Staatsoper Hamburg: „MANON“ – Rezension des Livestreams v. 12.2.2021

Staatsoper Hamburg/MANON/Elsa Dreisig/Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Jules Massenets Oper in sechs Bildern „Manon“ ist ein zentrales Werk der französischen Opernliteratur, rund um eine starke, aber dem Vergnügen und dem Luxus verfallene, junge Frau mit Namen Manon und den jungen Adligen Des Grieux, weniger wagemutig, doch umso mehr an die wahre Liebe glaubend, und letztendlich alles für diese opfernd, dessen Uraufführung 1884 in der Pariser Opéra-Comique erfolgte. Am 12. Februar war diese Opern im Stream bei OperaVision in einer Liveaufnahme in französischer Sprache mit Untertiteln vom 24. Januar 2021 aus der Hamburger Staatsoper zu sehen.  Das Libretto von Henri Meilhac und Philippe Gille entstand nach dem Roman „Histoire du Chevalier et de Manon Lescaut“ (1731) von Abbé Prévost. 

 

Regisseur David Bösch führte diese zeitlose Oper sehr einfühlsam in die Gegenwart, eine Katze durchlief die wechselnden Episoden der Handlung und wirkte als Vermittler zwischen den verschiedenen Szenerien. Die Ouvertüre brachte die Zuschauer als schwungvoll-belebter Einstieg, gespielt vom in weiten Abständen platzierten Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Leitung von Sébastien Rouland, der seinen Schwerpunkt ganz passend in der französischen Musik hat und Generalmusikdirektor am Saarländischen Staatstheater ist.

Den Einstieg zu jeder Szene bildete ein pantomimisches Schattenspiel in Form eines Stummfilms mit flackernden Bildern (Videodesign: Patrick Bannwart, Falko Herold). Der erste Akt spielte in einer Gaststätte, zu sehen waren Tische und Stühle (Bühnenbild: Patrick Bannwart) und feiernde Menschen, darunter auch der primitive Gastwirt, gespielt vom österreichischen Bass Martin Summer, seit 2019/20 Ensemblemitglied, ein ungepflegter Fleischer mit Beil, der Hamburger an die Gäste verteilt, fesselnd interpretiert mit profundem voluminösem Bass. Björn Bürger als Manons Cousin Lescaut, seit 2019/20 Mitglied des Ensembles, erscheint im ersten Akt lässig mit Kettchen (Kostüme: Falko Herold), gestaltet seine Rolle souverän mit klingendem Bariton. Der Chor der Hamburger Staatsoper (Chor: Eberhard Friedrich) erklang volltönend aus dem Off, wird später aber aus den Logen und Rängen des Zuschauerraums eingeblendet und besticht durch seinen ausgewogenen Gesamtklang, jedoch pandemiebedingt ohne Interaktionsmöglichkeit und wird folglich aus dem Geschehen ausgeblendet.

