Dem Himmel nah – „IL TRITTICO“ im Aalto-Musiktheater Essen

Aalto-Theater/“Il Tabarro“ (v.l.): Bettina Ranch (La Frugola), Annemarie Kremer (Giorgetta) Foto: Matthias Jung

Um es vorweg zu nehmen: Mit Giacomo Puccinis IL TRITTICO gelang dem Aalto-Theater in Essen ein großer Wurf! Oper für alle Sinne. Puccinis drei Einakter von mörderischer Eifersucht, der verklärten Sehnsucht nach himmlischer Vergebung und einem Schlitzohr, welches der erbschleicherischen Familienclique Hörner aufsetzt, haben nun mal alles, was Oper so einmalig und faszinierend macht. Dazu diese schwelgerische Musik von Puccini, diese vielen Feinheiten und Nuancen in den Kompositionen und – zuvorderst bei Suor Angelica – dieser musikdramatisch meisterhafte Spannungsbogen bis hin zu ihren „O Madonna, salvami!„-Schreien – machen diesen IL TRITTICO zu einem Opernerlebnis erster Güte. So auch am gestrigen Abend in Essen. Das sah auch das zahlreich erschienene Premierenpublikum im Aaltotheater so und bejubelte diese Inszenierung hoch verdient. Das gesamte Ensemble, den Dirigenten des Abends, Roberto Rizzi Brignoli und das Regieteam um Roland Schwab herum. Und hier muss ausdrücklich auch der Bühnenbildner Piero Vinciguerra genannt werden, der maßgeblich am großen Erfolg beteiligt war. (Rezension der Premiere v. 22.01.2022)

 

IL TRITTICO beginnt mit dem Einakter IL TABARRO (Der Mantel) und erzählt darin die Geschichte von dem Seine-Schiffer Michele aus Paris und seiner jungen Frau Giorgetta. Nach dem Tode ihres gemeinsamen Kindes zerbricht ihre Liebe und Giorgetta wendet sich Luigi zu und beginnt mit ihm eine geheime Beziehung. Als ihr Mann dieses Verhältnis entdeckt, tötet er den jüngeren Rivalen, bedeckt ihn mit seinem Mantel und konfrontiert die entsetzte Giorgetta mit seiner Tat. Im zweiten Teil des Trittico, – SUOR ANGELICA – ,wird die Geschichte einer jungen Nonne erzählt, die wegen eines – aus den Augen ihrer Familie – sittlichen Fehlverhaltens ins Kloster gehen musste. Sie hatte vor sieben Jahren einen Sohn geboren, den sie seit der Geburt nicht mehr sehen durfte. Er wurde in die Obhut ihrer Tante übergeben. Die Geschichte beginnt an dem Tag, als die Tante, eine reiche Fürstin, ihre Nichte im Kloster besucht. Seit sieben Jahren der erste Besuch für die ehemals junge Adelige, die nun ein Klosterleben führt. Aber dieser Besuch verändert alles für Angelica. Sie erfährt, dass ihr Kind verstorben ist und es eigentlich bei diesem Besuch nur darum geht, ihre eigenen Erbanteile zugunsten ihrer Schwester an die Tante zurückzugeben. Schwester Angelica beschliesst nach diesem gefühlskalten Besuch ihrem Leben ein Ende zu setzen. Nach dem Gifttrunk wird ihr klar, dass sie mit einem Selbstmord eine schwere Sünde begangen hat und bittet die Jungfrau Maria um Vergebung. Verklärt von der Vision ihr geliebtes Kind nun wieder in den Armen halten zu dürfen, stirbt sie allein auf dem Hof des Klosters. Mit dem heiteren Einakter GIANNI SCHICCHI endet Puccinis Il Trittico. Am Bett des gerade verstorbenen Onkels Buoso Donati versammelt sich die heuchlerische Familie des Verstorbenen. Alle spekulieren auf ein persönliches sattes Erbe. Aber der Verstorbene hat alles einem Kloster vermacht. Nun heisst es zu handeln. Gianni Schicchi muss her – denn er ist bekannt dafür, in besonderen Situationen helfen zu können. Das tut er dann am Ende auch. Aber nicht so, wie es sich die ach so trauernde Familie gedacht hat. Die vermeintlichen Erbschleicher müssen lernen, dass sie ihren wahren Meister auf diesem Gebiet mit Gianni Schicchi gefunden haben.

