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Klassik „Der fliegende Holländer“

Wagner als Wohltat

Freier Feuilletonmitarbeiter
Der „Holländer“ als Taschenlampen-Oper in Hamburg Der „Holländer“ als Taschenlampen-Oper in Hamburg
Der „Holländer“ als Taschenlampen-Oper in Hamburg
Quelle: Hans Jörg Michel
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56 Jahre nach Wieland Wagner inszeniert Michael Thalheimer an der Hamburgischen Staatsoper wieder den „Fliegenden Holländer“. Fast ohne Requisiten, dafür mit leibhaftigen Chören, den Geistern der Gegenwart und einer großen solidarischen Geste.

Kein Meer, kein Schiff. Das war natürlich zu erwarten, wenn der große, strikte Regieminimalist Michael Thalheimer Wagners „Fliegenden Holländer“ inszeniert. Stattdessen hat sein Leibbühnenbildner Olaf Altmann in der Hamburgischen Staatsoper einen kurzen, sich verjüngenden Kasten in Schwarz gebaut, der hinten mit von Stefan Bollinger ziemlich magisch ausgeleuchteten 1000 Perlonschnüren abgeschlossen wird. Die kann man dehnen und dann durchsteigen, weshalb die Mitwirkenden nicht selten eine ziemlich typische Haltung mit gespreizten Armen einnehmen und so verharrend weitersingen.

Anfangs aber hängen sie noch schlapp und glitzern, klar, es heißt auch „Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer“, so verkündet es der markante Steuermann Peter Hoare. Und irgendwie passt das auch zum kargen Symbolismus der Hamburger Vorvorgänger-Inszenierung von Wieland Wagner. Dessen Bayreuth-Klon von 1966 nämlich wurde als seine letzte auf der Bühne gezeigte Arbeit bis Anfang der Neunzigerjahre gespielt.

Und auch aktuell ist Richard Wagners über die Wogen wandernder Geselle an der Alster wieder sehr symbolhaft aufgestellt. Und requisitenlos. Fast. Während später immer wieder drei finstere Fuzzis mit verhüllten Köpfen und nackten, nur mit einem schwarzen Kreuz verzierten Oberkörpern als Holländer-Entourage (ein wenig erinnern sie auch an Daft Punk) Müllsäcke schwenkend herumwuseln, pellt sich aus einem ebensolchen, schon während der Ouvertüre, auch die Senta im schwarzen Kleid.

Jennifer Holloway singt die Senta mit hell durchdringendem Sopran und immer schöner sich öffnender Höhe. Ist sie schon tot und erlebt die Geschichte rückwärts? Das wird nicht klar. Am Ende jedenfalls opfert sich die Helfersyndrom-Geplagte für ihr Holländer-Idol, indem sie sich mit der schwarzen Tüte erstickt.

Licht fällt von hinten, lässt die Plastikseile als Wellen schimmern. Tolle Effekte gibt es, wenn Taschenlampen dahinter frontal ins Publikum leuchten oder von unten die Masse bestrahlen. Das Licht kommt mal von schräg, mal von vorne, mal von der Seite und sorgt für immense Effekte, besser als jedes Plastikmeer. Und als Schiffstaue mag das auch prima durchgehen.

Jennifer Holloway als Senta im „Fliegenden Holländer“ in Hamburg
Jennifer Holloway als Senta im „Fliegenden Holländer“ in Hamburg
Quelle: Hans Jörg Michel

So jedenfalls können die Protagonisten fabelhaft in ihren Arien, Duos und Terzetten verharren, installativ, statisch durchaus, aber nie langweilig – wenn man bereit ist, auf jegliche Regiepsychologie zu verzichten. Den Rest erledigt Wagners jugendlich peitschende, gischtende Partitur. Die Kent Nagano ganz gemächlich auffächert, strukturiert, da muss er keinen Druck machen. Manches Metrum könnte noch wilder ausschwingen, es könnte greller blitzen, doch die vorzüglich aufgelegten Philharmoniker verzahnen sich auf das Engste mit der Szene. Eine gelassen-genaue Lesart, die durch das atemlose Stück selbst an Dringlichkeit gewinnt.

Der Holländer des erfahrenen Thomas Johannes Mayer ist eine gesunde Mischung aus Reststimme und professioneller Erscheinung. Der steht – lange graue Mähne, Vollbart, Tattoos, nackte Haut, Leder – grimmig blickend da wie der Berliner Berghain-Türsteher Sven Marquardt. Auch durch Mayers Schiffsluke wird kaum einer kommen.

Senta im Schürzchen

Genau nach sieben Jahren hat Michael Thalheimer nun wieder mit Kent Nagano an der Hamburger Oper inszeniert. Die Frist ist also um, ihr „Holländer“ ist viel runder, spannender geworden als seine öden, dumpfen, fies zusammengekürzten „Trojaner“ zum Auftakt der Intendanz Georges Delnon/Kent Nagano. Das liegt auch an der ausgewogenen Besetzung. Der seine Schätze als fliegenden Goldstaub herzeigende Handelsherr Daland hat bei dem Bassveteranen Kwangchul Youn inzwischen ebenfalls Mehltau auf der Stimme, aber das passt nicht schlecht zur Figur. Und Temperament besitzt er trotzdem noch.

Katja Pieweck ist eine jugendlich runde Frau Mary, die ihren geifernden Damenchor im roten Kittelschürzchen spielend im Spinnstuben-Griff hat – auch ohne sich drehendes Rädchen. Der beste Sänger ist freilich der Tenor Benjamin Bruns in der ungeliebten Partie des schwächlichen Rivalen Erik. Wie der als verstocktes Riesenbaby um seine Senta fleht und bittet, wie Zärtlichkeit und Verzweiflung zu schön leuchtenden, starken Tönen werden, das ist eine Wohltat souveränen Wagnersingens.

Und großartig auch, dass in Hamburg des Holländers verfluchter Geisterchor nicht vom Band kommt, sondern gezähmt wild und volltönend singend als zweite Abteilung auf der Bühne steht, in – ein schöner Akt der Solidarität – Gestalt des Männerchors der Oper Kiew. Die Ukrainer als sich aufbäumende, wenn auch bei Wagner leider chancenlose Phantomschemen der Meere, das geht weit über den Premierenanlass hinaus und gibt der in ihrer kalten Ästhetik sich genügenden, aber auch gefangenen Inszenierung einen Hauch von Aktualität.

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