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Birgit Macziey (Cio-Cio-Sans Mutter), Damen des Chores, María Fernanda Castillo (Cio-Cio-San), Wioletta Hebrowska (Suzuki, Dienerin). Foto: © Jochen Quast
Birgit Macziey (Cio-Cio-Sans Mutter), Damen des Chores, María Fernanda Castillo (Cio-Cio-San), Wioletta Hebrowska (Suzuki, Dienerin). Foto: © Jochen Quast
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Ein Yankee scheut kein Risiko – Puccinis „Madame Butterfly“ in Lübeck

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Trotz Corona: Lübeck übt sich wieder in großer Oper. Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“, nicht gerade selten gespielt, wurde dazu ausersehen (Premiere: 28. Januar 2022). Was herauskam, war reizvoll, durchsetzt mit sinnigen Anspielungen statt mit simplen Exotismen.

Den merkwürdig anrührenden Stoff nahm man ernst und verzichtete wohltuend darauf, ihn ins Hier und Jetzt zu zerren. Dennoch: Das Übermaß an Sentiment, das Puccinis Musik nun einmal freisetzt, vermochte auch der optisch überwältigende Schluss nicht zu mindern.  

Nahezu minimalistisch arbeitete Regisseur Ezio Toffolutti in seiner Personenführung, als Ausstatter dagegen zugleich mit großer Geste. Er nennt sich im Programmheft „einen ausgebildeten Maler“, präsentiert sich schon auf dem Bühnenvorhang mit einem rätselhaften Werk. Es fordert zum Spekulieren auf, wobei man einen Bezug zur Oper herstellen möchte. Man sieht einen mehrdeutigen Rahmen wie ein Gemälde von hinten, darauf ein Gebilde, das Kokon eines Schmetterlings sein könnte oder eine Figur, die eine dünne Wand eines japanischen Hauses schemenhaft verzerrt. Oder ist es ein Blick von oben, dann in einen Kasten, in dem ein verhüllter Gegenstand liegt, möglicherweise der Dolch von Butterflys Vater, mit dem er das Seppuku beging, die ritualisierte Selbsttötung? Dieser Dolch, als Erbstück an die Tochter gegangen, ist schließlich zusammen mit den Ahnenfiguren zentrales Motiv in der Oper. Zu Beginn des zweiten Aufzugs wird der gleiche Vorhang wieder hochgezogen. Diesmal ist das Objekt noch vergrößert, so wie sich das Leid der jugendlichen Geisha, der Titelheldin, vergrößert.

999 Jahre, monatlich kündbar

Das Programmheft, wenn, dann nachträglich gelesen, gibt eine simplere Deutung: Toffolutti nennt es eine „verbrannte Fläche“ und als „Seelenzustand der Butterfly“ zu deuten. Auf jeden Fall stellt sich der Besucher auf Andeutungen ein. Wenn der Vorhang sich hebt, scheint die Bühne leer zu sein. Zwischen einengenden seitlichen und einem Vorhang hinten liegt etwas auf dem Boden, das aufgefaltet wird. Es wird die durch Goro, den Heiratsvermittler, vermietete Behausung für den amerikanischen Marineleutnant Pinkerton. Die zeltartige Konstruktion, labil und kurzlebig, verstärkt das groteske Missverhältnis zu der Mietdauer von 999 Jahren, dennoch „monatlich kündbar“.

Diese Bühnenarchitektur hebt auch das Bühnengeschehen um Cio-Cio-San hervor, die mit erst 15 Jahren in einem flüchtigen Zeremoniell die Ehe mit dem Amerikaner eingeht. Sie lässt zudem ein Kammerspiel zu, das sensibel die tragische Entwicklung befördert. Die japanischen Zugaben setzen Zeichen, markieren die traditionelle Welt der jungen Japanerin: der aufwändig handbestickte Kimono (Großtat der Kostümschneiderei!), der Buddha im neuen Haus und ihr traditionelles Erbe, das sie aus dem Ärmel zaubert. Alles präsentiert sie Pinkerton, opfert es aber nicht der vermeintlich großen Liebe. Doch Pinkerton begreift nichts, begreift vor allem nicht seine Verantwortung, wenn ein Mensch sich so der eigenen Vergangenheit und der Familie entzieht.