Aalto-Theater/“Gianni Schicchi“:
Carlos Cardoso (Rinuccio), Lilian Farahani (Lauretta) Foto: Matthias Jung

Drei Geschichten wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Allerdings nur auf den ersten Blick. Den die drei Einakter umspannende Klammer ist die der sehnsuchtsvollen Hoffnung. Nach Liebe, nach Erfüllung von Vergebung und Mutterglück und nach Reichtum und sozialer Anerkennung. Zutiefst menschliche Verlangen, welches aber so oft auch der Quell für individuelles, bisweilen fatales, Fehlverhalten sind, wie diese drei Operneinakter zeigen. Und hier setzt die Inszenierung von Roland Schwab in höchst überzeugender Weise an. In allen drei Einaktern stellt er durch seine Regie die handelnden Personen mit all ihren Eigenschaften und Gefühlen auf eine nahezu packende Weise vor, lässt das Publikum an ihren Wandlungen, Gefühlsregungen und letztlich auch Taten teilhaben und zieht es damit unmittelbar und nachvollziehend in das Geschehen der Handlungen mit hinein. Er gibt den Hauptpartien ihren Freiraum, lässt sie aber auch direkt und indirekt mit den anderen Personen auf der Bühne interagieren, nimmt ihnen nicht die Ausdrucksgesten und erzählt auf diese Weise drei höchst unterschiedliche Geschichten von HOFFNUNG. Das italienische Wort für Hoffnung ist Speranza. Im letzten Teil des Trittico, dem GIANNI SCHICCHI, sehen wir dieses Wort in Großbuchstaben über dem Geschehen auf der Bühne. ADDIO SPERANZA.

Schwab lässt Il Tabarro und Suor Angelica unmittelbar ineinander übergehen und nutzt dazu das Bühnenbild von Piero Vinciguerra in beeindruckender Weise. Vinciguerra erschuf ein einheitliches, großes und offenes Bühnenbild mit einem Bühnenboden aus Wasser. Über allem ein überdimensionaler Spiegel, der den gesamten Opernabend einen weiteren, durchaus erstaunlichen Blick von oben auf das Bühnengeschehen freigibt. In diesem knöchelhohen Wasserbassin agieren die handelnden Personen beider Opern.

Was zunächst bei dem Drama Il Tabarro noch auf den ersten Blick erklärbar erschien, da dass Stück ja auf der Seine spielt, mag dann beim Folgestück, der Suor Angelica, zunächst verwundern. Spielt es doch in einem Kloster. Während am Ende des Il Tabarro die Protagonisten durch das Wasser gehend die Bühne nach hinten verlassen, ertönen bereits die ersten Klänge und Gesänge der Nonnen.  Ein fesselndes Bild, welches Schwab und Vinciguerra gleichermaßen da erschaffen haben!

„Suor Angelica“:Jessica Muirhead (Suor Angelica),  Foto: Matthias Jung

Insbesondere die Ansicht von „oben“, vom übergroßen Bühnenspiegel, verfehlt ihre Wirkung nicht. Das Wasser, das Element, mag da für eine Form der Erdung der Menschen stehen und der Spiegel darüber gibt den Blick von einer ungewohnten Perspektive auf die Geschichte und ihre Personen wieder. Die grausame Wirklichkeit auf dem Boden und doch dem Himmel so nah. Speranza so nachfühlbar in diesen beiden ersten Akten. Suor Angelica endet in einem völligen Blau der Bühnenbildes und mit dem Tod der Angelica fallen die großen weissen Vorhänge, die rings um das Bassin die Bühne – und auch letztlich im übertragenen Sinne Schwester Angelica selbst – eingrenzen. Ergreifend! Jubel vom Publikum. Pause.

