La scuola degli amanti” – eine Schule der Liebenden. Tatjana Gürbaca nimmt diesen Untertitel von Così fan tutte für ihre Inszenierung am Nationaltheater Mannheim beim Wort. Zuerst macht das Pensum Spaß, im zweiten Akt dagegen wird es bitterer Ernst. Die Regisseurin zeigt höchst einfühlsam und in exzellenter Personenregie die Entwicklung zweier liebender Paare aus ihrer spätpubertären Verliebtheit hin zur Reife des Liebens. Am Schluss werden die Hauptpersonen ziemlich zerrupft aus dieser Schule ins Leben entlassen.

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Così fan tutte
© Maximilian Borchardt

In den ersten Szenen ist die Blauäugigkeit der Figuren offenkundig. Die zwei Jungspunde Guglielmo und Ferrando sehen und hören wir beim Badminton-Match von ihren Verlobten prahlen: Schön sind diese natürlich, aber vor allem treu! Berauscht von ihrem Glück ziehen sie eine übermütige Show ab. Ihr Freund Alfonso ist da skeptisch, beständige Treue spricht er den Frauen ab. 

Nächstes Bild: die beiden 15-jährigen Schwestern. In elegantes Weiß gekleidet und relaxed am Boden ausgestreckt, zeigen sie sich gegenseitig verzückt die Bilder ihrer Verehrer. So tolle Männer und so viele Schmetterlinge im Bauch! Seunghee Kho als Fiordiligi und Shachar Lavi als Dorabella zwitschern förmlich vor Glück. Man ahnt, durch diese rosa Brille betrachtet, kann es eigentlich so nicht weiter gehen.

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Così fan tutte
© Maximilian Borchardt

Und geht es auch nicht! Wie wir wissen, fädelt Alfonso ein Experiment ein. Die Männer machen wechselseitig ihre Freundinnen verliebt, womit deren Untreue bewiesen werden soll. Überraschend müssen sie in den Krieg. Schon marschieren die Soldaten auf (in der Uniform Napoleons, die Premiere war am 14. Juli!). Es wird zu wunderschöner Musik Abschied genommen, der geschmeidige Orchesterklang ist lyrischer Wohlklang vom Feinsten. Den Frauen zerreißt es das Herz, bestens bei Stimme spielen Guglielmo (Ilya Lapich) und Ferrando (Juraj Hollý) perfekt ihre Rollen und Alfonso (Bartosz Urbanowicz mit klangvollem Bariton) platzt fast vor Vergnügen. Er ist der Lehrer bei dieser Versuchsanordnung und nicht wie oft ein bloßer Zyniker, sondern neben Despina (wundervoll selbstbewusst: Csilla Csövari) auch mit gehöriger Selbstironie begabt.

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Juraj Hollý, Csilla Csövari, Seunghee Kho, Shachar Lavi, Bartosz Urbanowicz, Ilya Lapich
© Maximilian Borchardt

Gürbaca zeigt ihre Figuren mit liebevoller Ironie. Wie bei Mozart und da Ponte wird keine bloßgestellt, aber das Verhalten und die Situationen bringen das Publikum an diesem Abend ungewöhnlich oft zum Lachen. Die Regisseurin traktiert hier kein Konzept, sondern zeigt mit scharfem Blick, wie es mit der Liebe so gehen kann.

Die ersten Anbahnungsversuche wollen noch nicht recht gelingen. Ziemlich täppisch stellen sich die Männer an, machen einfach Biwak im Wohnzimmer der Schwestern, präsentieren sich als tolle Hengste und starten so manchen übergriffigen Coup. Nur mühsam können sich die Frauen erwehren. Da wird schon mal zum Pfefferspray gegriffen, bis die Männer mit der Selbstmordmasche kommen, aber Despina, die fleißige Putzfrau regelt das Problem mit der Scheuerbürste. Den faulen Zauber mit der Heilkraft des Mesmerschen Magnetismus braucht es hier nicht. Als die Männer wieder bei Kräften sind, schmeißen sie sich noch dreister ran und der Akt endet mit einem turbulenten Schattenboxen im Kampf der Geschlechter.

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Juraj Hollý (Ferrando), Ilya Lapich (Guglielmo), Seunghee Kho (Fiordiligi),Shachar Lavi (Dorabella)
© Maximilian Borchardt

Noch beteuern die Schwestern ihre Standhaftigkeit, wie ein Felsen in der Brandung will Fiodiligi widerstehen. Fantastisch meistert Seunghee Kho diese Arie mit den heiklen Abstürzen über mehr als eine Oktave. In eine Depression will sich Dorabella stürzen. In einer hoch expressiven Szene – wie pubertärer Liebeskummer – beteuert Shachar Lavi in Rezitativ und Arie: „Mich peinigt unerbittliche Qual.”

Doch nicht ganz ohne Hilfe der realistischen Despina wendet sich das Blatt im zweiten Akt. Hier nehmen die Frauen das Heft in die Hand und die balzenden Männer sehen dagegen lächerlich aus. Alfono muss ihnen zeigen, wie es auch galant geht. Nicht so schwer fällt es Guglielmo mit viel Schmeicheln Eindruck bei Dorabella zu schinden. Die ist ohnehin einem Abenteuer nicht abgeneigt. Spontan wagt sie sogar einen flüchtigen Kuss. In schöner Harmonie singen sie ihr Duett und schenken sich gegenseitig ihr Herz und Guglielmo ihr seine Regimentsplakette.

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Shachar Lavi, Juraj Hollý, Bartosz Urbanowicz, Ilya Lapich, Seunghee Kho
© Maximilian Borchardt

Tief aber leidet Fiordiligi. Anrührend stellt Seunghee Kho diese Gefühle dar. Sie möchte lieber dem Geliebten ins Feld folgen, als untreu zu werden. Ferrando muss nochmals mit Selbstmord drohen, bis Fiordiligi erkennt, dass Mitleid zu erwecken die stärkste Waffe ist. Wie Zerlina ergibt sich sich: „non son piu forte”. Der Felsen ist (vorläufig) gestürmt.

Nun haben die Männer anscheinend gesiegt und doch verloren. In ihren Gefühlswirrwar aus Eifersucht und Triumph, Schuldzuweisungen und Selbstmitleid gehen sie sich fast an die Gurgel. Sie müssen erkennen, wie volatil die Macht der Erotik auch für sie ist. Alfonso fädelt eine rasche Hochzeit ein, wobei Despina als falscher Notar in Freudschem Vertun fast die Kontrakte verwechselt. Seifenblasen rieseln vom Bühnenhimmel, das Glück scheint perfekt. Aber der Krieg ist aus, lädierte Soldaten queren die Bühne und die „echten” Geliebten kehren zurück. Kurze Erklärung, doch kein wirkliches Verzeihen. Mühsam gesellen sich Dorabella und Ferrando wieder zusammen. Aber Fiodiligi flüchtet aus der Szene, sie kann und will nicht ins alte Leben zurück. So ist das Finale hier alles andere als glücklich. Wie halt im richtigen Leben auch nach derlei Vorkommnissen.

Noch viel wäre zu erzählen von dieser schönen Inszenierung: die witzige Ausstattung des Chors als fein parodierte Schäferidylle, das eindrucksvoll schlichte Bühnenbild in asiatischer Anmutung oder das flexible Dirigat Gábor Kális. Man sollte sich diese Produktion einfach ansehen!

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