Staatsoper Hamburg: „MOLTO AGITATO“ – SEHR BEWEGT, BEWEGEND

Staatsoper Hamburg/Molto agitato/Matthias Klink, Georg Nigl, Katharina Konradi, Jana Kurucová, Valery Tscheplanowa; Video-Team/Foto @ Monika Rittershaus

„Molto agitato“ ist  das  Stück mit dem die Staatsoper Hamburg am 5.9. die diesjährige Spielzeit eröffnete Am 8.9. fand die zweite Vorstellung statt. Dieser von Frank Castorf inszenierte Musiktheaterabend verbindet Werke von György Ligeti, Johannes Brahms, Georg Friedrich Händel und Kurt Weil zu einer Vorstellung, die auch Dank der hervorragenden fünf Solisten unter die Haut geht und das Publikum mit gemischten Gefühlen und vielen Gedanken über uns und unsere Gesellschaft entlässt. Sehr unruhig irgendwie, bewegt, erregt. Ganz wie es der Tempobezeichnung  „molto agitato“ entspricht. (Besuchte Vorstellung am 08.09.2020)

 

Es beginnt schon an den äußeren Eingangstüren, das Gefühl, dass nichts mehr so ist wie es bisher war: Die Kontrolle der Karten findet draußen statt, die sonst freundlichen Gesichter der Damen und Herren sind mit einem Mund/Nasenschutz bedeckt, wie auch die Gesichter aller Besucher. Doch das ist es nicht, das befremdet. Es ist die Leere im Saal, die verhaltene Stille, die so ganz anders ist  als die freudige, nur im geringen Maße mit Skepsis gemischte Erwartung, die man sonst bei einem Opernbesuch bei sich und anderen spürte. Ist es auf der einen Seite auch angenehm einmal nicht um die Armlehnen „kämpfen“ zu müssen, so ist es auf der anderen Seite auch befremdlich und macht gleichzeitig neugierig darauf wie der Abend weitergeht.
Er wird eröffnet mit  „Die Ankunft der Königin von Saba“ aus Händels Oper „Salomo“, danach  folgen Ligetis „Nouvelles Aventures/Neue Abenteuer“. Wie „molto agitato“, eine weitere passende Definition für diese Aufführung, die viele neue Erfahrungen bietet
Denn sobald sich der Saal verdunkelt, die Erlaubnis zum Abnehmen der Masken gegeben ist und der Vorhang sich hebt, hat das Publikum einen Blick auf die so gut wie Kulissen freie leere Bühne und ihre unendlich erscheinende Tiefe, ein Ausblick, der etwas im Inneren berührt.

Staatsoper Hamburg/Molto agitato/Katharina Konradi; hinten: Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg/Foto @ Monika Rittershaus

Die fünf Darsteller wie auch die beiden Kameramänner, die ihnen folgen, wirken optisch klein und verloren. Dies, das Klackern ihrer Absätze wenn sie, wie gefühlt ständig, die immense Entfernung vom Bühnenrand zum Bühnenhintergrund zurücklegen und eigentlich alles an der Regie von Frank Castorf, die viel Körpereinsatz und Schauspielkunst verlangt, macht diesen  Musiktheaterabend zu einem Abend bei dem  „Theater“ größer geschrieben wird als Musik. Doch einzig wenn auf einer Leinwand  bei  Ausschnitten aus Händels Oper „Galatea e Poliferno“ ein gezeichneter Film, der die Geschichte der beiden Personen nacherzählt, wirkt dies ablenkend, ja, störend.
Ansonsten tragen die Videoleinwand  und die beiden live filmenden Herren zu der intensiven Wirkung des Abends bei, denn beides zeigt die Sänger in Nahaufnahme. Eindringlich überdimensional   und meist in Situationen die auf verschiedenste Weisen emotional sind und manchmal nicht nur verbal von Gewalt geprägt sind. Besonders während der Szenen aus Weills „Die sieben Todsünden“ sehen wir über den Bildschirm alltäglich wirkende Szenen, die gerade im Bühnenhintergrund stattfinden. Denn hier befindet sich Aleksandar Denics eigentliche Bühnenbild, ein Raum der einer kleinen heruntergekommen Wohnung  aus den 80ern oder frühen 90er Jahren gleicht. Die Kostüme von Adriana Braga Peretzki passen auch in diese Zeit und besonders zu ihrer glamourösen, exzentrischen Seite.

Kent Nagano führt seine wenig verbliebenen Musiker des  Philharmonischen Staatsorchesters wie gewohnt sicher durch die  Werke verschiedener Epochen. Rupert Burleigh begleitet  den Tenor Matthias Klink und den Bariton  Georg Nigl einfühlsam  bei  ihren jeweiligen Gesängen op.48 von Johannes Brahms.

Wie schon erwähnt beeindruckten alle fünf Darsteller mit ihren Leistungen und anders als bei  einer Oper ist es schwer jedem einzelnen  seinen wohl verdienten persönlichen Abschnitt zu geben. Denn passenden  zu den Zeiten unseres wirklichen Lebens ist diese Produktion, die voller subtiler und weniger subtiler Hinweise und auch Seitenhiebe auf die Gesellschaft nicht allein in einer bestimmten Nation jenseits des Ozeans ist, ein Ensemblewerk.

Staatsoper Hamburg/Molto agitato/Jana Kurucová, Valery Tscheplanowa, Matthias Klink/Foto @ Monika Rittershaus

Die Sopranistin Katarina Konradi fasziniert zusammen mit ihren Kollegen Georg Nigl und Jana Kurucová in Ligetis „Nouvelles Aventures“, deren Töne einem stimmakrobtischem  Vocalising gleichen. In den Szenen aus Händels „Galatea e Poliferno“  verzaubert sie mit glockenklarer Stimme und Höhen, während Mezzosopranistin Kurucová, Konradis heller Zartheit die eigene dunkeltönende Wärme hinzufügt.
Matthias Klink gestaltet die beiden Brahmslieder  „Von ewiger Liebe“ und „Mainacht“ einfühlsam und beweist, dass sein Tenor auch fast baritonale Tiefen einschließt. Ansonsten ist auch er wie Konradi, Kurucová und Nigl an diesem Abend und in Weills „Todsünden“ Teil eines vierstimmigen Chores oder oft stummer Darsteller. Aber dank Regie und eigener Bühnenpräsenz ausdrucksstark.

„Ausdrucksstark“ ist ein Begriff,  der mir für Bariton Georg Nigl und Schauspielerin Valery Tscheplanowa, die bereits viel mit Frank Castorf zusammenarbeitete, zu schwach scheint. „Völlig in den Bann ziehend“, eine meiner bevorzugten Bezeichnungen für Melodien oder auch Künstler, die mir besonders gefallen, kommt der Sache schon näher. Ist  molto agitato auch wirklich ein Ensemblewerk, so sind Nigl und Tscheplanowa die „primi inter paris“. Mit gut geführten Bariton füllte Nigl,  „Sänger des  Jahres 2015″ (Opernwelt) Brahms‘ „Lied von Herrn Falkenstein“ mit einer Energie, die Falkenstein wie auch die „Jungfer im weißen Kleide“ zum Leben erweckte. Erschreckend überzeugend gab er ansonsten, Quentin Tarantino zitierend, den im Wiener Dialekt pöbelnden Widerling. Die Szene, die ihn im Video übergroß als brutalen Folterer zeigte, verursachte einen Schauder der Furcht.

Staatsoper Hamburg/Molto agitato/Valery Tscheplanowa/Foto @ Monika Rittershaus

Als Opfer in dieser Szene, überzeugt Valery Tscheplanowa auf eine Weise, die das Hirn dazu bringt, sich mantraartig  einzubläuen: „Es ist nicht echt. Es ist nicht echt.“ Diese Intensität in Spiel, Ausdruck und als Anna in  den „Todsünden“ gesanglich, behält sie vom ersten Fahnenschwenken  zu Beginn des Abends bis zum Ende bei. Ihre Gesangsstimme ist von einer angenehmen Herbheit, die wie gemacht scheint für Weill oder auch all die Lieder, die wir von Marlene Dietrich oder Zarah Leander kennen und Lieder und die Selbstverständlichkeit mit der sie ihrem Körper allerlei abverlangt, hat mehr als nur Respekt verdient.

Vielleicht wäre ein heitererer Abend ein leichterer verdaulicher Einstieg in diese so spezielle Spielzeit gewesen. Aber ist (Musik)Theater nicht besonders heutzutage auch dazu da, uns einen Spiegel vorzuhalten und uns zum Nachdenken, Erkennen und vielleicht sogar zum mutigen Ändern zu bringen? Ich finde schon.
Und das Publikum, so gering seine Zahl auch aufgrund der Corona-Bestimmungen war, dankte allen Beteiligten mit herzlichem Applaus und auch einigen „Bravos“.

 

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