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„Albert Herring“ in Mannheim: Die Befreiung des Muttersöhnchens

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Die Mutter dräut, der Nichtsnutz treibt Unfug.
Die Mutter dräut, der Nichtsnutz treibt Unfug. © Hans Jörg Michel

Benjamin Brittens komische Oper „Albert Herring“ gelingt in Mannheim.

Die komische Oper „Albert Herring“, 1947 uraufgeführt, dreht das Thema der von der spießigen Gesellschaft beäugten Tugendhaftigkeit ins total Lustige und Harmlose. Ein scharfer Kontrast zur älteren Tragödie „Peter Grimes“ und von Benjamin Britten vor allem als Gegenstück zur zwischen beiden liegenden Kammeroper „The Rape of Lucretia“ konzipiert. In der Sache und musikalisch schwingt das Tragische mit, umso erfrischender ist die Heiterkeit.

Mag sein – und es passte zum Thema –, dass es der ebenfalls spießigen Gesellschaft in der Welt hier draußen leichter fällt, wohlwollend über einen „gefallenen“ Mann zu lachen, der nichts bereut. Während die vergewaltigte Frau, die sich daraufhin das Leben nimmt, als Vorbild und Inbegriff der ehelichen Treue in die Künste und Köpfe eingeht. „Albert Herring“ ist jedenfalls – nicht in der Novellenvorlage von Guy de Maupassant, aber im Libretto von Eric Crozier – die Geschichte einer Befreiung: Muttersöhnchen Albert, der zum tugendhaften Maikönig gekürt wird, weil die potenziellen Maiköniginnen im Ort Lotterleben führen, gerät unverschuldet, aber putzmunter und offen für alles in eine Sauf- und Sonstwas-Nacht. Während er irgendwo seinen Rausch ausschläft, wird er gesucht und dann bereits betrauert, aber da ist er wieder und wohlauf. Künftig wird er gewiss nicht mehr alles tun, was seine Mutter sagt.

Man muss etwas missgünstig sein, um dieses Ende ins Trübe zu ziehen. Cordula Däuper am Nationaltheater Mannheim ist keineswegs missgünstig, aber, wie fein und klug, sie veranstaltet auch keinen Klamauk. Die ulkige Bebilderung hält stattdessen glücklich die Waage zwischen Albernheit und Psychologie. Dabei helfen die Puppen von Michael Pietsch, unter denen nicht nur ein winzige Albert-Marionette ist, sondern auch eine mehrteilige Übermutter. Mehrteilig, damit eine der Riesenpatschhände sich auch verselbständigen kann, um nach Albert zu greifen, Christopher Diffey. Dessen schlanker, jugendlicher Tenor passt zu ihm und allen seinen Verkörperungen. Neben dem Knirps gibt es ihn nachher noch in vergrößert, als er zum Manne geworden und vom Mutterschoß gelöst nach der bewussten Saufnacht zurückkehrt.

Offen für Neues, z. B. Rum

Größenverhältnisse sind insgesamt der Clou des Abends, auch Friedrich Eggerts Bühnenbild spielt damit: Die Bühne ist ein riesiger Tisch, ein gigantisches Buch mit einigen plakatgroßen Post-its liegt darauf. Der Tisch ragt noch ein Stück über den Orchestergraben und lässt die lebensechten Stühle zu Stühlchen werden, die Menschen, von Sophie du Vinage putzig zwischen Alice im Wunderland und dem Hier und Heute eingekleidet, zu Spielzeug. Zum Maikönigfest kommt riesige Konditorware ins Spiel. Sanfter und konsequenter kann man Menschen (hier: Engländerinnen und Engländer) nicht von vornherein lächerlich machen.

Halb unterm Tisch ein gutes Dutzend Musiker und Musikerinnen unter der Leitung von Alexander Soddy, die einen durchgefeilten Britten-Sound servieren, denn „Albert Herring“ ist eine abgefeimte und komplexe Musik. Die zahlreichen Ensembleszenen lassen an Gilbert & Sullivans Operetten wie an Verdis „Falstaff“ denken und sind doch modern und keck. Indem auch eigene ernste Musik anklingt – „Rape of Lucretia“, „Peter Grimes“ – entsteht eben das verblüffende Changieren zwischen einem großen Spaß und dem Bewusstsein, dass das anders hätte enden können.

Als Albert Herring unwissentlich Rum trinkt, erklingt das Tristan-Motiv, und das ist ulkig, aber nicht nur. Trunkenheit ist eine Verwandlung, Albert lernt in dieser Nacht vielleicht die Liebe kennen. Auch wenn ihm nur Nichtsnutze eine Rumlimo gemixt haben, in Mannheim in einem Riesenglas. Aufwendig und zugleich großartig handgemacht der Mechanismus, der den Pegel im Glas steigen lässt. Der Abend sitzt im Detail wie im Großen, und erstaunlich ist angesichts dieses souveränen Zugriffs bloß, wie selten diese Oper aufgeführt wird.

Nationaltheater Mannheim: 28. Juli. www.nationaltheater-mannheim.com

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