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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Die Meistersinger von Nürnberg

Nachts in der Hochschule

(Berlin, 12.6.2022) Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito machen in ihrer Neuinszenierung der deutschesten aller Wagner-Opern nicht das ganz große historische Fass auf, dennoch entkommen sie nicht der Rezeptionsgeschichte des Werks.

vonRoberto Becker,

Bei Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock kann man sich darauf verlassen, dass sie als Team in einer Inszenierung auf gekonnte, psychologisierende Personenregie, intellektuellen Tiefgang und auf eine markenähnliche optische Wiedererkennbarkeit setzen. Das war wohl auch ihr Ziel bei den neuen „Meistersingern“ an der Deutschen Oper Berlin. Man kann aber noch so sehr einen eigenen, nicht vorbelasteten Zugang anvisieren und sich im Programmheft auf einschlägige Prominenz beziehen, der Rezeptionsgeschichte und auch -gegenwart entkommt man nicht. Das gilt immer, besonders aber bei Wagner und da natürlich auch bei dessen „Meistersingern“.

Wettsingen in der Hochschul-Aula

Da geht es ja nicht nur wegen Nürnberg, sondern vor allem wegen der Schlussansprache von Hans Sachs besonders „deutsch“ zu. Zumal, wenn der scheidende Intendant der benachbarten Berliner Komischen Oper, Barrie Kosky, in Bayreuth für eine Maßstäbe setzende „Meistersinger“-Interpretation sorgte, die die Komödie ebenso wie die Seelenerforschung der Nation im Blick hatte. Mal ganz abgesehen von seinem Beitrag für die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“, bei der er mit einer anspruchsvoll hintersinnigen Klangcollage an Wagners notorischen Antisemitismus erinnert. So grundsätzlich oder politisch wird es an der Bismarckstraße nicht. Unpolitisch lassen sich die „Meistersinger“ allerdings auch nicht inszenieren. Und da böte die Verlegung von Nürnberg in eine Musikhochschule ja etliche Anknüpfungspunkte im Zusammenhang mit den in letzter Zeit öffentlich gewordenen Fällen von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen auch in diesem Bereich. Es bleibt jedoch bei eher subtilen Andeutungen in dieser Richtung. Immerhin mokieren sich die jungen Leute darüber, dass Veit Pogner seine Tochter Eva als Preis für das Wettsingen in der Hochschul-Aula auslobt. Aber eine echte (Studenten-)Revolte sähe deutlich anders aus.

Szenenbild aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin

Erotisches Bodenturnen

Wobei gerade die Lehrbuben, sprich Studenten, hier eine ziemlich verknäulte Orgie zelebrieren. In erotischem Bodenturnen üben sich selbst Hans Sachs und Eva so eifrig, dass sich sowohl Magdalena als auch Stolzing abwenden, als sie das mitbekommen. Die Überschreibung von Ort und Zeit der Vorlage durch eine Musikhochschule unserer Gegenwart (oder näheren Vergangenheit) wird durch Wagners (bzw. seiner Meister) Regelhuberei und den Diskurs übers kreative Dichten und Komponieren im Stück gedeckt. All das ist auch schon von Tobias Kratzer – politisch aufgeladen – packend durchdekliniert worden. Und die an sich charmant hinterlistige Frage, ob nicht der Contest-Sieger Walther von Stolzing den Kommerz-Schmalz für die Massen liefert und möglicherweise der mit sich und der Welt ringende Beckmesser als Künstler der Avantgardist ist, die beantwortete Katharina Wagner in ihren „Meistersingern“ vor mehr als einem Jahrzehnt in sich schlüssig und eindeutig mit Ja. Das galt analog auch für den veränderten Blick auf Hans Sachs, den Beckmesser ja für einen Spitzbuben hält. In Bayreuth war der am Ende der Konservative. Jetzt in Berlin erweist er sich zumindest als ein Populist. Ihn überrascht der „Wach auf!“-Chor zu seinen Ehren nicht wirklich. Er hält die Hand ans Ohr wie die Aufforderung eines Stars, der seine Fans anstacheln will. Folgerichtig nutzt er seine Ansprache „Verachtet mir die Meister nicht“ zu einem so populistischen Anheizen der Massen, dass die meisten seiner Kollegen geradezu entsetzt sind. Walther von Stolzing und Eva Pogner haben da schon die Flucht ergriffen, geradewegs über den Zuschauerraum, wer weiß wohin.

