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„Salome“ an der Pariser Bastille-Oper. Foto: Agathe Poupeney / Opéra national de Paris
„Salome“ an der Pariser Bastille-Oper. Foto: Agathe Poupeney / Opéra national de Paris
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Bereit, nur nicht zum Tanz: „Salome“ an der Pariser Bastille-Oper

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Die Pariser Oper fängt die Spielzeit mit drei Repertoire-Ausrufezeichen an. Auf die Neuproduktion der „Salome“, die jetzt Premiere hatte, folgen Wiederaufnahmen der „Zauberflöte“ und „Tosca“ mit entsprechenden Starbesetzungen. Damit kann man, wenn man das Riesenhaus nach den Coronaeinschlägen in die Bilanzen wieder füllen will, nun wirklich nichts falsch machen.

Da mit Robert Carsen und Pierre Audi als Regisseure der beiden Wiederaufnahmen Publikumslieblinge ohne Verschreckungspotenzial auf dem Programm stehen, ist die aktuelle „Salome“-Inszenierung von Lydia Steier geradezu gewagt. Die hätte wohl auch bei einem Teil des in Sachen Regiekonzepte deutlich toleranteren (weil mehr gewöhnten) deutschen Opernpublikums einige Buhs kassiert. Allerdings gab es in der Bastille auch vernehmlich Zustimmung.

Geboten wurde auf jeden Fall eine entfesselte Opulenz der Bilder. Im Grunde ist es das genaue Gegenteil von dem, was Barrie Kosky mit seiner Fokussierung allein auf Salome in einem Nichtraum in der Frankfurter Oper gemacht hat. So wie er dabei der Musik und dem Gesang die Erschaffung der Bilder in der Fantasie der Zuschauer überließ, setzt Steier auf all das, was man sich zu dieser Geschichte gewöhnlich vorstellt, noch einen drauf. Der Innenhof des Palastes von Herodes ist bei Bühnenbildner Momme Hinrichs besonders wuchtig und beklemmend. Vor dem Tanz der Salome öffnet sich die Wand für für eine gewaltige Freitreppe, auf der der gesamte Hofstaat Platz hat und wie auf dem Präsentierteller hereingefahren wird. Die schmale Treppe an der Seite hinauf zum Palast ist besonders steil und hoch. Dort oben gibt es ein riesiges Panoramafenster hinter dem der Hofstaat sein Unwesen treibt. Andy Besuch hat für die Kostümierung des Hofstaates alle Zügel schießen lassen. Außer im Falle von Salomes asketisch weißem Kittel und der Anzuguniformierung der Juden (die alle Zigarre rauchen) übertrumpft bei ihm eine Verrücktheit die andere.

Gleich zu Beginn führen drei Männer in gelben Schutzanzügen und die beiden Soldaten in schwarzen Kampfuniformen mit Maschinenpistolen (Marke Kalaschnikow) auf eine falsche Fährte Richtung postapokalyptischer Seuchen-Dystopie. König Herodes kommt da nicht nur mit wehendem Mantel, sondern auch mit ebensolchem Kopfschmuck wie ein Indianerhäuptling daher. Der Clou ist die Kleiderordnung der Königin Herodias, die ihre  gepiercten Brüste gleich offen zur Schau trägt, und sich nach Lust und Laune an den Soldaten als Objekte der Begierde bedient.

Wenn diese permanente Übergriffigkeit in der als Tanz der Salome angekündigten Szene in eine Orgie eskaliert, an der sich alle beteiligen, in dem sie über Salome herfallen, nach dem der König sie entkleidet und ausführlich begrapscht hat, zieht sich die Königin immerhin (mit „ihrem“ Soldaten) in den Palast zurück und lässt die Rollos runter. Als sie wieder auftaucht und ihre jetzt blutverschmierte missbrauchte Tochter sieht, nimmt man ihr das Erschrecken, das ihr dabei ins Gesicht geschrieben ist, durchaus ab. Obwohl diese Herodias natürlich auch hier eine antreibende Protagonistin der Dekadenz am Hofe ist. Es ist grandios wie Karita Mattila sich in diese Rolle hineinsteigert, auch mal höhnisch lachend mit dem Publikum (am Hof und im Saale) paktiert.

