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Mensch Wagner: Brigitte Fassbaender inszeniert „Die Walküre“ bei den Tiroler Festspielen

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Wotan (Simon Bailey, re.) und Brünnhilde (Christiane Libor, li.) an der Leiche Siegmunds (Clay Hilley), über die sich Sieglinde (Irina Simmes) geworfen hat.
Wenn Blicke mehr sagen als das sonst übliche Konzeptgewese: Wotan (Simon Bailey, re.) und Brünnhilde (Christiane Libor, li.) an der Leiche Siegmunds (Clay Hilley), über die sich Sieglinde (Irina Simmes) geworfen hat. © Xiomara Bender

Szenischen Tand gibt es keinen, dafür viele kluge Details und fünf Stunden Schauspiel-Intensität: Mit Wagners „Walküre“ glückt Brigitte Fassbaender in Erl eine ihrer besten Regie-Arbeiten.

Einen utopischen Moment gibt es in diesem Stück. Wenn Siegmund seinen „Winterstürme“-Hit anstimmt und die Möglichkeit aufglimmt: Warum sollte dieser Held nicht mit Sieglinde in ewiger, auch körperlicher Liebe glücklich werden? Hier, auf der kargen Bühne des Erler Passionsspielhauses, hält er die Zwillingsschwester im Arm, wiegt sich plötzlich mit ihr im zärtlichen, nur angedeuteten Tanz – und selbst Wagner-Nerds müssen in diesen Sekunden schlucken.

Dass „Die Walküre“ im „Ring des Nibelungen“ schon immer am meisten berührt, ist eine Binse. Doch so allzumenschlich, so wissend weise in den Details ist sie einem wohl noch kaum begegnet. Dafür braucht es im Grunde gar nicht viel und doch das Allerschwerste: einfach sich den Text vergegenwärtigen, ihn hinterfragen, parallel auf die kommentierende Musik hören und daraus eine Regie formen, die alles von innen nach außen entwickelt. Die beim denkenden, empfindenden, handelnden Menschen anfängt und dort bleibt, anstatt alles mit Konzeptgewese zuzukleistern.

Zum Walkürenritt werden nackte Helden gewaschen

Brigitte Fassbaender ist dies wenige Tage nach ihrem 83. Geburtstag in Erl gelungen. 2021 startete sie dort mit dem „Rheingold“ ihren Tiroler „Ring“, mit der „Walküre“ hat sie sich heuer übertroffen. Es ist sogar eine ihrer besten Inszenierungen geworden. Eine Unmenge von Details gibt es, teilweise auch humorvolle, die vollkommen stimmig sind, und man fragt sich: Warum ist da noch keiner draufgekommen? Die zwei Gläser Wasser, die Sieglinde dem gehetzten Siegmund reicht, bevor sie Met kredenzt und er die Flasche würdigt (tatsächlich finden sich drei solche Augenblicke im Werk). Oder der kurze Blick Siegmunds in den Spiegel, wenn er sich als „Unseligen“ erkennt. Oder wenn Sieglinde ihren Kopf im Schoß des Bruders birgt, während der Nothung aus der Esche zieht – und so dezent wie hintergründig die Erotik des Schwert-Motivs deutlich wird.

Eine Sitzgruppe im ersten Akt, ein Schreibtisch im zweiten und ein Quader als „Walkürenfelsen“ im dritten (Ausstattung: Kaspar Glarner), mehr braucht’s dafür nicht. Fürs Atmosphärische gibt es schließlich die Videos von Bibi Abel. Zum sonst martialischen Walkürenritt waschen die Kriegerinnen hier behutsam nackte Krieger. Und einmal verweist die Fassbaender auf Künftiges, wenn Waltraute aus der Walküren-Schar als Aufmüpfige heraustritt – man wird später in der „Götterdämmerung“ erfahren, warum. Unmöglich, jede Kleinigkeit dem Ensemble in den Proben anzutrainieren. Die Regisseurin muss auch große Motivationsarbeit geleistet haben, die zur Eigeninitiative anstachelt. Und höre da: Das schlägt sich nieder im Gesang.

2023 folgen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“

Vor allem bei Irina Simmes und ihrer ersten Sieglinde. Man vernimmt eine schlanke, flexible, lyrisch sozialisierte Stimme mit jubelnder Höhe, die über sich hinauswächst – obwohl sie vorerst bei Elsa oder Elisabeth besser aufgehoben wäre. Simon Bailey verfügt über kein typisches Wotan-Geschütz, was gar nichts macht. Alles ist bei ihm klug und diktionsklar aus dem Wort entwickelt. Christiane Libor bringt ihre hochdramatische Erfahrung ein und begreift ihre Brünnhilde doch wie neu. Clay Hilley muss mit einem Kostüm-Unfall als Mitglied der Kelly-Family zurechtkommen. Doch dank seines hellen, musterhaft fokussierten Tenors kann er mit der Siegmund-Partie fast spielen, inklusive überlang gehaltener „Wälse“-Rufe. Claire Barnett-Jones gerät als Fricka nie ins Plakative. Die Bass-Stimme von Anthony Robin Schneider ist reif für den Schönheitspreis, folglich ist sein Hunding auch Sympathieträger – bis zum fein herausgearbeiteten Moment kurz vor dem Tod dieses ausgebooteten Ehemannes: Da erkennt er, in welchen Götterzwist er hineingeraten ist.

Es scheint in diesen fünf intensiven Stunden, als hätten sich die Tiroler Festspiele als Ort des Schauspiels neu erfunden. Dass dies (noch) nicht ganz zusammengeht mit der Musik, ist ein kleines Problem. Erik Nielsen, seit diesen Sommer Chefdirigent in Erl (und damit qua Amt Nachfolger des längst geschassten Gustav Kuhn), vertraut auf den sämigen, samtigen Klang des Festspielorchesters. Der gefällt ihm so gut, dass Akt eins gefährlich durchhängt. Erst später wird die Interpretation dichter, konziser.

Dass Orchester und Dirigent wie immer hinter einem Gaze-Vorhang auf der Hinterbühne agieren, macht es für die Sängerinnen und Sänger leichter. Doch gerade in der besonderen akustischen Situation müsste Nielsen mehr schärfen, zuspitzen und zeigen, welch schwarzes Stück die „Walküre“ auch sein kann. Es ist ja noch Zeit. 2023 bringt Erl „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ heraus, 2024 wird der komplette „Ring“ gezeigt. Und so viel ist schon jetzt klar: Das dürfte, gerade im Verzicht auf szenischen Tand (den die rudimentäre Technik des Passionsspielhauses auch gar nicht zulässt), einer der zurzeit bemerkenswertesten werden.

Weitere Vorstellungen
am 15. und 17. Juli; Näheres zum übrigen Programm und zum Vorverkauf unter www.tiroler-festspiele.at.

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