Dass Roland Schwab die Pause dann vor dem dritten Akt, dem GIANNI SCHICCHI, ansetzt, hat natürlich auch mit Bühnenumbauten zu tun aber sicher auch damit, dass nun eine ganze andere Form von Hoffnung/Speranza gezeigt wird. Turbulente, komische und zu keinem Moment in Klamauk abgleitende Personenführung macht sich dann auf der großen Bühne des Essener Aalto-Theaters breit. Das übergroße Wasserbassin ist zur Hälfte mit Glas abgedeckt und verfehlt auch in dieser heiteren Geschichte seine Wirkung nicht. Besonders in diesem Teil des Il Trittico kommen die Kostüme von Gabriele Rupprecht sehr zur Wirkung. Die ganze Szenerie dieses heiteren Teiles des Trittico hat was von Hollywood aus den 60-er/70-er Jahren. Herrlich überdreht, was auch an den Kostümen festgemacht werden kann. Und sei es nur der berühmte Schlitz im Kleid. Nach GIANNI SCHICCHI entlud sich die Begeisterung des Premierenpublikums in großem Jubel und vielen Bravorufen, zu dem dann auch noch die DarstellerInnen der beiden zuvor gezeigten Einakter mit auf die Bühne kamen.

Musikalisch war diese Premiere ebenfalls ein großer Erfolg. Gerade in diesen pandemiebeschwerten Zeiten dürstet es die Opernfans nach solch großen und aufwendigen Produktionen. Und das offenbar auch das Ensemble des Aalto-Theaters in gleicher Weise. Denn die Spielfreude aller Mitwirkenden übertrug sich zu jeder Zeit auf das Publikum und begeisterte dieses zunehmend. Deswegen hier zuerst ein kollektives großes Lob für das musikalische Ensemble auf der Bühne des Essener Il Trittico! Dies gilt natürlich ebenso für den Opernchor und den Kinderchor des Aalto-Theaters (Einstudierung Patrick Jaskolka) und für die Statisterie des Hauses.

Solistisch war jede der drei Einakter bestens besetzt, bis hin in die kleinsten Partien. Und von denen gibt es bei Puccini in diesem Werk eine ganze Reihe. Und in den Hauptpartien der drei Einakter ist ebenfalls nur positives zu berichten.

Aalto-Theater/“Gianni Schicchi“:Heiko Trinsinger (Gianni Schicchi), Lilian Farahani (Lauretta)Foto: Matthias Jung

Heiko Trinsinger als Michele (Il Tabarro) und als Gianni Schicchi gleichermaßen, höchst überzeugend in Gesang und Ausdruck. Zwei Partien, die von der Gestaltung kaum unterschiedlicher sein können. Kraftvoll und voller gesanglicher Dramatik sein Michele, spielfreudig und sehr pointiert dann seine Interpretation des Schicchi. Das Publikum sah es auch so: am Ende viele Bravorufe für diese künstlerische Leistung. Als seine Frau Giorgetta wusste Annemarie Kremer ebenfalls zu begeistern. Sehr gut spielte sie die innere Zerrissenheit dieser Frau und verlieh dieser auch durch ihre Stimme großen Nachdruck. Sergey Polyakov spielte und sang den Geliebten Luigi ebenfalls überzeugend und stimmstark und ergänzte dieses Gesangstrio absolut adäquat.

Die Mezzosopranistin Bettina Ranch gab als La Frugola in Il Tabarro und als Fürstin in Suor Angelica an diesem Abend zwei glänzende Rollendebüts ab. Zum einen war da die Gestaltung der eher keck daherkommenden La Frugola (Frettchen), die aus der Seine Dinge sammelt, die sie offenbar braucht und dann war da die Darstellung der unnahbaren Fürstin in Suor Angelica, der Bettina Ranch hervorragend eine kühle und unsympathische Aura verlieh. Hier hätte sich der Rezensent gewünscht, Puccini hätte dieser Partie noch mehr zu singen in die Partitur geschrieben, zu überzeugend war die gesangliche Interpretation der aus Berlin stammenden Mezzosopranistin.

