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Mark Morouse (Don Pizarro); Chor; Statisterie. Foto: © Thilo Beu
Mark Morouse (Don Pizarro); Chor; Statisterie. Foto: © Thilo Beu
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Liebesgrüße vom Bosporus … Spektakulärer politischer Startschuss für das Beethoven-Jahr in Bonn mit Volker Löschs „Fidelio“

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Es hat sich eingebürgert, dass Ludwig van Beethoven das letzte Konzertwort des Jahres hat. Seine 9. Sinfonie liefert gleich noch ein paar programmatische Verse von Friedrich Schiller mit. Was irgendwie einen trotzigen Optimismus ausstrahlt und in unseren Breiten auch noch an das sich mühsam einigende Europa erinnert. Dass ein runder Geburtstag wie jetzt der 250. des berühmtesten Sohnes der Stadt Bonn eine Angelegenheit ist, die weltweit zu Aktivitäten anregt, versteht sich. Die Oper der ehemaligen (provisorischen!) Bundeshauptstadt lässt es sich nicht nehmen, mit Beethovens einziger Oper „Fidelio“ ihr und unser aller Beethovenjahr zu eröffnen.

Und damit es auch niemand übersieht oder überhört ist Volker Lösch der Regisseur. Im Schauspiel ist er den Bonnern vertraut. Er hat sich als Schauspielregisseur einen Namen gemacht. Mit „Waffenschweine“, „Nathan der Weise“, „Bonnopoly“ und „House of Horror“. Wie viele umtriebige und ambitionierte Schauspielregisseure drängt es auch Lösch zur Oper. Mit „Macbeth“ und „Die Räubern“ war er 2013 in Magdeburg und zwei Jahre später in Weimar mit von der Partie. Einmal ersetzte ein Chor Magdeburger Frauen die Hexen. Im zweiten Falle verdichtete er das gängige Politikersprech aller Couleur zu Sprechblasen, die er den Akteuren in (bzw. an) den Mund legte.

Im Fall „Fidelio“ (bei ihm mit dem Untertitel „Kommando Beethoven“) wartet er nicht mit übersetzter und verdichteter Wirklichkeit auf, sondern mit authentischen Zeitzeugen. Er durchbricht die Ummantelung der Geschichte vom abenteuerlichen Befreiungsversuch eines zu unrecht eingesperrten politischen Häftlings, indem er sie am Beispiel Türkei auf seine Weise szenisch durchdekliniert. Taugte es den Bürgern in Goethes „Faust“ an Sonn- und Feiertagen noch für ein erquickliches Gespräch darüber, „wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen“, so tun sie dies heutzutage auch schon mal am Rhein. Was Kurden und Türken bzw. Erdoğangegner und dessen Fans miteinander abzumachen haben, das kann man besonders in NRW gelegentlich hautnah miterleben. Besonders, wenn der mehr als selbstbewusste laute Mann vom Bosporus in Deutschland Hof hält und seinen Landsleuten klar macht, wem ihre Loyalität zu gelten hat. Lustig ist der Tonfall nicht. Und, dass es gewaltiger Kraftanstrengungen bedarf, um einkassierte türkischstämmige Journalisten mit deutschem Pass wieder frei zu bekommen auch nicht. Bei all den ärgerlichen Unverschämtheiten und Anmaßungen, die aus Anatolien herüber wehen, vergisst man schon mal, dass sich der gegenwärtige Präsident nicht an die Macht geputscht hat, sondern gewählt wurde. Und, dass er es immerhin nicht verhindern kann, dass ein ihm missliebiges Ergebnis bei den Bürgermeister-Wahlen in Istanbul, auch bei der trotzig erzwungenen Wiederholung, nicht zu seinen Gunsten ausfiel.

Was das mit Beethoven zu tun hat? Zunächst mal nichts. Mit der jüngsten Inszenierung in Bonn aber schon. Denn da ist von diesem Präsidenten und seinen Gegnern in heimischen Gefängnissen oder im (z.B. deutschen) Exil mindestens so viel die Rede wie von Don Pizarro oder Floresten und Leonore. Für seine Fidelio-Befragung hat Lösch konsequent Stellung in den kurdischen Schützengräben eines verbittert ausgetragenen Dauerkonfliktes bezogen. Seine Kronzeugen auf der Bühne sind Hakan Akay, Goethe-Medaillen-Preisträger Doğan Akhanlı, Süleyman Demirtaş, Agît Keser und Dîlan Yazıcıoğlu. Die haben allesamt bei ihrer Anklage Erdoğans ihre eigene und die Biographie ihrer engsten Verwandten auf ihrer Seite. Sie sind in dieser Position wohl per se nicht für ausgewogene Reflexionen oder die Suche nach Kompromissen zuständig. Da rutschen neben vielen beklemmenden Details aus den Kerkern auch Sätze durch, wie der, dass die Türken selbst nur eine Erfindung der Türkei seien. Und da landen der Staatengründer Atatürk (der namentlich nicht vorkommt), die brutalen Militärs, die sich 1980 an die Macht geputscht haben, und selbstverständlich Erdoğan in ein und demselben Topf für die Abfälle der Geschichte.

Es liegt auf der Hand, dass Don Pizarro als Wiedergänger des Präsidenten die Szene betritt. Dass er am Ende quasi von der Masse gelyncht wird und als Erschossener am Boden zurückbleibt, illustriert dann aber doch nur ohnmächtige Wut und Verzweiflung.