Die karge Bühne und die sehr dezent geführten Nebenfiguren verstärken den Vorgang. Nichts wird verdeckt, auch nicht das ebenso unverhüllte Gebaren des Yankees. Pinkertons Besitzergreifen ist einzig sexuell motiviert. Ungeduldig geht er die Ehe ein, im Bewusstsein, dass sie wie das Haus jederzeit kündbar ist. Er ist bekanntermaßen erst ganz zum Schluss fähig, so etwas wie Reue zu zeigen oder ein wenig Verständnis für die andere Kultur aufzubringen. Diesen Schlussmoment intensiviert Toffolutti mit einem weiteren seiner Gemälde. Es zeigt ein staunendes Gesicht (eines Kindes?) mit roten Lippen und aufgesetzten Augen. Sie haben die Form von Sternanis, der trockenen Frucht des asiatischen Magnolienbaums. Raffiniert ist, wie das Bild mit seiner ähnlichen Farbpalette auf dem Boden des Zeltes erscheint, wenn das Zelthaus wie ein Origami aufgefaltet wird. Hochgezogen bedeckt es den gesamten Bühnenraum.

Bemerkenswerte darstellerische Leistung

Das Ungeheuerliche der Ehe mit einer in unserem Verständnis Jugendlichen wird in dieser Inszenierung noch durch die Darstellungsfähigkeit der Sängerin Maria Fernanda Castillo verstärkt. Ihre Stimme klingt biegsam, doch ungemein kräftig, manchmal etwas hart, zudem anfangs angespannt. Dies kann der Nervosität der Sängerin geschuldet sein, die der Anspruch dieser Rolle befördert, zugleich passt es wunderbar zu der jungen Bühnenfigur, die sich einerseits mit festem Willen der Tradition und der Familie widersetzt und dem Fremden sich naiv übergibt, andererseits sich ihres Tuns nur schwankend bewusst ist, kindlich überzogen und verspielt. Ganz anders dann die Butterfly im zweiten Teil, die die Sängerin mit weicherem Ton und stärkeren Emotionen zeichnet, jetzt als drei Jahre Ältere und Mutter. In ihren Solopartien und in den Duetten gewinnt sie immer größeres Format, wird damit zum Ereignis dieser Inszenierung.

Neben ihr ist Yoonki Baek als Pinkerton mit seiner tenoralen Stärke ein musikalisch starker Partner. Auch im Spiel gestaltet er agil den drangvoll Begehrenden, der sich weder der japanischen Tradition verpflichtet fühlt und sie missachtet, noch die Mahnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless an sich heranlässt, sie vielmehr im Alkohol ertränkt. Wie die Regie der beiden Protagonisten großes Duett „Bimba, dagli occhi“ aufbauen lässt, ist genau gesetztes Theater, ohne Schwulst und falsche Gesten, die aber den Hintergrund beider Figuren verraten. 

Beide Hauptrollen haben eine Nebenfigur. Wioletta Hebrowska singt und spielt die Dienerin Suzuki, eine fast schon luxuriöse Besetzung mit ihrem so klangschönen Mezzo und ihrem sensiblen Spiel. Als eine Dienerin zwar, aber gleichzeitig eine Vertraute hat sie im zweiten Teil musikalisch ihre großen Momente. An Pinkertons Seite steht der windige, stets herumschnüffelnde Goro, dem Noah Schaul, ein Ensembleneuling am Theater, seinen jungen und hellen Tenor gibt. Dazwischen steht der allzeit sichere Gerard Quinn, nobel auftretend in Stimme und Gestalt.  

Auch in anderer Hinsicht ist diese Inszenierung ein Ereignis. Dass ein Theater von der Größe Lübecks gezwungen ist, Spezialisten zu engagieren, ist kein Geheimnis. Bei dieser „Butterfly“ sind Gäste die absolute Ausnahme. Einer ist Owen Mitsileng als der noble Fürst Ymadori. Mit seinem würdevollen Bass wirbt er um die Verlassene, möchte der Verarmten Reichtum schenken. Einen dunklen, schwarz gefärbten Bass besitzt Rúni Brattaberg. Er ist damit ein beeindruckender Onkel Bonze. Wie Iris Meyer ist er Mitglied im Ensemble. Sie aber kann trotz ihres schönen Mezzos den schwachen Schlussteil als Kate Pinkerton nicht retten. Das weit gestreckte unwürdige Zerren um das Kind kann weder die Musik noch das Optische verständlich machen, auch wenn die Regie offen lässt, ob die verzweifelte Butterfly sich tötet. 

Die Lübecker Philharmoniker leisten viel in wohlklingenden Solopartien wie in klagvollen Tuttis. Ihr Chef Stefan Vladar wählt anfangs straffe Tempi, die auf den wirbeligen ersten Teil vorbereiten. Die großen Ausbrüche in Puccinis Musik leuchten farbig, überdecken aber gelegentlich im ersten Teil die Sänger. Dennoch ist Vladars sensibles Dirigat mit ein Grund dafür, dass dieser Inszenierung heftig applaudiert wurde.

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