Aalto-Theater/“Suor Angelica“: Jessica Muirhead (Suor Angelica)/Foto: Matthias Jung

Jessica Muirhead stand zu Recht und hochverdient im Beifallssturm des Publikums. Ihre Darstellung der verzweifelten Suor Angelica ging unter die Haut. Die Gestaltung ihrer Arie „Senza mamma…“ war sicher einer der Höhepunkte des gesamten Premierenabends, eigentlich nur noch getoppt durch die finale Sterbeszene der Angelica, wenn sie die Jungfrau Maria um Vergebung bittet. („O Madonna, salvami!„). Das sind sie. Die Momente, in denen der Opernfan weiss, weshalb er diese Kunst so liebt. Bravo für Jessica Muirhead!

Im abschliessenden GIANNI SCHICCHI gab es dann noch eine rundum begeisternde Ensembleleistung. Die Darstellung des Titeldarstellers durch Heiko Trinsinger ist hier schon erwähnt. Als Schicchis Tochter Lauretta fand Lilian Farahani den idealen Ton, nicht nur, aber auch, für eine der wohl berühmtesten Opernarien überhaupt, dem „O mio babbino caro„, und erhielt danach spontanen Applaus für die berührende Gestaltung dieses Kleinods. Ihr zur Seite Carlos Cardoso als Rinuccio, der diesem verliebten Jüngling enorm viel Stimme verlieh und wirklich tenorale Glanzmomente zauberte. Ganz tolle Leistung des portugiesischen Tenors!

Am Pult der glänzend aufspielenden Essener Philharmoniker stand mit Roberto Rizzi Brignoli ein ausgewiesener Experte des italienischen Opernfachs. Er lies seine Musiker und Musikerinnen Puccinis reichhaltige Partituren mit eben diesen ganz besonderen Feinheiten und Nuancen spielen und erklingen und setzte bei den musikalisch dramatischen Momenten, insbesondere in Il Tabarro und Suor Angelica, große Akzente. Natürlich auch für ihn und die Philharmoniker am Ende des Abends hochverdienten Applaus!

Schlussapplaus/Foto DAS OPERNMAGAZIN

Fazit: Puccinis Il Trittico im Aalto-Theater Essen verzaubert die Sinne! Auch dank der Regie von Roland Schwab. Die Puccini-Fans und die Freundinnen und Freunde der italienischen Oper sollten dieser Inszenierung einen Besuch abstatten. Es lohnt!

 

 

 

  • Rezension von Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN
  • Aalto-Musiktheater Essen / Stückeseite
  • Titelfoto: Aalto-Theater/“Suor Angelica“:Jessica Muirhead (Suor Angelica), Opernchor, Kinderchor, Foto: Matthias Jung

 

Teile diesen Beitrag:

Ein Gedanke zu „Dem Himmel nah – „IL TRITTICO“ im Aalto-Musiktheater Essen

  1. Ich dachte, diese Premiere wird die Übernahme der hervorragenden Inszenierung von „Il Trittico“ von Herrn Laufenberg in Wiesbaden sein. Bei der Vorbesprechung der Einakter zeigte nämlich das Aalto Theater einen Trailer von dieser Aufführung und die fanden wir ausgezeichnet, u.a. mit dem Auferstandenen auf der Bühne.

    Dagegen macht die Essener Inszenierung den Eindruck eines bunten Zirkus mit im Wasser watenden Darstellern und man fragt sich, wie viele von ihnen werden sich in dieser Jahreszeit dabei erkälten.

    Außerdem lenken derartige Inszenierungen die Aufmerksamkeit der Zuschauer von der wunderschönen Musik und von den herrlichen Stimmen. Deswegen werden wir auf die Kulturreise nach Essen eher verzichten.

    Freundliche Grüße!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert