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Oper „Asrael“ in Bonn: Himmel und Hölle auf Erden

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Luzifer und seine Töchter. Foto: Thilo Beu
Luzifer und seine Töchter. Foto: Thilo Beu © Thilo Beu

„Asrael“: Das Theater Bonn gräbt den dollen Erstling des italienisch-jüdischen Komponisten Alberto Franchetti aus – ein Weitwurf in allen Belangen.

Da sich die Vorstellung hält, Qualität würde sich durchsetzen, hängt vergessenen Künstlern und Künstlerinnen der in dieser Branche fatale Ruf der Mittelmäßigkeit an. Gerade in der Oper ist das unfair, ist der Aufwand einer szenischen Produktion doch hoch und das Publikum offen gesagt wenig neugierig. Dass es am Theater Bonn einen eigenen, vom Land geförderten Sendeplatz für Ausgrabungen gibt: perfekt. Er heißt „Fokus 33. Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“ und widmet sich Werken, die in den 1930er, 1940er Jahren aus dem Kanon fielen oder ihn durch die Zeitumstände nie erreichten.

Alberto Franchetti ist wirklich ein unbekannter Name, übrigens nicht unbedingt in Frankfurt, wo Anfang der 90er Jahre das HR-Sinfonieorchester an einer konzertanten Aufführung von „Cristoforo Colombo“ mitwirkte. Daraus wurde auch eine Aufnahme. Es gab ein paar Jahre später eine szenische Aufführung in Kiel, außerdem 2006 „Germania“ an der Deutschen Oper Berlin. „Asrael“, 1888 uraufgeführt, führt in Bonn nun zum Anfang eines hoffnungsvoll startenden Komponistenlebens. Das Programmheft ist ein Programmbuch, man erfährt tausend interessante Dinge, hier nur so viel: Franchetti, 1860-1942, stammte aus einer kolossal reichen italienisch-jüdischen Familie, der soeben geadelte Vater, nachdem er sich an den Gedanken gewöhnt hatte, dass sein Sohn nicht ins Geschäft einsteigen wollte, ebnete Alberto mit Verve den Weg. Um zum Beispiel sein Debüt würdig gestalten zu können, übernahm er die temporäre Leitung des Teatro Municipale von Reggio Emilia. Verdi war schon alt, Puccini noch unauffällig, die Opernnation war bereit für einen neuen Stern und hier ging er auf. „Asrael“ war kein Achtungs-, sondern ein durchschlagender Erfolg.

Musikalisch hat man eine dolle, dabei nicht eklektisch wirkende Mischung aus italienischer und französischer Oper und Wagner („Lohengrin“, „Parsifal“, „Tristan“) vor sich, das Debüt eines trefflich ausgebildeten, sehr sorgfältigen jungen Musikers, der eindrückliche Melodien findet und fein ausführt. Der musikalische Überschwang rechtfertigt sich durch das Libretto (von Ferdinando Fontana, damals eine erstklassige Wahl), in dem nicht weniger als Himmel und Hölle aufeinander donnern: Luzifer hat den Engel Asrael, seinerzeit vom Rebellen Luzifer auf seine Seite gezogen, treibt die alte Liebe zum Engel Nefta zurück, während sich auch Nefta gerade vom Himmel aus aufgemacht hat, nach dem Geliebten zu suchen. Auf Erden besteht Asrael galante Abenteuer, bevor er auf Neftas Anraten ein „Ave Maria“ betet, im Himmel wieder willkommen ist und alles gut ausgeht. Natürlich ist es auch in diesem Fall nicht die bizarre Geschichte, die „Asrael“ von den Spielplänen gekickt hat. In erster Linie wurde er überrollt von den ungeheuren Erfolgen Puccinis und des Verismo, in zweiter Linie dann vom Faschismus, der jüdischen Komponisten alle beruflichen Möglichkeiten entzog.

Umso grandioser ist es, dass in Bonn nicht Kosten und Mühen gescheut wurden. Hermes Helfricht dirigiert das Beethoven Orchester, das groß, aber nuanciert auffährt, wirkungsvoll kommen die himmlischen Fanfarensignale der Trompeten von den Seitenrängen, der Chor singt überwiegend in den Rücken des vom Klang also eingekreisten Parketts.

Die Inszenierung von Christopher Alden ist raffiniert und geschmackssicher. Sie schiebt ins teils über-, teils unterirdische Geschehen eine noch ganz andere Ebene ein, die es apart erdet: Himmel und Hölle befinden sich hier in dem leicht angelotterten, aber lichten Saal eines Palazzos (Bühne: Charles Edwards), wo die Kostüme von Sue Willmington an Franchettis Zeiten anschließen und die Geschichte sich aus einem (zunächst teils gedoubelten) Familientableau heraus entwickelt. Eine wunderbare Statistin scheint nicht nur Mutter und Maria, sondern auch Göttin zu sein, ein reizvoller Einfall und gut durchgeführt. Der mürrisch rauchende Vater wird zu Luzifer und einem Pickelhauben-Militär: Der agile Bass Pavel Kudinov drillt den jungen Asrael und schickt ihn in den Krieg. So wird aus Asrael der sensible Tenor Peter Auty, der eine unangenehm hochliegende Partie gut bewältigt und insgesamt schreckensbleich durch den Abend taumelt.

Die Schwestern der Familie lässt Alden zwanglos in die Frauenrollen schlüpfen: Die jesushaft gütige (Kranken-)Schwester ist der Engel Nefta, Svetlana Kasyan mit Silbersopran. Aus der Leserin wird Prinzessin Lidoria, die turandotartig nicht heiraten will, Mezzosopranistin Tamara Gura (die kompetente Hermia aus dem Frankfurter „Midsummer Night’s Dream“). Die samtig dunkel timbrierte Mezzosopranistin Khatuna Mikaberidze ist Loretta, als Kind die künstlerisch begabte der Schwestern, jetzt das erotisch interessierte Gegenstück zur spröden Prinzessin.

Dass die Großkonfliktlagen und Fantastereien in „Asrael“ eine Kopfgeburt aus der psychologischen Enge einer Familie ist: eine prächtige Grundidee, aus der eine reife Leistung erwächst. Das Publikum der zweiten Vorstellung sah das offenbar ähnlich. Was für ein Vergnügen, gemeinsam zu staunen.

Opernhaus Bonn: 6., 11., 27. November, 8. Dezember, 14. Januar. theater-bonn.de

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