Staatsoper Hamburg/MANON/Elsa Dreisig, Ioan Hotea/Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Die mehrfach preisgekrönte französisch-dänische Sopranistin Elsa Dreisig, seit 2017/18 festes Ensemblemitglied der Staatsoper Unter den Linden, als Manon Lescaut ist mit ihrer natürlichen Ausstrahlung und ihrem jugendlich-naivem Gebahren und hell-leuchtendem Koloratursopran die Idealbesetzung dieser Rolle, anfangs erscheint sie als naive Reisende mit Schal, Mütze, Reisekoffer, Rucksack und Katzen-Käfig. Hinzu tritt der Argentinier Daniel Kluge als Generalpächter Guillot-Morfontaine, ein Lebemann mit halblangen Haaren, er meistert seine Rolle angemessen. Ebenso der mehrfach preisgekrönte usbekische Bariton Alexey Bogdanchikov, seit 2015/16 festes Mitglied des Hauses, mit Zylinder. Eine Idealbesetzung ist auch der Rumäne Ioan Hotea als Chevalier Des Grieux, der im Mantel mit Reisetasche, perfekt den Jüngling aus guten Verhältnissen mimend, mit inbrünstigen dröhnendem, wohlklingendem Tenor mit warmer Tiefe und glaubwürdigem Spiel faszinierte. Auch in den Duetten bewiesen Dreisig und Hotea ausdrucksstarken, gefühlvollen Zwiegesang. Als Anspielung auf das Kloster, in das Manon aufgrund ihrer Vergnügungssucht gebracht werden soll, setzte der Chevalier karikierend die Nonnenhaube auf und spielte später mit Manon in großer Satire ausgelassen mit der geistlichen Haube Fußball. Nähe wurde durch das verwobene Spiel mit Manons Schal erzeugt. Beide,- Manon und der Chevalier Des Grieux -, wollen nach Paris und fahren sinnbildlich auf zwei Stühlen als Kutsche, vor Rückkehr des Cousins, der auf Manon achten soll, ab. Der zweite Akt spielt in Manons und Des Grieux` kleinem Zimmer in Paris, angedeutet durch einen Mini- Eifelturm, ausgestattet durch Bett, kleinen Schreibtisch und Stuhl sowie ein großes Fenster, das auch als Tür genutzt wird.

Staatsoper Hamburg/MANON/Elbenita Kajtazi, Elsa Dreisig, Ida Aldrian, Daniel Kluge, Narea Son, Ioan Hotea, Björn Bürger/Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Des Grieux schreibt einen Brief an seinen Vater, in dem er ihm mitteilt, dass er Manon heiraten möchte, beide werden von Lescaut und Morfontaine entdeckt, wobei Des Grieux in einer Intrige durch seinen Vater entführt wird. Im dritten Akt befinden sich die Protagonisten im Vergnügungslokal mit Spielautomaten mit dem Ausspruch „c`est la vie“ („So ist das Leben“), sowie funkelndem Kronleuchter, alles Luxus atmend. Sopranistin Elbeniza Kajtazi, mehrfach preisgekrönt, als Pousette, Sopranistin Narea Son als Javotte und Mezzosopranistin Ida Aldrian als Rosette erschienen in kurzen Ballkleidern in lasziv-frivolem Spiel, die vergnügungssüchtigen Besucher des Etablissements mimend. Als Verschwender warf Lescaut nur so mit dem Geld um sich, sang leger, locker tanzend im offenen Hemd und Jeans sich bei den Frauen anbiedernd, Sand um sich werfend, was die Frauen faszinierte und sich teilweise entkleidend. Alles wird von der Paparazzi festgehalten, die überall mit Fotografen lauert. Manon, luxuriös gekleidet in hellgrauem, bodenlangen Glitzerkleid, weißen Fellmantel und blonder Lockenperücke und grellrotem Mund, die Diva des Hauses spielend, sang zart und lieblich in das aufgestellte Mikrophon, zu atmosphärischer Beleuchtung. Ein Servierwagen mit Manons Torte zum 20. Geburtstag wird hereingefahren. Manon ist impulsiv, will leben, fröhlich sein und sich ausgelassen belustigen. Morfontaine mit gegelten Haaren bringt Manon einen Ring als Zeichen seiner Liebe. Plötzlich erscheint der Vater des Chevalier, ihres ehemaligen Liebhabers, der russische Bass Dimitry Ivashchenko, ebenfalls eine Idealbesetzung, als Graf Des Grieux und konfrontiert Manon mit den Folgen ihres Verhaltens. Im zweiten Teil des dritten Aktes ändert sich das Bühnenbild in eine stilisierte Kirche mit Jesus am Kreuz und dem Chevalier Des Grieux im geistlichen Ornat, mit Zopf und Kette mit Kreuz, an der Orgel sitzend und Rotwein trinkend. Sein Vater will ihn umstimmen, er solle doch ein standesgemäßes Mädchen heiraten und eine Familie gründen, verdeutlicht durch eine brav-gekleidete Frau, die die Bühne durchschreitet. Doch letztendlich akzeptiert der Vater die Entscheidung des Sohnes zur geistlichen Laufbahn. Der Sohn versucht ein Bild von Manon zu verbrennen, doch es gelingt nicht. Da erscheint Elsa Dreisig als Manon in großer Robe in der Kirche, gerade der Glitzerwelt entstiegen und kniet zur Abbitte vor Gott nieder und bittet ihn mit zarter, leicht fliegender Stimme voll glitzernder Höhe um die Liebe des Chevalier. Sie verwüstet die Kirche, setzt als Reminiszenz an die Vergangenheit ihre Strickmütze auf, das erweicht den Chevalier und er gesteht ihr seine Liebe. Jesus am Kreuz verlässt den Kirchenraum in Richtung Himmel. Der 4. Akt zeigt eine Spielhalle im Hotel Transsilvanien mit großen Billardtischen, in der Cousin Lescaut völlig verwahrlost Drogen konsumiert. Der Chevalier hat beim Betreten des Etablissements sehr ambivalente Gefühle, während Manon in rotem Kleid und roter Jacke die Rückkehr in die Glitzerwelt genießt und ihn zum Glücksspiel verleitet. Guillot, der im Glücksspiel gegen den Chevalier dauernd unterliegt und Manon ebenfalls liebt, fordert seinen Gegner zum Duell auf. Ein wahnsinniges Spiel mit der Pistole beginnt, der sich alle Protagonisten wechselweise bemächtigen. Die von Guillot benachrichtigte Polizei erscheint mit dem Grafen Des Grieux und führt Manon und den Sohn des Grafen ab. Manon erschießt Guillot. Der fünfte Akt spielt in völliger Dunkelheit im Gefängnis, der Chevalier klagt einsam sein Leid, Manon erscheint, er will mit ihr flüchten, doch sie bittet ihn um Verzeihung und vergiftet sich im ergreifenden Liebesduett. Manon denkt zurück, während sie sehr leise sprechend, durch das Orchester klanglich fast überdeckt wird, die Liebe wird sinnbildlich auf Abstand dargestellt. Nachdem Manon gestorben ist, tötet ihr Geliebter sich selbst.

