin mit den beiden den Budenzauber selbst, der den Ochs letztlich in die Flucht schlägt. (Eine der eher kleineren Unstimmigkeiten der Inszenierung). 

Der Charme des Blickes auf eine späte Feudalgesellschaft zwischen der Verfeinerung des Silberrosen-Rituals und der hemmungslosen Vitalität des Landadligen Ochs, in deren Schoß längst das Bürgertum die Schlüssel zu den Stadtpalais besitzt und nur die Titel dazu haben will, ist die eine Herausforderung für jede Inszenierung. 

Die weniger schillernde, als vielmehr ruhig leuchtende Persönlichkeit der Marschallin und ihre Einsichten in die Wirkungen der Zeit und die Art auf die rechte Weise zu Lieben, sind das andere. Ab einem gewissen Lebensalter ist der Zeitmonolog evident. Weder Octavian noch dessen eventuelle Alters- bzw. Generationsgenossen im Publikum können das wohl wirklich nachvollziehen. Da sie sich vorgenommen hatte, Octavian so zu lieben, dass sie auch das lieben wolle, was er liebt und überhaupt den Lauf der Zeit und damit auch die Unvermeidlichkeit des eigenen Älterwerdens zu akzeptieren, kommt sie letztlich mit dem Verlust ihres Liebhabers klar. Und versorgt ihr Publikum zumindest mit einem lebensklugen Ratschlag. In der Inszenierung leidet sie eher darunter – bis hin zur Vision der alten Frau im Rollstuhl, die von ihrem ebenfalls schon klapprigen Ehemann durch die Gegend gefahren wird. 

Für das Gesellschaftspanorama liefern eigentlich das morgendliche Lever im Schlafzimmer der Marschallin und natürlich die entfesselte Komödie, wenn die Lerchenauer bei Faninal ihr Unwesen treiben und schließlich, wenn sie alle den Ochs im Wirtshaus in die Falle locken, die komödiantischen Zugaben.

Im Ausbalancieren dieser Ebenen liegt die Kunst des szenischen Beitrages für das Gesamtkunstwerk „Rosenkavalier“. Michieletto bremst aber im Bühnenbild von Paolo Fantin nicht nur das Lever auf nüchterne Einzelauftritte an der Rampe aus, er macht auch aus der Wirtshaus-Szene ein zwar eindrucksvoll surreales, aber erstarrt zweidimensionales Bild mit dräuend schwebenden schwarzen Totenvögeln. 

Die Bühne ist im Wortsinn das Bild einer Bühne auf der Bühne. Eine Zwischenwand mit Vorhang. Dahinter ein eher nüchternes Schlafzimmer mit Ehebett. Und dahinter noch einmal eine Dopplung des Ganzen, die hin und wieder sichtbar wird, um die Marschallin in verschiedenen Lebensphasen (zeitlich rückwärts als Kind und junges Mädchen und vorwärts als reife und als alte Frau) ins Bild zu setzen. Diese plakative Art, sich vom Zeitmonolog inspirieren zu lassen, wird übertrumpft, wenn jene Passage, in der die Marschallin die Uhren anhält, durch über ein Dutzend aufgestellte Standuhren illustriert wird, von denen Octavian dann tatsächlich eine anhält. Zwar rückt die Regie die Lebens-Zeitmetaphorik so in den Mittelpunkt, misstraut damit aber zugleich dem Stück. Dass der Ochs bei der Schilderung der Szenen des gutsherrlichen Liebeslebens auf dem Lande eine lebensgroße Kuh melken (lassen) und die blondbezopften und klischeedrallen Kuhmägde begrabschen muss, gehört zu den eher gröberen Ausrutschern. Dass der im Businessanzug nüchtern kalkulierend wirkende Faninal und der Notar in aller Ruhe ihren Nachtisch aufessen, während im Salon gerade ein echter Skandal im Gange ist, zu den eher kleineren. Das Komödiantische verlagert Michieletto in eine seltsame zackige Marschchoreografie der Dienerschaft und der Intriganten, die letztlich vor allem albern wirken.

Leider werden diese szenischen Unbehaglichkeiten nur vokal überstrahlt, wenn die drei Frauen am Ende zum großen Terzett und Sophie und Octavian zu ihrem Duett ansetzen. Hier gehen die drei Damen in Hochform und im faszinierenden Zusammenspiel durchs Ziel.

Dabei hatte Sally Matthews als Feldmarschallin einen veritablen Vorsprung, weil Michèle Losier einige Zeit brauchte, um als darstellerisch passender Octavian auch vokal zu überzeugen. Während Ilse Eerens von ihrem ersten Auftritt an eine selbstbewusste Sophie beisteuerte. Dietrich Henschel brachte seinen Faninal mit Erfahrung über die Runden. Bei Matthew Rose blieb die ungestüme Vitalität des Ochs eine Behauptung, die auch durch seinen wohltimbrierten, aber fast schon liedhaft zurückgenommenen Gesang nicht wirklich beglaubigt wurde.

Der auf Hand liegende dramaturgische Grundeinfall eines Spiels mit der Zeit ermöglicht einige hübsche Bilder, gibt dem Ganzen aber gleichwohl eine Schlagseite ins Gewollte. Man erkennt die Absicht, sich irgendwie in unsere Gegenwart hinein zu psychologisieren und ist verstimmt.

Alain Altinoglu setzt eher auf deftig ernüchternden Orchesterklang, weniger auf feinziseliertes Auskosten. Am Ende sind die ‚jungen Leut‘ in der kargen Landschaft auf der Bühnen-Bühne allein, bemerken nichts von rieselndem Schnee. Und bei der Marschallin, kommt – wie vorher schon einige Male in ihren Visionen – der Ehemann nach Hause und legt sich ohne Interesse an seiner Frau noch halb angezogen ins Bett neben sie. Da bleibt ihr keine andere Wahl als von ihrem – oder dem nächsten – Rosenkavalier zu träumen. Im Graben trifft Altinoglu diesen ambivalenten Ausklang auf versöhnliche Weise gut. 

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