Wenn der Schwan von dannen zieht: Christian Thielemann erntet noch einmal Jubel bei den Osterfestspielen in Salzburg

Christian Thielemann verabschiedet sich mit Richard Wagners «Lohengrin» von den Osterfestspielen. Deren neuer Intendant Nikolaus Bachler will das einstige Karajan-Festival umfassend neu aufstellen.

Marco Frei, Salzburg
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Überzeugungstäter gegen Aussteiger: Telramund (Martin Gantner, links) geht auf Lohengrin (Eric Cutler) los.

Überzeugungstäter gegen Aussteiger: Telramund (Martin Gantner, links) geht auf Lohengrin (Eric Cutler) los.

Ruth Walz / PD

Er wird gefeiert wie ein Gott. Schon als Christian Thielemann an der «Lohengrin»-Premiere den Graben des Grossen Festspielhauses betritt, bricht grosser Beifall los. Er steigert sich über den Abend bis zum frenetischen Jubel, ein Crescendo der besonderen Art. Ob damit allein die musikalischen Leistungen an diesem Abend gewürdigt werden, darüber lässt sich streiten. Das Publikum in Salzburg scheint vielmehr seine Sicht der Dinge zum Ausdruck bringen zu wollen: Das Spektakel ist nichts anderes als eine Solidaritätsbekundung.

Denn mit dieser Wagner-Premiere verabschiedet sich Thielemann von den Salzburger Osterfestspielen. Seit 2013 hat er die Reihe als künstlerischer Leiter verantwortet. Als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle in Dresden hatte er diesen Klangkörper zudem als festivaleigenes Residenzorchester etabliert. Auch das endet nun – so will es Nikolaus Bachler, seit 2021 firmiert der frühere Leiter der Bayerischen Staatsoper in München als Intendant der Osterfestspiele.

Dirigent mit Wunderharfe: Christian Thielemann leitet die Sächsische Staatskapelle Dresden.

Dirigent mit Wunderharfe: Christian Thielemann leitet die Sächsische Staatskapelle Dresden.

Matthias Creutziger / OFS / PD

Berechtigter Jubel?

Bachlers offizieller Antritt musste pandemiebedingt auf Allerheiligen 2021 verschoben werden. Die diesjährigen Osterfestspiele sind also Bachlers eigentlicher Start. Bis dahin gab es anfänglich einige Konflikte zwischen Thielemann und Bachler – sie sind nämlich beide so etwas wie «Alpha-Männchen», und da war Krach programmiert. Die jetzige Solidaritätsbekundung des Salzburger Publikums dürfte für Thielemann denn auch eine Genugtuung gewesen sein, musste er doch nicht bloss in Salzburg in letzter Zeit einige Kröten schlucken.

So ist 2020 sein Amt als erster Musikdirektor in der Geschichte der Bayreuther Festspiele ausgelaufen. Zwar soll Thielemann der dortigen Wagner-Gemeinde erhalten bleiben, doch in welcher Form genau, das steht bis jetzt noch nicht fest. Im Mai 2021 wurde zudem in Dresden bekanntgegeben, dass Thielemanns Vertrag als Staatskapellen-Chef nicht verlängert wird – nach dem angekündigten Rückzug in Salzburg ein weiterer Paukenschlag.

Für seinen Abgang an der Salzach hat Thielemann nun den Komponisten ausgewählt, der zu seinem Markenzeichen geworden ist: Richard Wagner. Im Vergleich zu seinen Wagner-Dirigaten in Bayreuth geht sein jetziger Salzburger «Lohengrin» mehr in die Extreme. Ob stillstes Piano oder lautstarker Ausbruch: In der dramatischen Verdichtung wagt sich Thielemann in unerhörte Grenzgebiete vor. Allerdings kann die Sächsische Staatskapelle an der Premiere bei diesem Parforceritt nur bedingt mithalten.

In den Fern- und Bühnenmusiken wackelt teilweise die Intonation der Blechbläser, unpräzise überdies einige Einsätze, recht plump in der Klanglichkeit die Oboen und Klarinetten. Zwar entschädigen die Streicher mit ihrem runden, warmen, erdigen Klang, aber als Gesamtleistung ist das zu wenig, zumal für dieses Traditionsorchester. Dessen Salzburger Residenz wirkt an diesem Abend ausgeschöpft. Dass Bachler ab 2023 auf wechselnde Residenzorchester setzen möchte, erscheint da durchaus verständlich.

Ortrud (Elena Pankratova) will ihr Wissen nutzen, um Telramund (Martin Gantner) zum Herrscher zu machen.

