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Gabrielle Mouhlen (Elisabetta), Rainer Maria Röhr (Ein königlicher Herold), Gaston Rivero (Don Carlo), Ante Jerkunica (Filippo II.) (v.l.). Foto: Matthias Jung
Gabrielle Mouhlen (Elisabetta), Rainer Maria Röhr (Ein königlicher Herold), Gaston Rivero (Don Carlo), Ante Jerkunica (Filippo II.) (v.l.). Foto: Matthias Jung
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Was lange währt, muss nicht immer gut werden – Verdis „Don Carlo“ in Essen Aalto-Oper

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Wie jedes Haus, das auf sich hält, hat auch die Aalto-Oper in Essen vor ihre jüngste Hauspremiere ein Statement gesetzt. Am 17. Tag von Putins Angriffskriegs gegen die Ukraine und Europa fügte das Haus dem bisher praktizierten Abspielen der ukrainischen Nationalhymne (wie in Dresden) oder der Europahymne (wie in München) auf ausdrückliche Empfehlung der Deutschen Orchestervereinigung eine vom gebürtigen Ukrainer Eduard Resatsch eigens komponierte Variante der Solidarisierung mit den Überfallenen hinzu.

Der Cellist der Bamberger Symphoniker hat für sein viereinhalb Minuten kurzes Stück für Orchester und großen Chor mit dem Titel „UKRAINA – den Opfern des Krieges“ ein leise gesummtes Gebet für die Opfer des Krieges, immer wieder mit Schuss-, Bomben- und Sirenengeräuschen unterbrochen und mit aufflackernden Zitaten der einstigen Sowjethymne und der Europahymne vermischt. Er lässt das Ganze dann eindrucksvoll in die ukrainische Nationalhymne übergehen.

Dass der Chor dabei in einem deprimierend schwarzen Bühnenkasten von Radu Boruzescu in Konzertformation postiert ist, fügt sich bruchlos in die „Don Carlo“-Inszenierung von Robert Carsen ein, die allerdings schon 2016 bei der koproduzierenden Opéra national du Rhin Strasbourg über die Bühnen gegangen ist und bereits vor zwei Jahren auch für Essen vorgesehen war. Was den betont düsteren Rahmen und die dunkel pessimistische Grundstimmung dieser Inszenierung betrifft, ist die auf geradezu beängstigende Weise von der Wirklichkeit eingeholt worden.

Was die großen Emotionen von Verdis Musik angeht, sind die Essener Philharmoniker unter Leitung von Andrea Sanguineti vor allem da auf der Höhe, wo die Leidenschaften der Protagonisten in ihrer Aussichtslosigkeit lodern. Gaston Rivero als der – so zögerlich wie Hamlet – zwischen der Liebe zur einstigen Braut und jetzigen Mutter und seiner Mission für die Freiheit Flanderns schwankende Infant Don Carlo überzeugt mit kräftig strahlendem Tenor. Jordan Shanahan folgt als Marquis von Posa äußerlich kühl mit heldischer Überlegenheitskonsequenz seinem Stern – wohin der führt wird allerdings die Überraschung des Abends. Vokal überzeugen die beiden, jeder für sich, aber auch in ihren aufgeladenen Freundschafts- (ja beinahe Liebes-)duetten, selbst dann, wenn sie nicht einander, sondern das Publikum ansingen. Ebenso imponierend ist der mit modern technokratischer Herrscherattitüde auftretende Ante Jerkunica als Filippo II., dessen Habitus keinen Anflug von Alter zulässt. Als Großinquisitor ist Karl-Heinz Lehner glaubhaft kraftvoll der eigentliche Machthaber, auch wenn er sich in einer Mönchskutte (wie der Junker Jörg) verbirgt. Nicht zuletzt beglaubigt Christoph Seidl seine Karriere vom geheimnisvollen Mönch und rettenden Großvater Karl zum eiskalten Mörder seines Sohnes mit einem kurzen, auch vokal brutalen Auftritt. Obwohl sie durch das egalisierende, schlichte Einheitsschwarz der Kostüme von Petra Reinhardt alle Mühe haben, den würdevollen Glanz einer Königin und die Leidenschaft einer intrigierenden Mätresse zu entfalten, nutzt Nora Sourouzian vor allem das Schleierlied und ihren großen Schlussauftritt als Ebolie eine Spur effektvoller, als Gabrielle Mouhlen es mit ihrer Elisabetta vermag, die sich freilich zum Ende hin faszinierend steigert! Musikalisch und stimmlich rechtfertigt die Essener Interpretation der auf Verdichtung setzten Mailänder Variante des „Don Carlo“ den Applaus am Ende allemal.

