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Christopher Diffey (Max), Astrid Meyerfeldt (Melisa) und Bartosz Urbanowicz (Kaspar). Foto: © Christian Kleiner
Christopher Diffey (Max), Astrid Meyerfeldt (Melisa) und Bartosz Urbanowicz (Kaspar). Foto: © Christian Kleiner
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In Mannheim inszeniert das „Kommando Himmelfahrt“ Carl-Maria von Webers „Freischütz" als Dystopie

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Oper ist vieles. Ein Kraftwerk der Seele zum Beispiel, weil große Gefühle verhandelt werden. Fast immer ist sie auch eine Zeitmaschine. Auf der Reise in die Vergangenheit. Der Stückekanon ist halt in die Jahre gekommen und selbst die Novitäten des Genres greifen gerne auf gut abgehangene oder gar antike Vorlagen zurück. Für ambitionierte Regisseure ist das Vergangene natürlich nur ein Ausgangspunkt für das eigentliche Ziel, das natürlich unsere Gegenwart ist.

In Mannheim ist jetzt ausgerechnet mit Carl Maria von Webers „Freischütz“ eine Art Opernhimmelfahrtskommando gelungen, das gleichzeitig eine Exkursion in die Vergangenheit und in die Zukunft bietet. Ein Künstlertrio, das sich allen Ernstes unter dem Namen „Kommando Himmelfahrt“ zusammengefunden und etabliert hat, nimmt die Vorlage, nicht etwa als Steinbruch für eine der mehr oder weniger willkürlichen Überschreibungen, die sich allemal mit einschlägigen Geistesblitzen von Theodor W. Adorno oder Hans Mayer rechtfertigen lassen.

Komponist Jan Dvořák, Regisseur Thomas Fiedler und die Dramaturgin und Produktionsleiterin Julia Warnemünde nehmen das nun schon zweihundert Jahre lang trotz seines mäßigen Librettos von Friedrich Kind erfolgreiche Stück erstaunlich ernst. Sie kriegen es tatsächlich fertig, eine nahezu historische Inszenierung zu zelebrieren. Vor allem dank der kongenialen, das Ganze mit atmosphärischer Dichte zusammenhaltenden Bühne von Heike Vollmer. Und das in einem Rahmen, der nicht nur an das Ende des seltsamen Probeschießens in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg als ein sonderbares Ritual aus grauer Vorzeit, samt männlichen Versagensängsten und teuflischem Hokuspokus, erinnert, sondern an unsere Gegenwart gleich mit. Auch die ist in der Zeit, in der dieser Inszenierung angesiedelt ist, längst vergangen. Unsere Zivilisation ist mit allen ihren Insignien nach einem imaginären zweiten, großen Bürgerkrieg als Ganzes untergegangen. Nur Reste davon sind noch vorhanden.

Die Natur hat sich die ihr entrissenen Räume zurückgeholt und die Ruinen überwuchert. Auch das reale Vorbild für Vollmers Drehbühnenkostrukt für die skulpturenartigen Röhren, ein Wasserwerk aus den 1920er Jahren, ist jetzt schon ein Industriemuseum. Verlängert in die postkatastrophische Zukunft ist das alles be- und überwachsen und seine Funktion in Vergessenheit geraten. Von den einstigen Büroräumen stehen nur noch die Wände – das Erbförsterporträt hängt ordnungs- und textgemäß an der Wand, um bei passender Gelegenheit herunterzufallen und Agathe zu verletzten, aber es verdeckt zugleich ein Loch in der Wand. Die, die nach der großen Katastrophe (selbst für den Erzoptimisten Marx, war ja der Rückfall der Menschheit in die Barbarei eine der möglichen Optionen!) überlebt haben, sind in die alten Standesverhältnisse zurückgefallen, weil die offenbar dem, was ihnen die kollektive Amnesie an Ansprüchen belassen hat, genügen. Man kleidet sich wie auf den Gemälden der alten Niederländer. Strukturiert ist ständisch, regiert wird wieder dynastisch fürstlich. Es hat szenischen Witz, wenn der Fürst zur Abnahme des aufmarschierten Jägerchores seinen kecken Filius mit dabei hat und der – seiner Stellung wohl bewusst – die Sänger aus dem Konzept zu bringen versucht. Ein Erziehungsprodukt der Sorte: bitte tritt den Jäger nicht.

