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Opern-Kritik: Domstufen-Festspiele Erfurt – Die Jungfrau von Orleans

Vor großer Kulisse

(Erfurt, 10.7.2021) Erfolgreicher Start der Domstufen-Festspiele vor Publikum: Peter Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“ blieb beim zweiten Anlauf in Erfurt trocken und wurde bejubelt.

vonRoberto Becker,

Giuseppe Verdi hatte seine Opernversion von Friedrich Schillers Trauerspiel „Die Jungfrau von Orléans“ schon 1845 in Mailand herausgebracht. Sein Geniekollege Peter Tschaikowsky folgte 1881 mit seinem romantischen Vierakter in St. Petersburg. Auch eine aparte Art Nachwirkung für einen deutschen Klassiker. Die russische Version steht jetzt auf dem Programm der Domstufenfestspiele in Erfurt, die in diesem Jahr wieder vor Publikum stattfinden. Der im vorigen Jahr der Pandemiebekämpfung zum Opfer gefallene (u.a. in Verona freilufterprobte) „Nabucco“ soll im nächsten Jahr nachgeholt werden.

Widrigkeiten Wetter und Virus

Der aktuellen Premiere standen zwei Hindernisse im Wege. Zunächst das alles beherrschende Virus – hier gab es einen Kompromiss: Sitzordnung im Schachbrettmuster (also pro Vorstellung nur 1200 Zuschauer), Masken bis zum Platz und ansonsten Hoffen auf die Wirkung von Impfungen und eingeübter Vorsicht. Dem Wetter kam man nicht bei. Ein Dauerregen verhinderte schon den Beginn der Premiere am Freitag. Also wurde die zweite Vorstellung zur ersten und zu einem allseits bejubelten Erfolg beim ausgehungerten Publikum.

Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“
Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“

Fulminante Wirkung der sakralen Kulisse

Wobei an diesem besonderen Spielort die sakrale Kulisse immer schon die halbe Miete ist. Hier imponierten schon ein Riesenbücherturm zum „Namen der Rose“, hier gab es einen imposanten Schrottplatz für „Carmen“. Im Vergleich dazu ist die nach oben zu wie eine brechende Welle gebogene Rückwand, mit der Hank Irwin Kittel die gesamte Treppe überbaut hat, geradezu nüchtern. Sie wirkt aber doch fulminant, denn sie bringt auf hellem Hintergrund die Akteure optisch zur Geltung und wirkt für die Sänger wohl wie eine Muschel.

1. Kapellmeister Yannis Pouspouriakis sorgt Open Air für satten romantischen Ton

Akustisch bietet die aktuelle Premiere zudem eine grundsätzliche Innovation. Wie in Bregenz spielt das Erfurter Orchester jetzt in seinem (einen Kilometer entfernten) Haus. Von dort wird der Klang in die Soundanlage auf dem Domplatz übertragen. Und das funktioniert, gerade bei dem mit sattem romantischen Ton prunkenden Tschaikowsky, für den der neue 1. Kapellmeister Yannis Pouspouriakis und sein Orchester sorgten, ganz hervorragend. Es spricht für das Theater Erfurt, dass es wirkungsvoll an den Voraussetzungen für die musikalische Qualität seines etablierten Spielzeiteröffnungsspektakels arbeitet, also mehr als nur üppige Einnahmen aus den ja immerhin 20 geplanten Vorstellungen im Sinne hat. Es ist aber (auch wie am Bodensee) meist das Bühnenbild, das im Gedächtnis bleibt.

Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“
Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“

Vokale Kraft aus dem durch Gäste ergänzten Opernensemble des Theater Erfurt

Dabei bietet das Haus natürlich auf, was es an vokaler Kraft zu bieten hat und ergänzt das, wenn nötig, mit passenden Gästen. Auch jetzt sind alle Partien doppelt, die der Johanna sogar dreifach besetzt. Wenn man einen Aufführungszyklus fast jeden Abend spielt, ist das auch sinnvoll. Den Anfang machte die lettische Mezzospranistin Eglė Šidlauskaitė mit einer sehr sicheren, manchmal flammenden, immer prägnanten Johanna. Interessant wäre der Vergleich mit der Russin Anne Gichik oder mit der Französin Anne Derouard, die ebenfalls diese anspruchsvolle Partie singen werden.

