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„Kontaktieren Sie Heiko Maas!“: Der Bonner Auftakt zum Beethoven-Jahr wird zur Abrechnung mit Erdogan
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Theater Bonn
  • FOCUS-online-Autorin

Neujahrs-Premiere an der Bonner Oper: Zum Auftakt des Beethoven-Jubiläumsjahrs 2020 steht Beethovens einzige Oper „Fidelio“ auf dem Programm. Wer aber glaubte, auf einem der rund 1000 Plätze zu Beethovens großer Musik gepflegt abschalten zu können, hatte sich gründlich geschnitten.

Ein Großbildschirm beherrschte die Bühne und zeigte schon zur „Fidelio“-Ouvertüre Irritierendes: Bilder vom Putschversuch in der Türkei vom Juli 2016, den Einsatz von Wasserwerfern gegen Demonstranten, Kämpfe gegen Kurden in Nordsyrien. Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie sie dem türkischen Präsidenten Erdogan die Hand schüttelt, untertitelt mit Erdogans Drohungen an die Europäische Union. Dieser „Fidelio“ rührt an das heiße Eisen der Kurdenverfolgungen in der Türkei. Vor dem Opernhaus am Boeselagerhof stand eine Mahnwache der lokalen kurdischen Gemeinde. Das ist bei Opern nicht die Regel.

Auch Beethovens „Fidelio“ war bei der Uraufführung 1814 ein Stück Zeitkritik

Schauspielregisseur Volker Lösch ist ein politischer Regisseur. Man erinnert sich an seine inszenierten Sprechchöre bei „Stuttgart 21“ oder den Anti-Pegida-Auftritten in Dresden. Bonn ist mit Löschs Aussagefreudigkeit gut vertraut. Am Schauspiel liefen Inszenierungen von „Waffenschweine“ (2013/2014), „Nathan“ (2014/2015), „Bonnopoly“ (2017/2018) und „House of Horror – Theater.Frauen.Macht.“ (2018/2019).

Fidelio von Ludwig van Beethoven
Theater Bonn Fidelio von Ludwig van Beethoven

Auch Beethovens „Fidelio“ war bei der Uraufführung 1814 ein Stück Zeitkritik: Im Hochsicherheitsgefängnis eines autokratischen Staates erschleicht sich die als Fidelio verkleidete Leonore das Vertrauen des Kerkermeisters Rocco, um ihren Mann Florestan zu befreien. Dafür wäre sie bereit, sich gegen das Unrechtsregime zu wenden. Lösch hat Parallelen dazu in der heutigen Türkei gefunden. Er hat fünf Kurden auf die Bühne geholt, deren Angehörige seit Jahren in türkischen Gefängnissen sitzen. Schicksale, die Dramaturg Stefan Schnabel im Vorfeld aufwändig recherchiert hat.

Die Musik blieb unangetastet, Lösch ersetzte allerdings die originalen Operndialoge durch die persönlichen Berichte dieser Zeitzeugen. Einer war zum Beispiel Süleyman Demirtas. Sein Bruder Selahattin ist ehemaliger Vorsitzender der demokratischen, kurdennahen Partei HDP. Er gilt als politischer Herausforderer des Staatspräsidenten Erdogan und ist seit Jahren unrechtmäßig inhaftiert. So jedenfalls urteilte 2018 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Ein Urteil, an das sich die Türkei „nicht gebunden fühle“, wie Erdogan in einem Film-Einspieler auf dem Großbildschirm erklärt. Ein Weiterer ist Dogan Akhanli, Träger der Goethe-Medaille der Bundesrepublik Deutschland und selbst Folteropfer. Er fordert live auf der Bühne: „Erdogan muss vor ein unabhängiges Gericht“. „Die Türkei muss sich ihrer eigenen Geschichte stellen, sonst wird das Morden kein Ende finden!“

Einige verlassen den Saal

Politisches Regietheater kommt nicht überall im Publikum gleich gut an. „Hör auf“! ruft eine ältere Dame, als ihr die Details zu viel werden, mit denen Hakan Akay die Folterungen an seinem Bruder schildert. Teilweise sind diese Berichte auf Kurdisch mit Untertiteln. Deren Ausführlichkeit sorgt zwischendurch kurz für Unmut. Irgendwann fordert jemand in Richtung Orchestergraben: „Hallo? Beethoven!“. Allerdings wollte diese Premiere keine gut-bürgerliche Wohlfühl-Oper sein.

Doğan Akhanlı, Hakan Akay (Zeitzeugen); Thomas Mohr (Florestan); Agît Keser, Süleyman Demirtaş (Zeitzeugen)
Theater Bonn Doğan Akhanlı, Hakan Akay (Zeitzeugen); Thomas Mohr (Florestan); Agît Keser, Süleyman Demirtaş (Zeitzeugen)

Die Verzahnung mit der Wirklichkeit in der Türkei machte den „Fidelio“ wieder zu dem, als was er 1814 gestartet war: zum Freiheitsappell. Einige waren nicht bereit, dem zu folgen und verließen den Saal. An den Solisten hat das nicht gelegen. Thomas Mohr (Florestan), Martina Welschenbach (Leonore), Karl-Heinz Lehner (Rocco), Marie Heeschen (Marzelline) und Mark Morouse als auf Erdogan gebürsteter Don Fernandez sangen und spielten durchweg gut und überzeugend. Generalmusikdirektor Dirk Kaftan dirigierte das Beethoven Orchester Bonn mit energischer Geste.

„Kontaktieren Sie Außenminister Heiko Maas“

Zwei Akte lang rollt über Carola Reuthers Bühne eine Flutwelle der Informationen und der Bilder. Da gibt es zum einen die Diskussionsrunde mit den Zeitzeugen an einem Tisch rechts auf der Bühne. Und da ist noch das Filmset in der Bühnenmitte. Dort wird im Verlauf der Oper eine fiktive Dokumentation gedreht, in der sich der Fidelio-Stoff und die Kurden-Thematik miteinander verzahnen. Die Operndarsteller werden während sie singen in diese Dokumentation filmisch hineingeschnitten. Bilder, die per Großbildschirm gewaltig auf die Besucher eindrängen. 

Zum triumphalen Freiheits-Schlusschor öffnete sich die Bühne nach Hinten ins Leere. Der Bildschirm zeigt Gefangene und Freigelassene, darunter Deniz Yüzel und Peter Steudtner. Politische Brisanz, die noch nicht vergessen sein sollte, signalisiert Lösch damit. Er setzt das Publikum aber nicht vor einen Guckkasten, bei dem es außen vor bleibt.

Das Ganze endet mit dem Appell der Zeitzeugen zur Freilassung ihrer Angehörigen, und mit einem Appell an die Besucher: „Kontaktieren Sie Außenminister Heiko Maas, Innenminister Horst Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel und fordern Sie die Freilassung der politischen Gefangenen.“ Vorlagen gibt’s online auf der Theaterseite im Netz. Die ehemalige Bundeshauptstadt gibt sich also mal wieder politisch. Das Bonner Publikum war überwiegend begeistert, dabei übertönten laute Bravo-Rufe und begeisterte Standing Ovations einige wenige Buhs.

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