Risse im Zeitkontinuum werden immer dann offensichtlich, wenn Melisa zu uns spricht. Melisa könnte auch ganz zeitgeistige Samiela heißen (was nicht wirklich neu, sondern wohl ein allzu plakatives Zugeständnis an den noch nicht vergangenen, gerade wütenden Zeitgeist wäre). Sie hat sich noch bevor die Musik einsetzte und das märchenhaft opulente Drehbühnenkonstrukt den ästhetischen Ton angibt, als Wissenschaftlerin geoutet, die eine Insel des erinnerten Wissens und der Wissbegierde (Kernsatz: Zweifel ist der Anfang der Suche nach der Wahrheit) in dem Meer von Glauben und Unvernunft um sie herum bewahrt hat. Oder eben eine Wolfsschlucht als Teil jenes Mummenschanzes, mit dem sie (vielleicht) Vernunft reaktivieren, aber auch (höchstwahrscheinlich) ihre eigene Macht aufrecht erhalten will. Und sei es mit Methoden einer Hexe, wie sie einräumt. Oder als reine Stimme eines Herrn, an den sie kaum glauben dürfte. Am Ende, als Max sich nicht schuldig macht, in dem er auf den Brautkranz von Agathe, sondern ganz bewusst auf Kaspar schießt, wechselt sie als Manipulatorin die Seiten und fährt einen Lautsprecher mit der Stimme des Eremiten auf. 

Und doch bleiben Irritationen, die den Zeitsprung vor allzu simpler Eindeutigkeit bewahren. Immer mal, wenn Melisa dabei ist, das Stück, die Inszenierung oder das Leben zu erklären, liegt so etwas wie eine optische Bildstörung über der Ruinenromantik. Ein toter oder vielleicht nur ohnmächtiger Astronaut wird irgendwann unter den Bäumen abgelegt. Max hält ihn beim Kugelgießen gar für einen Geist. Woher er kommt weiß niemand. Vielleicht beim Zeitsprung aus der Gondel gefallen? Oder auch die drei bewaffneten, fudamentalistisch schwarz Verhüllten, die manchmal nur rumstehen, gelegentlich Zeichen geben, vor denen alle irgendwie zu erschrecken scheinen, dann aber auch im wahrsten Wortsinn ein- und zugreifen. Sind das Hilfstruppen Melisas, falls irgendwann irgendwas außer Kontrolle geraten sollte? Oder Abgesandte eines anderen Quadranten? So ganz schien Melisa doch nicht geplant zu haben, dass einer von ihnen sein Gesicht enthüllt und die dauerhafte Regeländerung in Sachen Probeschuss verkündet. Man weiß es nicht. Mit der Zukunft ist das halt immer so eine Sache.

Mit Roberto Rizzi Brignoli am Pult des Mannheimer Orchesters funktioniert es – mit ein paar (geschenkten) Unsauberkeiten auch musikalisch. Auch wenn Christopher Diffey als Max und Viktorija Kaminskaite als Agathe ihre zentralen Arien nicht auf Zwischenappalaus provozierendem Niveau präsentieren, gelingt ihnen im Ganzen eine überzeugende Darstellung des zentralen Paares. Hier sind auch der handfeste Kaspar von Bartosz Urbanowicz und das selbstbewusst eloquente Ännchen Seunghee Kho ein verhindertes Paar in sachgerecht ausgestatteten Kehlen. Grundsolide komplettieren Thomas Jesatko als Erbförster Kuno, Thomas Berau als Fürst Ottokar und Marcel Brunner als Kilian (und Stimme des Eremiten) das Ensemble der Männer, sowie Rebecca Blanz, Maria Polanska, Katharina Hermanns und Tizia Hilber ziemlich einnehmend als Brautjungfern das der Frauen. Der Chor war nicht nur opulent uniformiert, sondern von Danis Juris auch gut vorbereitet. Die Schauspielerin Astrid Meyerfeldt erfüllte ihre Aufgabe als teuflische Wissenschaftlerin mit einer angenehm zurückhaltenden Souveränität; die denkbar beste Voraussetzung, um sich auf das Gedankenexperiment, für das ihre Texte standen, mit Gewinn einzulassen.

Insgesamt funktioniert diese Mannheimer Inszenierung als nahezu klassische Geschichte mit märchenhafter Opulenz, aber auch als Gedankenexperiment mit Science-fiction Einschlag.

 

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