Oper

Grandiose „Mazeppa“ im Festspielhaus Baden-Baden

Ostern im Herbst: Die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko gastieren im Festspielhaus Baden-Baden und glänzen mit Tschaikowksys „Mazeppa“.

12.11.2021

Von Jürgen Kanold

Grandios: Die russische Sopranistin Olga Peretyatko in der Rolle der Maria.  Foto: Monika Rittershaus

Grandios: Die russische Sopranistin Olga Peretyatko in der Rolle der Maria. Foto: Monika Rittershaus

Baden-Baden. Ein Volksheld der Ukraine, der sich mit westlichen Mächten verbündet, um sein Land von den Russen zu befreien? Das kommt einem sehr gegenwärtig vor – Mazeppa hieß der Mann, aber er handelte im frühen 18. Jahrhundert. Und während er in der Ukraine bis heute verehrt wird und sein Konterfei einen Geldschein ziert, sah das der russische Nationaldichter Alexander Puschkin schon im 19. Jahrhundert etwas anders, sein Langgedicht „Poltawa“ benannte er nach jener Schlacht, in der Mazeppa 1709 vom Zarenreich geschlagen wurde. Und überhaupt sind wir ja in der Oper von Peter Tschaikowsky.

Ein politischer Abend war das jetzt am Mittwoch in Baden-Baden sowieso nicht, jedenfalls gab’s keine Kommentare oder szenische Parteilichkeiten eines Regisseurs. Denn „Mazeppa“ geht konzertant (und noch einmal an diesem Freitag) über die Bühne des Festspielhauses – aber in einer grandiosen Aufführung, die eine bei uns kaum bekannte Oper in Bestbesetzung vorstellt. Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker, und das Weltklasse-Ensemble singt nicht nur in der russischen Originalsprache, es sind auch fast ausschließlich Russinnen und Russen.

Was in Baden-Baden nicht sonderlich auffällt. Die Kurstadt gehörte im 19. Jahrhundert zu den Lieblingsorten prominenter wie reicher Russen, nicht nur Fjodor Dostojewski verlor im Casino viel Geld. Aber noch heute urlauben viele Russen an der Oos (oder kaufen Immobilien auf). Auch das Festspielhaus pflegt die Tradition, das St. Petersburger Mariinsky-Theater ist Stammgast, nicht nur mit seinem Ballett.

Und die Berliner Philharmoniker, die seit 2013 ihre Osterfestspiele in Baden-Baden feiern, haben einen russischen Chefdirigenten. So hat sich Petrenko jetzt „Mazeppa“ vorgenommen. Wobei die Premiere mehrmals verschoben wurde, und jetzt ist halt Ostern im Herbst.

Es ist ein Terminwunder, dass die „Berliner“ überhaupt im rein privat finanzierten Festspielhaus mit Konzerten sowie dieser konzertanten Oper gastieren können. Der logistische Aufwand ist immens, strenge Corona-Tests gehören dazu. Zunächst war nach den Auflagen vom Frühsommer mit 500 Besucherinnen und Besuchern kalkuliert worden, sagt Kommunikationsdirektor Rüdiger Beermann. Aktuell darf nach 3G-plus der 2500 Plätze bietende Saal zwar komplett besetzt werden, es klaffen aber große Lücken. Man sei mit mehr als 1000 verkauften Karten im Schnitt pro Abend „hoch zufrieden“, fahre aber selbstverständlich ein „Riesendefizit“ ein.

Das Publikum freilich erhält eine Riesenportion russische Spätromantik. Tschaikowsky komponierte „Mazeppa“ 1883, schuf tosende Schlachtengemälde und dramatische Dialoge, zeichnete aber ebenso lyrische Naturbilder und innigste Liebesszenen. Die ganz große Oper, samt 80-köpfigem Berliner Rundfunkchor, mit zwei Pausen dreieinhalb Stunden lang – aber auch musikhistorisch: eine regelrechte Grand opéra. Kirill Petrenko nun setzt die brillanten, klangfarbenreichen Berliner Philharmoniker gewaltig unter Strom, mit dem ihm eigenen Perfektionismus. Jeden Pathos-Anflug Tschaikowskys überspielt der Chefdirigent mit einer drastischen Tempoverschärfung. Atemraubendes Orchestervirtuosentum.

Nun geht es aber in „Mazeppa“ nicht allein um Machtkämpfe, um Verrat, Ehre und Rache, sondern vor allem um eine junge Frau, die an die große Liebe glaubt, und um ziemlich viel Schicksal, das ihrem Glück im Wege steht. Maria also verschmäht ihren Jugendfreund Andrei (Dmitry Golovnin mit schneidend hellem Tenor), weil sie den viel älteren Mazeppa liebt – Vladimir Sulimsky, so herrisch wie gefühlvoll, auf der Konzertbühne aber wirklich nicht greisenhaft. Vater Kotschubei (Dmitry Ulyanow) gibt die Tochter nicht her, was den Zorn des Kosakenführers auslöst. Und so fort – jedenfalls wird Maria wahnsinnig ob der unheilvoll männergetriebenen Ereignisse, was Frauen in romantischen Opern oft passiert.

Aber das Erstaunliche, Berührende in dieser Oper: Sie endet nicht mit einer Massenszene, sondern ganz intim, mit einem Wiegenlied. Maria singt es dem sterbenden Andrei. Ein wunderbares Finale mit Olga Peretyatko. Die Koloratur-Sopranistin glänzt mittlerweile mit einer großen zarten, tief empfindsamen lyrischen Stimme – und löst in diesem Fach Anna Netrebko als Superstar ab, die sich ins furchteinflößend Hochdramatische verabschiedet hat. Riesenbeifall.

Im nächsten Jahr

„Pique Dame“

Eine weitere Aufführung von Peter Tschaikowskys Oper „Mazeppa“ steht an diesem Freitag, 18 Uhr, auf dem Programm. Karten unter Tel. 07221/3013-101 und online unter www.festspielhaus.de

Die Osterfestspiele 2022 mit den Berliner Philharmonikern finden vom 9. bis 18. April im Festspielhaus Baden-Baden statt. Mit Tschaikowsky geht es weiter: Unter anderem dirigiert Kirill Petrenko die Oper „Pique Dame“ – mit Asmik Grigorian als Lisa. Und auch die Oper „Jolanthe“ mit Siony Yoncheva ist annonciert.

Der rote Teppich ist in Baden-Baden ausgelegt für Kirill Petrenko.

Der rote Teppich ist in Baden-Baden ausgelegt für Kirill Petrenko.

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Erstellt:
12.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 12.11.2021, 06:00 Uhr

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