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Semiramide. Foto: © Bettina Stöß
Semiramide. Foto: © Bettina Stöß
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Schwarze Seele stirbt in Schönheit: Rossinis „Semiramide“ in Berlin

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Mit der halbszenischen Aufführung von Gioacchino Rossinis letzter italienischer Opera seria „Semiramide“ (Venedig 1823) knüpft die Deutsche Oper Berlin an ihre zum Glück des Publikums seit Jahrzehnten dauernde Reihe mit szenisch locker gestrickten Belcanto-Opern an. Diesmal als bemerkenswerte Kombination mit Giorgio Battistellis „Experimentum mundi“ im Bornemann-Bau der Berliner Festspiele. Dieser empfiehlt sich durch Raumfokus und gute Akustik auch als Spielstätte für große Oper.

Ein Tisch, ein Sektglas, abgestandener Schampus. Es ist schön, wie viel sich mit so wenigen Requisiten erzählen lässt. Dieses Mal wurde das Nachtgespräch Semiramides und ihres Ex-Lovers Assur, diesem ins antike Assyrien versetzte Paar Macbeth, tatsächlich zum Höhepunkt der leider kräftig zusammengestrichenen Rossini-Oper. Nicht wie meist das stratosphärische Duett, in dem eine Königin in ihren kritischen Jahren den eigenen Sohn doch nicht zum Liebhaber umpolt und sich beider Stimmen deshalb hyperästhetisch umranken müssen. So geht irrealer Hedonismus. Die erste, leider nicht sonderlich gut besuchte der beiden Vorstellungen von Rossinis letzter italienischer Opera seria im Haus der Berliner Festspiele wurde ein Erfolg der Stimmen und des in Standpositionen belassenen Chores der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Jeremy Bines). Einmal mehr kultivierte das Orchester der Deutschen Oper Berlin seinen individuell weichen Belcanto-Ton mit den immer wieder pikanten bis brillanten Details der stark geforderten Piccoloflöte, der Hörner und der runden Streicher. Mit Corrado Rovaris stand ein Kenner und Könner am Pult, dem das hochkomplizierte Werk und dessen aberwitzige Herausforderungen wichtiger sind als Dirigiertänze und Show. Oft macht er gar nichts, lässt Instrumentalvaleurs ihren schönen Fluss und Rossinis koloraturengespickten Stimmumlaufbahnen ihren wunderschönen Gang. In der längengefährdeten Vokalexhibition „Semiramide“ gibt es diesmal weder Durchhänger noch matte Stellen. Der Szenenapplaus für dieses bravouröse Gesamtpaket war schmählich gering.

Philine Telzel machte in ihrer dramatischen Aufstellung der kantigen Figuren aus dem alten Babylon eine heutige Galleria Babilonia und aus der macchiavelistisch-mannstollen Frauenphantasie, die Gaetano Rossi für sein Libretto aus Voltaires Tragödie zog, eine Chefin unter knallblonden Strähnenspitzen. Arsace, offenbar Feuilleton-Ikone, liefert wie am Fließband Semiramide-Facepics in Acylfarben und Übergrößen von Warhols Marilyns. Auch sonst sind alle vernetzt und verklüngelt im freien Fall zwischen Privat und Kunst-Profession. Natürlich gibt’s den Mord an Semiramides Mann Ninos als Schwarzweiß-Video in Endlosschleife. Das Tatwerkzeug war die goldene Schere, mit der Semiramide die roten Bänder ihrer Vernissagen durchschneidet. Sie hat einen elegant-eloquenten Geschäftsführer Oroe (Bogdan Talos) und eine in Kunst und Liebeskunst von Rossini unbeschreiblich schmal gehaltene Mäzenin Azema. Es liegt nicht an Maria Motolygina, dass sie so überhaupt nichts von ihren Meriten zeigen kann, sondern am Stück. Levy Sekgapane als ‚Voice Artist‘ Idreno darf in nur einer Arie glänzen, was wegen seines schönen Materials und Ausdrucks schade war.

Neben ihm braucht es in dieser Haupt- und Staatsaktion noch drei andere Ausnahmepersönlichkeiten mit Stimme, vokalem Charisma und Kondition. Der Abend wurde nicht olympisch, aber immerhin zu einem dem Stück in jeder Hinsicht angemessenen Fest. Beth Taylor fiel bereits in Frankfurt und Erl als Protagonist in „Bianca e Falliero“ auf. Ein dunkler Mezzo mit mehr viriler Dynamik als Rubintönen, der in Arsaces Duetten neben der lüsternen Mutter empathisch lichte Farben zeigt. Trotzdem wird bis zum Schluss nicht deutlich, nach welchen Konzeptsträngen Semiramide in ihrem von fragwürdigen Neigungen gefährdeten Kunstimperium agiert. Es ist auf alle Fälle ein modernes Unternehmen, in dem neben viel kriminellem Potenzial der Wahnsinn nistet. Musikalisch wurden dagegen mit Vorliebe Rossinis dem Wahnsinn gewidmete Stellen gestrichen hatte wie Assurs große Arie. Riccardo Fassi ist als Assur der Held und Star des Abends: Ein das Böse in strategischer Schönheit und perfekten Belcanto verhüllender Stilist aus Charisma, vokaler Potenz und Sinnlichkeit. Dahinter fiel Salome Jicia in der Titelpartie minimal ab, was wiederum an Rossini liegt. Der stattete Semiramide nämlich mit ähnlich elegischen Melodie-Expansionen aus wie seine moralisch lauteren Heroinen von Amenaide bis Anna Erisso. Die Interpretinnen müssen demzufolge den vokalen Heiligenschein mit Nachtschatten verdüstern und stählen. Das gelingt nur wenigen Semiramide-Sängerinnen. Salome Jicia bildet da keine Ausnahme, wenn ihr Material in Chiaroscuro-Schimmer des schönen Sterbens bezwingender leuchtet als unter den sie heimsuchenden Dämonen der Vergangenheit. Zur Bestandsaufnahme über Umtriebe im Kunstbetriebe auch deshalb nicht ganz, wohl aber zu einem Belcanto-Fest mit starken Individuen und idealen Stimmen.

  • Besuchte Vorstellung: 20. Oktober 2022, wieder am 22. Oktober

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