Szenisch freilich bietet dieser zwei Jahre zwischengelagerte, jetzt von Jean-Michel Criqui szenisch einstudierte „Don Carlo“ ein Robert-Carsen-Erlebnis der besonderen Art. Zuerst verweigert der versierte Szeniker und gute Regiehandwerker zumindest jede geradeaus erkennbare Idee und leider auch die überzeugende Personenregie zu Verdis genialer Melange aus Liebesgeschichte und Haupt- und Staatskation auf Schillers Spuren. Dann aber fährt er mit einer so jähen Wendung dazwischen, dass man sich fragt, ob es dafür für einen Regisseur den ideellen Abstand des großen Teichs zu Schiller braucht, um so brachial dazwischen zu hauen. Natürlich ist es keine im Detail nachprüfbare Geschichtsstunde. Aber des Historikers(!) Schiller geniale Dichtung ist auch eine Wahrheit eigenen Rechts.

Wenn dann aber sein Marquis Rodrigo Posa zum Verräter Flanderns und der humanistischen Ideale wird, dann reibt man sich schon verwundert die Augen. In der politischen Schlüsselszene des Stückes (bei Schiller noch eindrucksvoller als dann bei Verdi, aber auch da noch spektakulär), hat er dem König gegenüber die Ideale der Freiheit so entschieden und ergreifend vertreten. Als er dann wie nebenbei mit dem Großinquisitor paktiert und ihm Carlos Papiere übergibt, dann hält man das einen Moment lang für einen Schnitzer. Doch dann wird er nur zum Schein erschossen und spielt Carlo seinen Tod als Schmierenkomödie vor. Die Lösung ist dann die finsterste Pointe der Geschichte, die sich denken lässt. Am Ende trägt Rodrigo die schwarze Tiara (ok im Detail muss tatsächlich nichts im engen, sondern nur im übertragenen Sinne stimmen) Philipps, den sein eigener Vater gerade erschossen hat! Der protestantische Verräter als personifizierter historischer Kompromiss der religiösen Eiferer aller Parteien? Mit einem solchen Karacho fliegt selten ein Regisseur von Format aus der Schlusskurve.

Wenn selbst Schillers Marquis Posa nicht mehr an die Freiheit glauben darf, von der er mit soviel Hingabe und entschiedenem Eifer singt, dann haben wir wohl das Tor durchschritten, über dem steht, dass wir alle Hoffnung fahren lassen sollen.

Damit ließe sich zwar das pure, wortwörtliche Schwarz (der Bühne und der Kostüme) begründen. Aber ob das so gemeint war? Die jähe Wendung Posas ist jedenfalls weit weniger nachvollziehbar, als die Putins vom Scheindemokraten zum ausgeflippten Zaren. Was man bei Posa – bei gutem Willen als Hinweis auf seine moralische Kehrtwende deuten könnte – wäre sein eher beamtenkühler Habitus und sein erstaunliches Selbstbewußtsein in den Begegnungen mit dem König. Das lässt sich aber eher mit der Machart dieser Inszenierung und einem – nun ja – aparten Umgang mit dem Handwerk erklären. Mit einer erstaunlich statischen Rumsteherei, Rampensingen und einer ausgebremsten Personenführung. Das Pseudoballett mit den Händen beim Schleierlied der Eboli ist hier mehr die Morgengymnastik einer Truppe von IS-Kämpferinnen. Dass zwei der Damen einfach stehen blieben und eine auf die Gesichtsverschleierung verzichtet, wirkt eher wie eine pragmatische Lösung als ein programmatischer Einfall. Wenn Carlos bei seiner ersten Wiederbegegnung mit Elisabetta diese küsst und ein halbes Dutzend von Priestern (zu deren Berufsbild hier vor allem Belauschen, Beobachten, Berichten, Abführen und Exekutieren gehören) zusieht und das prompt dem König meldet, dann wäre die Oper hier eigentlich mit einem Rieseneklat zu Ende. Wenn der König mit seiner Mätresse so in aller Öffentlichkeit rummacht wie hier, wird Philipp II. auf einen spanischen König der fremdgeht herabgestuft. Das passt zwar in die Klatschpresse von heute, aber nicht zu Schiller und Verdi. Bei beiden ist er eine tragische Figur von Format. Hier wird er zum prominentesten Kollateralschaden einer für einen bekennenden Carsenanhänger erstaunlichen Inszenierung.

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