Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Müllsäcke und Nylonschnüre

Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Der fliegende Holländer

Müllsäcke und Nylonschnüre

(Hamburg, 23.10.2022) In seiner ersten Wagner-Inszenierung setzt Michael Thalheimer auf atmosphärische Abstraktion, die Psychologisierung der Protagonisten bleibt dabei oberflächlich. Generalmusikdirektor Kent Nagano steuert zu oft mit angezogener Handbremse durch die Sturmfluten in Wagners Partitur.

vonAndré Sperber,

Gnadenlose Naturgewalten, wild tosende Meeresstürme, gruselige Geisterschiffe. Ob seiner kraftvollen Bildhaftigkeit lässt Wagners „Der fliegende Holländer“ Bühnenbildnerherzen in der Regel höherschlagen. Doch an der Hamburgischen Staatsoper gehen Regisseur Michael Thalheimer und Bühnenbildner Olaf Altmann andere Wege. Hier gibt es keine Schiffe, keine üppigen Kulissen, keine Romantik, sondern nur Abstraktion – und ein Meer aus Schnüren.

Viele hunderte zart silbrig glitzernde Nylonfäden spannen sich senkrecht zwischen Boden und Decke der sonst in nacktem Schwarz gehaltenen Bühne. Bis in die hinteren Tiefen des Raumes bilden sie ein verworrenes Labyrinth, in dem sich die Figuren mühselig ihre Wege bahnen. Veränderungen und Variation in der meist dunkel-depressiven, beklemmenden Grundstimmung der Szenerie ruft nur hin und wieder die fantasiereiche Lichttechnik von Stefan Bolliger hervor, die sich die fadenscheinigen räumlichen Gegebenheiten zur Zeichnung atmosphärischer, ja mitunter gespenstischer Bilder zunutze macht – allen voran in der aufbrausenden Doppelchorszene des dritten Aufzugs, in der sich die norwegischen Matrosen mit der verdammten Geistermannschaft des Holländers bei Blitzgewitter und grellem Taschenlampenschein einen donnernden gesanglichen Schlagabtausch liefern.

Szenenbild aus „Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Hamburg

Vieles bleibt ein Rätsel

Wenngleich das Gesamtkonzept eines schiffs- und wasserlosen „Holländers“ tatsächlich grundlegend funktioniert, ganz so spannungsreich wie die Fäden auf der Bühne sind die regietechnischen Ideen in Michael Thalheimers erster Wagner-Inszenierung leider nicht. Statt miteinander wird oft nebeneinander her agiert, man hängt viel in den Seilen, die Psychologisierung der Protagonisten bleibt recht oberflächlich, dem Publikum werden durch die abstrakte Darstellung viele Rätsel aufgegeben. Warum beispielsweise Senta, die offensichtlich unter starken psychischen Problemen leidet, sich zu den Tönen der stürmischen Ouvertüre wie ein schlüpfendes Insekt aus einem schwarzen Müllsack windet, mit welchem sie sich wiederum am Ende selbst erstickt, darüber kann man nur spekulieren.

Müllsäcke und Schnüre sind überhaupt die großen Fragezeichen des Abends und regen ebenso zur Diskussion an, wie die musikalische Interpretation von Generalmusikdirektor Kent Nagano, der die Fäden im Orchestergraben in der Hand behält. Er lässt das Philharmonische Staatsorchester immer wieder kraftvoll auftrumpfen, fährt seinen Kahn jedoch oft mit angezogener Handbremse durch die Sturmfluten in Wagners Partitur und kommt trotz strahlender Momente durch seine sehr ausgebreitete Auslegung am Ende nicht ganz ohne Buhs des teils aufgebrachten, teils begeisterten Publikums davon.

Szenenbild aus „Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Hamburg

Starke Gesangsmomente

Begeistern konnten bei der Hamburger Version von Wagners erster „richtiger“, später in den Kanon der Bayreuther Festspiele aufgenommenen Oper vor allem die Gesangspartien. Die US-Amerikanerin Jennifer Holloway als krankhaft hysterisches Nervenbündel Senta legt viel dramatische Kraft in ihren spitz-scharfkantigen Sopran. Ihre weltentfremdete, fanatische Besessenheit für den Mythos des Fliegenden Holländers trägt sie mit schauerlicher Inbrunst in der berühmten Ballade vor. Ihr tragisch-finsterer Angebeteter, der sich durch das Versprechen ihrer Treue Erlösung von seinem verfluchten Dasein erhofft, kann ihr gesanglich nicht ganz das Wasser reichen, beeindruckt aber dennoch in seinen Auftritten durch seine verruchte Düsterkeit. Im schwarzen Aufzug als Holländer erinnert Bariton Thomas J. Mayer ein wenig an Mark William Calaway (besser bekannt als The Undertaker) in seinen besten WWE-Zeiten (Kostüme: Michaela Barth).

Kapitänsbass Kwangchul Youn, der als Daland seine eigene Tochter Senta für ein paar Hand voll gülden glitzernden Konfettis bereitwillig an den gruseligen Holländer verhökert, zeigt sich nicht nur gewitzt im Spiel, sondern verblüfft mit sauberster Textverständlichkeit. Letzterer steht auch Tenor Benjamin Bruns als Sentas unangenehmer Nachsteller Erik in nichts nach; zweifellos eine der besten Leistungen des Abends.

Szenenbild aus „Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Hamburg

Der Wagnergenuss bleibt trotz Schwächen der Inszenierung erhalten

Wichtiger Bestandteil von Wagners romantischer Schaueroper sind natürlich die breit angelegten Chöre. Sowohl der neckische Frauenchor, der Senta mit fiesen Sticheleien mobbt, als auch die beiden Männerchöre reißen hier einiges. Die gesichtslos spukende Mannschaft des Holländers – die ebenfalls hin und wieder durch den choreografischen Einsatz der Müllsäcke irritiert – setzt sich aus Mitgliedern des Herrenchores der Nationaloper Kiew zusammen. Gemeinsam mit den anderen verantworten sie hier energetisch eindrucksvoll einen großen Teil des trotz einiger Schwächen in der Inszenierung aufkommenden Wagnergenusses.

Staatsoper Hamburg
Wagner: Der fliegende Holländer

Kent Nagano (Leitung), Michael Thalheimer (Regie), Olaf Altmann (Bühne), Michaela Barth (Kostüme), Stefan Bolliger (Licht), Kwangchul Youn, Jennifer Holloway, Benjamin Bruns, Katja Pieweck, Peter Hoare, Thomas Johannes Mayer, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Mitglieder des Herrenchores der Nationaloper Kyiv, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg





Auch interessant

Rezensionen

  • 2018 gab Rubén Dubrovsky sein Debüt am Gärtnerplatztheater München
    Interview Rubén Dubrovsky

    „Es geht um die Wurzeln der Musik“

    Rubén Dubrovsky, Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters, geht musikalischen Dingen gerne auf den Grund und kommt dabei zu manch verblüffender Erkenntnis.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!