Aller guten Dinge sind drei: Im Frühjahr 2020 war Georges Bizets Oper Les Pêcheurs de perles dem ersten Lockdown zum Opfer gefallen und auch der zweite Premierentermin Ende November 2021 fiel erneut in die Zeit eines Lockdowns. Im dritten Anlauf fanden die Perlenfischer an diesem Abend nun aber doch noch ihren Weg auf die Bühne der Grazer Oper. Das lange Warten hat sich dabei allerdings nur bedingt – nämlich aus musikalischer Perspektive! – gelohnt, denn die Inszenierung trägt nicht unbedingt dazu bei, die Geschichte in irgendeiner Form spannend zu erzählen, sondern bietet vor allem Grund zum Kopfschütteln.

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Les Pêcheurs de perles
© Werner Kmetitsch

In einer Welt aus Pappmaché-Felsen und abstrakt stilisiertem Hintergrund stehen Statisten, Chor und Solisten ohne erkennbare Personenregie vor allem herum; hin und wieder müssen alle Beteiligten dann aber eine diffuse Choreographie an Handbewegungen ausführen und dabei gehetzt um sich blicken. Verstärkt wird dieser bizarr museale Eindruck der Inszenierung durch die Kostüme, die wie ein wild zusammengewürfelter Mix aus Altkleider-Sammlung, Schuh des Manitu und Asterix wirken sowie durch die ohne erkennbaren Grund auftauchenden überdimensionierten Vögel und Blutrituale im dritten Akt. Zum Innenleben der Figuren scheint das Regieteam bestehend aus Ben Baur und Beate Vollack dabei allerdings wenig zu sagen zu haben, denn die Charaktere bleiben die ganze Vorstellung über blass. Dass der Abend angesichts dieser szenischen Fadesse dennoch zu einem Erfolg wurde, lag einerseits am berückenden Klang aus dem Orchestergraben und andererseits an Tetiana Miyus als Tempelpriesterin Leïla.

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Tetiana Miyus (Leïla)
© Werner Kmetitsch

Die Stimme verfügt nämlich über die nötige Leichtigkeit und lyrische Qualität, um in den ätherischen Momenten endlos im Raum zu schweben – so schien etwa im zweiten Akt während der Arie „Comme autrefois dans la nuit“ die Zeit beinahe still zu stehen; andererseits bot sie auch genug Attacke, um im dritten Akt ebenso herzergreifend wie intensiv um Nadirs Leben zu bitten. Dabei ist Miyus‘ Sopran in allen Lagen mit Klangschönheit ausgestattet und vermittelte durch eine Fülle an Farben die Gefühlswelt des Charakters.

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Andrzej Lampert (Nadir) und Dariusz Perczak (Zurga)
© Werner Kmetitsch

Eine gute Leistung lieferte Dariusz Perczak in der Rolle des Zurga, denn ihm gelang es, der Figur auch darstellerisch Dreidimensionalität zu verleihen. Stimmlich hatte er seine stärksten Momente im ersten Akt im Duett „Au fond du temple saint”, denn dort konnte sein Bariton elegant strömen und seine Trümpfe – nämlich einen ebenmäßigen, karamelligen Klang – ideal ausspielen. In den dramatischeren Momenten fehlte es ihm jedoch zuweilen an Durchschlagskraft und so geriet etwa die Szene mit Leïla im dritten Akt nicht so leidenschaftlich, wie es das Libretto vorgegeben hätte.

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Tetiana Miyus (Leïla) und Andrzej Lampert (Nadir)
© Werner Kmetitsch

Andrzej Lampert bemühte sich als Nadir zwar redlich um französische Stilistik in der Gesangslinie, sein höhensicherer Tenor wirkte aber über weite Strecken angestrengt; das gaumige Timbre mit dem passagenweise auffallend starken Vibrato wollten zusätzlich nicht so recht zur Partie passen. Einen Ehrfurcht gebietenden Nourabad gestaltete Daeho Kim mit seinem dunkel timbrierten Bass, wobei er stimmlich und darstellerisch eine gute Kombination aus Noblesse und Autorität bot. Ein Genuss ist ohnehin immer der Chor, aus dem Bernhard Schneider auch bei diesem Werk das Maximum herausgeholt hat: Mit einer perfekten Verschmelzung der einzelnen Stimmen und punktgenau gesetzten Akzenten in der Gestaltung übernahm der Chor gewissermaßen eine kollektive fünfte Solopartie.

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Tetiana Miyus (Leïla)
© Werner Kmetitsch

Im Orchestergraben schienen die Grazer Philharmoniker unter der Leitung von Marcus Merkel an diesem Premierenabend regelrecht zu zaubern. Der Klang schimmerte und glänzte in unzähligen Farben – das absolute Highlight war in dieser Hinsicht zweifellos das große Duett im ersten Akt, aber auch dessen zentrales Motiv, das sich durch das ganze Werk zieht und das von Merkel und dem Orchester mit der exakt richtigen Dosis an Schmalz ausgestattet wurde, sodass es zwar berückend romantische, aber nicht übertrieben kitschige Wirkung erzielte. Ebenso kamen das Brodeln des Meeres und des Sturms in der musikalischen Gestaltung ideal zur Geltung, wobei Merkel das Orchester in diesen Passagen auch ordentlich aufdrehen ließ. Mit Liebe zum Detail und feinen dynamischen Abstufungen wurde Bizets Musik zum Schweben gebracht und alle Facetten der widerstreitenden Gefühle der Figuren, die das Regieteam schuldig blieb, wurden in der Musik erfahrbar.

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