Johanna, die exponierte Außenseiterin

Die Inszenierung des Japaners Timo Sugao, zu deren abstrakter Stilisierung die Kostüme von Bianca Deigner erheblich beitragen, versucht dem Ganzen aus der Perspektive einer Johanna beizukommen, die sich selbst als so exponierte Außenseiterin betrachtet, dass sie sich berufen fühlt, das französische Heer siegreich aus einer aussichtslosen Lage gegen die englischen Eindringlinge zu führen. Ihre Überzeugungskraft setzt solche Kräfte frei, dass den Franzosen der Sieg tatsächlich zufällt. Sie ist authentisch, alle anderen tragen – metaphorisch und real –  phantasiereiche Masken. Die einzige Ausnahme ist Lionel, der gegnerischen Ritter, in den sie sich verliebt. Zwei wahre Menschen in einer Welt von Marionetten höherer Mächte.

Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“
Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“

Das funktioniert auch deshalb, weil Siyabulela Ntlale den burgundischen Ritter exzellent als Partner auf Augenhöhe mit Johanna singt. Aus der bestens auf die Freiluftbedingungen eingestellten Besetzung ragen außerdem Kakhaber Shavidze als Tibo d’Arc und Máté Sólyom-Nagy als französischer Ritter Dunois heraus. Der liest seinem feigen König (Mikhail Agafonov) ziemlich die Leviten, weil dem das Vergnügen mit seiner Geliebten Agnes (Daniela Gerstenberger) wichtiger ist, als der Ausgang des Krieges. Man merkt dem Erfurter Ensemble an, dass es domplatzerprobt ist.

Stilisierung mit starken Farben

Für die stilisierte Inszenierung genügen ansonsten ein paar Tische und ein Arsenal von riesigen Federn. Feierlich präsentiert wie Banner. Sie sind schwarz, wenn sie den Engeln zuzurechnen sind. Königsblau, wenn sie den französischen Hof, rot, wenn sie die kämpfenden Engländer und golden, wenn sie die prachtvolle Krönung von Karl VII. ihren Schick verleihen. Dass die Schatten dieser Federn auch die Waffen in einer Schlacht verkörpern können, wenn eine rote und eine blaue Partei damit aufeinander einschlagen, und, dass diese Art von Abrüstung von schepperndem Blech hin zum feinen Aquarell ebenso fabelhaft funktionieren kann, gehört zu den Erkenntnissen dieser Inszenierung.

Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“
Szenenbild aus „Die Jungfrau von Orleans“

Den Chor haben Andreas Ketelhut und Amy Share-Kissiov vokal und bewegungstechnisch dafür bestens vorbereitet. Die auch sonst – legitimerweise – vor allem auf den optischen Effekt setzt. Etwa, wenn mit den Federn solange der Schriftzug mit Johannas Namen auf Domfassade, Bühnenwelle und Severikirche projiziert wird, bis er nicht mehr zu erkennen ist. Und im Dunst der Geschichte verschwindet. Ganz so wie das französische Bauernmädchen mit dem spektakulären Nachleben im Schauspiel und auf der Opernbühne. Am Ende: viel Beifall und die Hoffnung auf regenfreie Abende!

Domstufen-Festspiele Erfurt
Tschaikowsky: Die Jungfrau von Orleans

Yannis Pouspourikas (Leitung), Tomo Sugao (Regie), Hank Irwin Kittel (Bühne), Bianca Deigner (Kostüme), Florian Hahn (Licht), Andreas Ketelhut & Amy Share-Kissiov (Choreinstudierung), Eglė Šidlauskaitė, Kakhaber Shavidze, Siyabulela Ntlale, Borislav Rashkov, Máté Sólyom-Nagy, Mikhail Agafonov, Daniela Gerstenberger u. v. a.

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