In weiteren Rollen spielen André Schöning und Hubert Kowalczyk als zwei Gardisten.

Staatsoper Hamburg/MANON/Elsa Dreisig/Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Eine sehr einfühlsame, stimmige Inszenierung, die die Seelenzustände der beiden Hauptprotagonisten – Manon und des Chevalier Des Grieux – eindrucksvoll beleuchtet und emphatisch deren Leben und Handlungsweisen schildert, wobei eine Katze als Verbindungsglied zwischen den Szenen zu vermitteln weiß.

Das Sahnehäubchen bilden die eindrucksvollen gesanglichen und schauspielerischen Leistungen von Elsa Dreisig, Ioan Hotea und Dimitry Ivashchenko.

 

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Ein Gedanke zu „Staatsoper Hamburg: „MANON“ – Rezension des Livestreams v. 12.2.2021

  1. Man kann auch vor einem kleinen Laptop-Bildschirm gebannt sein, wenn man eine so gute Inszenierung wie diese sieht. Ich kannte nur eine Arie, den Traum des Chevalier, und bin begeistert von der Musik, von dem Inhalt, den phantastischen Sä nger*innen, der so guten Regie, den so üppigen und wiederum kargen Bühnenbildern und den kleinen Filmen, die jeden neuen Akt akündigen. So eine tolle Oper habe ich lange nicht mehr gesehen. Ich wünsche dem Regisseur, dass, wenn das Haus wieder geöffnet ist, alle alle kommen mögen!
    Vielen Dank, Herr Bösch, für dieses Wunderwerk!

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