Wie in jeder „Fidelio“-Inszenierung ist die Deus ex machina (bzw. Minister ex machina) - Lösung natürlich ein Problem. Im Stück bleibt die Frage, ob es Leonore wirklich geschafft hätte, Pizarro und gleich noch alle seine Gefolgsleute auszuschalten und wohin auch immer zu fliehen, wenn das punktgenaue Eintreffen des Ministers, nicht einen legalen Rahmen dafür geschaffen hätte.

Auch Löschs szenisch gedankliche Parallelaktion gerät am Ende in diese Klemme. Schon, weil seine Zeitzeugen in Freiheit sind und an einem Tisch rechts auf der Bühne sitzen. Da nichts von Beethovens Musiknummern gestrichen ist, (sondern nur die Sprechtexte, die durch seine Parallelgeschichte überreichlich ersetzt werden), wählt er den Ausweg, einfach auch die Freilassungen als Willkürakt zu benennen. Sie sind sozusagen die positive Kehrseite von Freiheitsberaubung und werden zum Indiz für eine weder an Werte- noch an Institutionen gebundene Macht. Das ist in der ansonsten mit ihren Videoeinspielungen und den authentischen Berichten agitierenden, anklagenden und auch das Publikum in die moralische Pflicht nehmenden und zur Parteinahme verpflichtenden Inszenierung geradezu subtil.

So bleibt dieser „Fidelio“ eine Art Studie zur Allgemeingültigkeit eines Stoffes, dessen nicht sonderlich geglücktes Libretto allemal ein Anreiz zu Überarbeitung sprich Verbesserung bietet. Oder ein szenisches Seminar über den politischen Beethoven mit der kompletten Musik aus dessen einziger Oper.

Auf der Bühne von Carola Reuther findet sich dieser Ansatz als Zweiteilung ohne illusionistisch historisierendes Interieur. Rechts ein Tisch, um den ein fiktiver Regisseur (Matthias Kelle) seine Zeitzeugen versammelt hat. Könnte sein für ein Opern-Seminar, könnte sein als Arbeitsvorbereitung für einen Film oder eine Inszenierung, denn auch die Sänger nehmen am Diskurs teil, lassen sich befragen oder charakterisieren selbst ihre jeweiligen Rollen.

Für die Musiknummern wechseln sie jeweils in einen Green Screen Raum für szenische Aufstellungen, die durch Einspielungen und Liveaufnahmen auf der großen Videoleinwand zur kompletten Szene werden. Die Technik ist eine Mischung aus Castorf-Methode und diversen Versuchen von Kobie van Rensburg – nur leider deutlich weniger perfekt als mittlerweile bei diesen beiden. Auf diese Weise kann man Jaquino und Marzelline als harmlosen Einstieg durch ein Kaufhaus bummeln oder zur Arie über das Gold von Rocco auf einem Geldschein über die Dächer fliegen lassen, als wäre man in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Oder man kann Leonore – hart an der Kitschgrenze – wie einen Engel durch Kerkermauern fliegen lassen. Wenn aber Florestan im Verlies, wie ein grünes Männchen in der Kiste, sein „Gott! welch Dunkel hier!“ heraustrompetet, dann wirkt das albern. Und wenn Don Pizarro als wildgewordener Sultan aus den am Regietisch durchgeblätterten Erdoğan-Karikaturen mit dem Krummsäbel fuchtelnd durch die Gegend fliegt, dann ist es eben genau das: eine animierte Karikatur.

In all diesem Crossover- und Bilderfeuerwerk hat es die Musik gar nicht so leicht, sich zu behaupten. Wenn sich der Zuschauerraum füllt, ist das Orchester hochgefahren wie in einer Formation zum Neujahrskonzert. Doch auch wenn die Musiker im Graben verschwunden sind, beharrt GMD Dirk Kaftan auf deren treibender Präsenz. Transparent, dramatisch, packend und da wo die Sänger glänzen (wie beim Mir-ist-so-wunderbar-Quartett) auch mit der gebotenen Zurückhaltung. Der musikalische Teil des Abends gelingt aber auch deshalb, weil die Oper Bonn ein durchweg überzeugendes Protagonisten-Ensemble aufbietet. Das beginnt mit der wunderbar klar und leicht daherkommenden Marzelline Marie Heeschen und ihrem Jaquino Kieran Carrel. Karl-Heinz Lehner ist ein überzeugend beredeter Rocco und Mark Morouse wirft sich mit darstellerischer und vokaler Wucht in seinen Pizarro-Bösewicht. Als Leonore bietet Martina Welschenbach darstellerisch einen glaubhaften Fidelio und vokal, die Lichtgestalt, die tatsächlich glaubt, dass Liebe (und eine Pistole) Berge versetzten können. Thomas Mohrs Florestan merkt man die Wagnererfahrung an, die er kalkuliert ausspielt. Martin Tzonev als zum Teil aus dem Zuschauerraum singender Minister rundet das stimmige Ensemble ab. Da auch der von Marco Medved einstudierte Chor gut in Form war wurde die musikalische Seite des Abends einhellig bejubelt. Bei der Inszenierung hatten die Lösch-Fans und Erdoğan-Kritiker die Oberhand. Einige Zuschauer waren gegangen. Wie hoch die Toleranzgrenze bei den Anhängern von Erdoğan ist, müsste man gegebenenfalls aus späteren Vorstellungen nachreichen.

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