Richard Wagners romantische Oper Lohengrin ist untrennbar mit Dresden und seinem Orchester verknüpft, denn nach den Uraufführungen von Rienzi, Der Fliegende Holländer und Tannhäuser am Königlichen Hoftheater Dresden komponierte er die Oper um den Schwanenritter für die Dresdner Hofkapelle und konzipierte das Werk auch besonders in Hinblick auf die Sänger*innen der sächsischen Hofoper. Und obwohl sein Lohengrin aufgrund Wagners Beteiligung an revolutionären Aufständen und seine damit verbundene Flucht erst ein Jahrzehnt nach der Weimarer Uraufführung in Dresden aufgeführt wurde, prägte sich alsbald der Ausspruch: „Kein Lohengrin-Vorspiel ohne die Dresdner Geigen“. Denn das von Wagner als „Wunderharfe“ bezeichnete Orchester mit dem überaus homogenen, sphärischen Streicherklang wurde so eng mit der Aufführungsgeschichte der Oper verbunden.

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Lohengrin
© Ruth Walz

Und auch heute – über 170 Jahre später – steht die Sächsische Staatskapelle Dresden noch für musikalische Exzellenz, was sie seit fast 10 Jahren mit ihrem Dirigenten Christian Thielemann bei den Osterfestspielen in Salzburg immer wieder unter Beweis stellen. Da diese Ära bei den Festspielen nun zu Ende geht, hätte man bei der Wahl der Oper nicht besser ins Schwarze treffen können. So wird Wagners Lohengrin zum bedeutungsschweren Schwanengesang für Thielemann und die Staatskapelle – ein Abschied von Salzburg.

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Eric Cutler (Lohengrin)
© Ruth Walz

Das Wissen um die Besonderheit der diesjährigen Festspiele schwebte wohl auch über dem Publikum im Großen Festspielhaus, dass Thielemann und die Staatskapelle mit ebenso großem wie gebührenden Applaus begrüßte, der nicht nur Selbstzweck erfüllte, sondern vielleicht auch demonstrieren sollte, wen man sich am Pult im Festspielhaus – auch in den kommenden Jahren – wünscht.

Thielemann selbst schien sich der Tragweite dieser Festspiele wohl ebenso bewusst, denn er wartete mit einem überaus kontrastreichen und effektvollen Dirigat, dass das ganze Können und die Virtuosität der Staatskapelle zur Schau stellte. Vom feingliedrigen Pianissimo der Streicher und Holzbläser, in dem dennoch alle Details erkennbar waren, wechselte er schlagartig in sogartige Ausbrüche, ohne jedoch seine Sänger*innen zu überdecken. So entlockte er dem Lohengrin jene magischen, sphärischen Klangfarben, für die das Dresdner Orchester so bekannt ist und erfüllte jeden Akt mit ganz eigenen dramatischen Spannungen.

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Jacquelyn Wagner (Elsa), Elena Pankratova (Ortrud) und Martin Gantner (Telramund)
© Ruth Walz

Doch während der Abend ein musikalisches „Glück ohne Reu‘“ offerierte, wurden szenisch einige Fragen aufgeworfen. Das Regieteam um Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock versprach einen Thriller mit Elsa als Protagonistin und Brudermörderin. Doch statt einem spannungsgeladenen Whodunnit mit Hitchcockschen Suspense, bleibt diese Idee schnell auf der Strecke und verliert sich in uneindeutiger Ästhetik und einer viel zu verworrenen Inszenierung.

Der Schauplatz ist eine Art Wehranlage oder Burgruine, mit allerlei Geländern und Absperrungen geschmückt, der später noch bildfüllender wird und dann mehr einem Staudamm der gar einer feuchten, modrigen Kanalisation ähnelt – ein Bild, das mit dem hochzeitlichen Ehebett nur noch abstruser wirkt. Die von Viebrock gestaltete Bühne mit der düsteren, Unheil verheißenden Atmosphäre, einem Märchen in der Gosse, hat durchaus seinen Reiz, doch zu verschwommen und pauschal sind die Intentionen der Regie, um klare Aussagen daraus hervorzubringen.