Vom ersten Ton an erleben wir im leicht abgedunkelten aber immer klarer werdenden Panoramafenster das Treiben einer Hofgesellschaft, die von Fellinis Satyricon - Verfilmung inspiriert scheint. Samt dauernd zugeführtem und nach sadistischem Gebrauch entsorgtem menschlichen Frischfleisch. Die Leichen (mache von ihnen sogar in Einzelteilen) werden unten im Hof kurzerhand in einem Abgrund geworfen. Diese Szenerie oben im Palast will man sich an der Rampe und in voller Beleuchtung garnicht so genau vorstellen. Für den Fortgang der Handlung relevant ist der Selbstmord Narraboths und dessen Folgen. Er schießt sich in den Kopf, was Salome nicht mal zur Kenntnis nimmt, weil sie gerade Jochanaan auf den Pelz rückt. Auch er wird vom Soldaten in den Abgrund geworfen, allerdings mit spürbarer innerer Anteilnahme. Beim auf Narraboth fixierten Pagen hat das alles Folgen. Bei ihm führt es zu einem solchen Hass auf die ganze Bagage, dass er am Ende oben im Palast Amok läuft und auch den König kurz nach dessen Befehl  „Man töte dieses Weib!“ erschießt.

Die Opfer-Bilanz dieser „Salome“ ist nicht nur beim Personal um sie herum deutlich höher als sonst. Es betrifft auch sie selbst. Ein Soldat hatte ihr nicht nur den Kopf des Jochanaan überbracht, sondern sie in Verbindung damit auch selbst brutal niedergeschlagen. Mit dem verpacktem Kopf vor sich, das Gesicht am Boden und mit letzter Kraft schleppt sie sich mühsam nach vorn. Ihren großen Schlussmonolog singt dann die aufrecht stehende Elza van den Heven wie als Traum ihres kriechenden Doubles. In dieser Utopie küsst sie auch nicht nur den Kopf des Propheten, sondern der steht ihr in seinem Käfig leibhaftig (und körperlich unversehrt) gegenüber und entschwebt mit ihr gemeinsam einer Wirklichkeit, die nichts Lebenswertes mehr bietet.

Diese Fluchtutopie, zu der sich Salome im Angesicht des Todes aufschwingt und die Zustände, denen sie entflohen ist, könnte man für ein subversives szenisches Plädoyer halten, das die mörderische Hemmungslosigkeit ihres Begehrens zumindest etwas relativiert. Andererseits aber relativiert wiederum eine so drastisch und eingängig bebilderte Perversität der Gesellschaft, auch Salomes Verantwortung für ihr eigenes Tun. Und dass der Fundamentalist mit seinen Donnerflüchen aus der Grube, und die zur blutigen Rache entschlossenen Subalternen, die zur Tat schreiten, Recht behalten sollen, ist ebenso eine ziemlich unbehagliche Perspektive. Wenn es mehr als nur die Lust an der Opulenz gewesen sein sollte, hinterlässt diese Inszenierung mithin eine Reihe von herausfordernden Fragen. Was ja nicht das schlechteste ist, was man von einer Inszenierung sagen kann.

Simone Young sorgte am Pult des Orchestre de l’Opéra national de Paris für einen raumfüllenden, opulent flirrenden Straussklang, lässt den melodischen Schmelz und die glimmende Leidenschaft aufscheinen, fast durchgängig mit sensiblem Gespür für die Stimmen. Elza van den Heever wurde für ihr Rollendebüt zu Recht gefeiert – sie vereint Durchschlagskraft mit dosiert aufscheinender Leidenschaft und kommt ohne jeden Überdruck aus. Iain Paterson wird gelegentlich vom Orchester überdeckt, ist aber ein insgesamt überzeugender Jochanaan. Tansel Akzeybek ist als Narraboth von lyrischer Zurückhaltung, Katharina Magiera besticht mit tragender Eloquenz als Page. Mit herausragende Rollenporträts glänzen sowohl Karita Mattila als Heriodias als auch John Daszak als Herodes. Auch die übrige Besetzung passt zu den Protagonisten in der ersten Reihe. Mit dieser „Salome“ hat sich die Pariser Oper auf dem ihr gebührenden Niveau zu Wort gemeldet.

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