Szenenbild aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin

Verschenkte Chancen zur Entfesslung der Komödie

Durch die Hochschul-Situation wird aus der gerne ausführlich choreografierten Prügelei ein tumultartig endendes Konzert, das Beckmesser veranstaltet und bei dem die Besucher auf ihren Stuhlreihen zunächst einzuschlafen drohen, bis Sachs den Konzertflügel, den Beckmesser traktiert, seinerseits wie ein Schlagzeug behandelt. Diese Meistersinger bleiben letztlich eine quasi interne Angelegenheit dieser fiktiven Hochschule. Mit ein paar eher verhaltenen Verweisen auf die Diskurse der Gegenwart, ohne das ganz große historische Fass aufzumachen, zu dem diese Oper ebenso herausfordert wie zur Entfesslung der Komödie. Diesmal werden bei dem einen wie dem anderen etliche Chancen verschenkt. Im Detail bleibt vieles so rätselhaft, wie die vorherrschende Vorliebe zu Kunststofflatschen, die am Ende in der Aula zum Dresscode gehört.

Szenenbild aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin

Markus Stenz springt für den erkrankten GMD Donald Runnicles ein

Am Pult des Orchesters der Deutschen Oper war Markus Stenz für den erkrankten GMD Donald Runnicles eingesprungen und legte mit Vehemenz los, fand aber dann doch den passenden Sound, bei dem sich die Protagonisten angemessen entfalten konnten. Er kriegte mit der Zeit auch die forschen Bläser in den Griff – bei der Koordinierung der Chorszenen war er nicht immer so erfolgreich. Wohl aber mit dem hinreißend zelebrierten Quintett zur „Taufe“ von Walthers Preislied. Hier finden sich die Stimmen der ansonsten als Eva zu übermäßiger Aktivität vergatterten Heidi Stober, der forschen Magdalena Annika Schlicht, und ihres David Ya-Chung Huang und von Hans Sachs fein abgestimmt zusammen. Auch der körperbetont spielende Sachs Johan Reuter fügt sich da ein. Unter den Meistern ist Albert Pesendorfer ein ebenso solider Veit Pogner wie Thomas Lehman der beredte Fritz Kothner und Philipp Jekal ein zwar rätselhafterweise von Bewegungsproblemen geplagter, aber stimmlich agiler Sixtus Beckmesser.

Siegeslorbeer für den Walther von Stolzing des Klaus Florian Vogt

Was beim Sängerwettstreit vom Komponisten vorgegeben ist, das erfüllte sich auch im Stück insgesamt. Den Siegeslorbeer heimste Walther von Stolzing ein. Klaus Florian Vogt war in Hochform und bot Stolzing-Genuss vom Feinsten. Die Publikumszustimmung war nur nach dem ersten Akt einhellig. Erste vereinzelte Proteste steigerten sich am Ende zu einem veritablen, wagnertypischen Pro- und Contra des Publikums.

Deutsche Oper Berlin
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg

Ausführende: Markus Stenz  (Leitung), Jossi Wieler, Anna Viebrock, Sergio Morabito (Regie, Bühne & Kostüme), Torsten Köpf (Ko-Bühnenbild), Charlotte Pistorius (Ko-Kostümbild), Olaf Freese (Licht), Sebastian Hanusa (Dramaturgie), Johan Reuter, Albert Pesendorfer, Gideon Poppe, Simon Pauly, Philipp Jekal, Thomas Lehman, Jörg Schörner, Clemens Bieber, Burkhard Ulrich, Stephen Bronk, Tobias Kehrer, Byung Gil Kim, Klaus Florian Vogt, Ya-Chung Huang, Heidi Stober, Annika Schlicht, Günther Groissböck, Agata Kornaga, Constanze Jader, Yehui Jeong, Freya Müller, Natalie Jurk, Oleksandra Diachenko, Michael Kim, Chunho You, Adrian Domarecki, Pablo Helmbold, Kyoungloul Kim, Sotiris Charalampous, Simon Grindberg, Chor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin




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