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Jacquelyn Wagner (Elsa)
© Ruth Walz

Lohengrin kann auf so viele Weisen verstanden werden: als romantische Märchenoper, oder als warnendes Beispiel von der Manipulation und Verführbarkeit der Massen, deren Angst vor Fremden, dem Wunsch nach dem einenden Anführer. All dies in einer einzigen Inszenierung verbinden zu wollen, wird dem Regietrio hier zum Verhängnis. Statt klarer Dramaturgie versucht man einen Krimi um Elsa zu konstruieren und gleichzeitig die immer größere Ausmaße annehmende Aufrüstung und Militarisierung des Volks darzustellen.

Elsa wird als opportunistische Usurpatorin eingeführt – der Vorhang öffnet sich, als sie gerade ihren Bruder in die Abgründe der Wehranlage ins Wasser gestoßen hat. Gerade noch kann sie das einzige Beweisstück, ihre Verkleidung, eine schwarze Perücke herausfischen und fliehen, als Ortrud bereits erscheint und die Tat beobachtet hat. Dass Elsa in Wahrheit Strippenzieherin, Mörderin und Schuldige ist, ist keine neue Idee, und trotz charismatischem Auftreten und detaillierter Personenregie, konnte Jacquelyn Wagner ihre inoffizielle Rolle als eigentliche Protagonistin nicht konsequent verteidigen. Wagners Stimme war geprägt von einem leichten, zarten Sopran, der zwar in den leiseren Passagen glänzte, deren Volumen es jedoch nicht vermochte in die letzten Reihen des Festspielhauses vorzudringen.

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Jacquelyn Wagner (Elsa) und Eric Cutler (Lohengrin)
© Ruth Walz

Trotz seines einnehmenden Gesangs und herb-samtener Tenorstimme, vermochte sich auch Eric Cutler die Rolle inhaltlich noch nicht vollends einzuverleiben. Wohl eher darauf bedacht, Musik und Text stimmig zu vereinen, kam eine tiefergehende, aus dem Charakter und seiner Bedeutung erwachsende Darstellung oft zu kurz. Zu oft schien ihn sein Kostüm abzulenken. Nicht nur „dies Horn, dies Schwert“, sondern auch seine langen Locken und die Ritterrüstung, die durch seine zerfetzten Jeans erkennbar war, wurden ihm mehrmals zum Verhängnis.

Ortrud und Telramund dagegen wussten ihre Rollen prägnant und eindrucksvoll zu präsentieren. Elena Pankratova mit erotisch geladener, passionierter und raumfüllender Stimme und Martin Gantner als hasserfüllter Telramund mit schlankem aber differenzierten Bariton ergänzten sich wunderbar auf der Bühne und verkörperten ein perfektes Antagonisten-Paar.

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Luca Griessler (Herzog Gottfried) und Jacquelyn Wagner (Elsa)
© Ruth Walz

Szenisch konnte es die diesjährige Opernproduktion der Osterfestspiele wohl niemanden so ganz recht machen, weder dem konservativ eingestellten Publikum, noch den progressiven Regietheater-Anhänger*innen. Doch Thielemann und die Sächsische Staatskapelle wogen dies mit einer musikalischen Interpretation auf, die noch lang nachhallen wird. Thielemann muss nun weiterziehen, an neue Ufer, wie beispielsweise an die Mailänder Scala für den Ring-Zyklus 2024 und das Publikum kann sich auf nun jährlich wechselnde Gastorchester und Dirigent*innen freuen. In den kommenden Jahren, so will es das neue Konzept der Osterfestspielleitung, werden Andris Nelsons und das Gewandhausorchester Tannhäuser aufführen und im Jahr darauf folgt Antonio Pappano mit seinem römischen Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia.

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