Ortrud (Elena Pankratova) will ihr Wissen nutzen, um Telramund (Martin Gantner) zum Herrscher zu machen.

Ruth Walz / PD

Wasserleiche Gottfried

Auch gesanglich ist der Abend solide, aber keine Sternstunde. Eine tiefgehende, bleibende Charakterstudie gelingt vor allem Martin Gantner als Telramund, sehr präsent wirkt zudem Elena Pankratova als dessen intrigante Gattin Ortrud. In der Titelpartie debütiert Eric Cutler, er gibt dem strahlenden Schwanenritter ein eher verschattetes Timbre und eine gewisse Brüchigkeit. Das klingt bereits nach einem spannenden Rollenbild, besitzt aber gestalterisch noch Entwicklungspotenzial. Dagegen wirkt der einst so mächtige Bass von Hans-Peter König als Heinrich etwas matt.

Jacquelyn Wagner hat in der Rolle der Elsa bisweilen Probleme, das riesige Festspielhaus zu füllen. Das wirkt sich auch auf die Inszenierung von Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito aus, denn sie rückt gerade diese Figur in den Fokus. Schon in der Ouvertüre wird hier deutlich, dass Elsa ihren Bruder Gottfried tatsächlich ermordet hat. Ortrud beobachtet die Tat und nutzt dieses Wissen, um es gegen Elsa und ihren Heilsbringer Lohengrin einzusetzen. Am Ende taucht Gottfried buchstäblich als Wasserleiche wieder auf. Leider gelingt es dem Produktionsteam nicht, diese an sich fesselnde Idee stringent durchzuführen. Dafür gab es an der Premiere laute Buhrufe, die allerdings zunächst das Einstudierungsteam der Chöre trafen – das Publikum hatte es offenkundig mit dem Regieteam verwechselt.

Was bleibt, ist die Ankündigung Bachlers, dass das Gewandhaus-Orchester Leipzig und sein Chefdirigent Andris Nelsons bei den nächsten Osterfestspielen 2023 gastieren werden. Manche erkennen auch hierin einen Seitenhieb Bachlers auf Thielemann und die Staatskapelle: Herrscht doch nicht nur historisch zwischen den beiden sächsischen Metropolen Leipzig und Dresden eine Art Dauerkonkurrenz, sondern auch zwischen den beiden Dirigenten. So soll es im Vorfeld der Bayreuther Festspiele 2016 zu offenen Reibereien zwischen Nelsons und Thielemann gekommen sein. Nelsons hatte damals die «Parsifal»-Leitung kurzfristig niedergelegt.

«Mit mir sollst du zum Münster gehn»: Noch folgt Ortrud (Elena Pankratova) Elsa (Jacquelyn Wagner) demütig zu deren Trauung mit Lohengrin.

«Mit mir sollst du zum Münster gehn»: Noch folgt Ortrud (Elena Pankratova) Elsa (Jacquelyn Wagner) demütig zu deren Trauung mit Lohengrin.

Ruth Walz / PD

Risikoreiche Neuausrichtung

Im nächsten Jahr wird sich nun zeigen, wie sich die Leipziger unter Nelsons bei den Salzburger Osterfestspielen mit Wagner schlagen. Auf dem Programm steht dann eine Überarbeitung der «Tannhäuser»-Inszenierung, die Romeo Castellucci 2017 für die Bayerische Staatsoper erarbeitet hat. Jonas Kaufmann debütiert in der Titelrolle. Für Aufmerksamkeit dürfte ausserdem die Aufführung des 2019 vollendeten Orchesterwerks «Der Zorn Gottes» von Sofia Gubaidulina sorgen. Zudem sollen erstmals Tanz und Elektro-Musik integriert werden. So steht die Uraufführung einer Choreografie von Emanuel Gat zu den «Wesendonck-Liedern» Wagners an, und der deutsche DJ WestBam will seine Elektroakustik mit Wagner verschmelzen. Ob das in Salzburg Anklang findet, wird sich weisen.

Dabei geht es gar nicht so sehr um das Publikum der Osterfestspiele, sondern um die «Marke» selber. Das einst von Karajan als Leistungsschau gegründete Festival, das bis heute unabhängig von den grossen Sommerfestspielen ist, sollte nicht zu dem vielerorts üblichen «Gemischtwarenladen» werden. Denn für eine Reihe, die ohne staatliche Förderung auskommt, wäre eine Verwässerung des Profils fatal. In Salzburg dürfte klar werden, was Bachler als Intendant wirklich kann.

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