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Wagners „Tannhäuser“ in Lyon. Foto: Agathe Poupeney
Wüstenplanet: Wagners „Tannhäuser“ in Lyon. Foto: Agathe Poupeney
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Androide retten Ritter: Wagner „Tannhäuser“ an der Opéra National de Lyon

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David Herrmann verlegt das Mittelalter von Wagners „Tannhäuser“ auf einen Wüstenplaneten wie im Fantasy-Film. Daniele Rustioni – gefeierter junger Dirigent in Lyon (dort als Chefdirigent) und München mit italienischem und französischem Repertoire – agiert bei seinem ersten Wagner mit jedem Akt erfüllter und spannungsgeladener.

Was hat Wagners „Tannhäuser“ schon alles aushalten müssen: Eine Biogasanlage in Bayreuth oder jede Menge Ado-Goldkante-Gardinen und allmähliche Verwesung der Leichname von Tannhäuser und Elisabeth wie bei Romeo Castellucci in München. Da liegt hippes Mittelalter à la Fantasy-Film doch eher nahe und wer will schon Sex-Gymnastik von Ballett-Tänzern im Thüringer Hörsel- alias Venusberg sehen?

Also traf David Herrmann, dessen jüngste Frankfurter Regie-Arbeiten wie Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ und der grandiose Schönberg-Martin-Abend „Warten auf heute“ noch in bester Erinnerung sind, die richtige Entscheidung, als er Venus als  glatzköpfige Androidin im hautengen Glitzerlook auf die Bühne brachte. Ganz zu Beginn noch während der Ouvertüre erinnert sie an die Maschinen-Frau in Fritz Langs berühmtem Stummfilm „Metropolis“. Tannhäuser verliert sich buchstäblich in Fantasie-Welten, aber auch wenn er vermeintlich in die Realität des Landgrafs, seiner Sänger-Freunde und Elisabeths zurückkehrt, verharrt er im Fantasy-Film. Kaum auszumachen, welche Sci-Fi-Streifen Jo Schramm zitiert, zusammen mit den effektvollen Kostümen von Bettina Walter entsteht eine mal prächtige, mal schäbige Welt, die reichlich Assoziationsspielraum bietet.

Die Frühlings-Aue etwa dominiert ein riesiges (Schutz-)Schild, auf dem sich der geriffelte Sand-Boden je nach Beleuchtung immer wieder anders, aber stets magisch spiegelt. Den Jeep, mit dem die Sänger und der Landgraf hereinfahren, könnte man auch auf dem Mond benutzen. Die Gäste beim Sängerkrieg des zweiten Akts sind ein ungehobelter, exzentrischer Haufen: Naturbelassene Kerle mit üppigen Mähnen und Bärten in prächtig-verrückten, viril-kämpferischen Kostümen, die Frauen weitaus eleganter eingekleidet, aber ebenso proletenhaft derb agierend. Das hat ein durchaus humoristisches Potenzial.

Wie klinisch rein ist dagegen die Welt der Venus. Schon zum Bacchanal, hier ganz ohne Tänzer, bekommen wir mittels riesiger, sich drehender Video-Animation auf dem Gaze-Vorhang Einblick in ihr technisches Innenleben. Leider besitzt die Szene danach kaum Verführungskraft, aber das erklärt vielleicht, warum Tannhäuser unbedingt weg will, so intensiv und erotisch Irène Roberts auch singen mag in der Tristan-nahen Pariser Fassung, in der der erste Akt gespielt wird und Venus viel mehr Raum hat als in der Dresdner Urfassung. Zwischen dieser Venus und den derben Mittelalter-Menschen ist eine Androidin Mittlerin. Im Venusberg noch aufmüpfiger Personal Assistent der Chefin, mutiert sie zur Hirtin, die mit „Holda“ Venus beschwört, wird später von den Sängern gefangen genommen und als Trophäe präsentiert, der man ihre elektronischen Funktionsfähigkeit geraubt hat.

Die größte Entdeckung des Abends, wenn auch keineswegs mehr unbekannt: die Südafrikanerin Johanni van Oostrum. Schon ihre Hallenarie, die hier einem in die Jahre gekommenen Militärcamp mit Wachtürmen und beweglichen Arrest-Gittern irgendwo in der Wüste gilt, singt sie fulminant und in jeder Silbe wortverständlich in fast männlicher Kleidung und Springerstiefeln, die sie zum Sängerkrieg in eine elegante, grausilbern schillernde Robe tauscht. Was für ein Narr war dieser Heinrich (Stephen Gould ist leider mit gepressten Stentor-Tönen, worunter auch die Intonation leidet, nicht zuletzt schauspielerisch wenig attraktiv), dass er angesichts einer derart taffen Frau ins Cyber-Reich entflieht. Van Oostrum ist eine eminent glaubwürdige Singschauspielerin mit großer Bühnenpräsenz, die mit Mimik und Gestik in jedem Moment ungemein präsent ist. Christoph Pohl verkörpert mit schönem Bariton einen durchaus charismatischen Wolfram, um dessen Qualitäten Elisabeth weiß, wie so mancher Blick und einige Gesten andeuten. Aber dann zieht sie doch den Revoluzzer vor.

Daniele Rustioni dirigiert zwei Akte solide und umsichtig, aber anfangs der Szene entsprechend wenig sinnlich. Er vermag nicht nur die großen Bögen am Ende des ersten und im zweiten Akt souverän zu wölben, sondern auch stets eine enge Verbindung zwischen Szene und Graben herzustellen. Aber mit dem Vorspiel zum dritten Akt kommt die Offenbarung. Wie fein die Bläser des Orchesters der Oper Lyon da musizieren, wie fortan permanent höchste Spannung herrscht, wie jede Instrumentengruppe subtil leuchtet, das zeigt den an italienisch-französischem Repertoire geschulten Dirigenten.

Am Ende stirbt Elisabeth nicht, nachdem sie von Wolfram in seinem Lied an den Abendstern als Sternbild Venus an den Himmel projeziert wird, sondern steigt in die künstlichen Paradiese der Venus hinab, erscheint nach der verzückten Nennung ihres Namens durch Tannhäuser an der Seite der Venus-Botin wieder auf der Erde und reicht Venus die Hand. Musikalisch wie szenisch dann ein überzeugendes Finale: Sechs Doubles der Venus bringen den Menschen Lichtstäbe (keine Schwerter!) und erlösen sie. Denn nicht die Pilger singen hier das große Chorfinale, sondern die ganze Wartburg-Gesellschaft: „Halleluja!“

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