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Lucia (Hye Jung Lee) | Alisa (Margaret Newcomb). Foto: Olaf Struck
Lucia (Hye Jung Lee) | Alisa (Margaret Newcomb). Foto: Olaf Struck
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Wahnsinn im Lichtdesign – Kiels „Lucia die Lammermoor“

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Man könnte die Kieler Inszenierung von Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ (Premiere: 7. Dezember 2019) als eine attraktiv beleuchtete konzertante Aufführung beschreiben, wäre auch das Orchester optisch präsent gewesen. Das aber blieb im Graben, wie immer geheimnisvoll verborgen. Es sollte wohl doch eine Oper sein. Das Publikum wenigstens zeigte sich angetan, auch wenn es in der zweiten Aufführung, die für diesen Bericht Quelle ist, nur recht kurz applaudierte.

Man fragte sich allerdings, warum Lucias Wahnsinn in der Inszenierung so statisch herüberkommen musste, ohne Kulisse, nur mit kaum angedeutetem Spiel. Ein Grund mochte sein, dass bei vielen Bühnen inzwischen Beleuchtungsdesigner und –programmierer das Wesentliche zu stemmen haben. In Kiel stand George Tellos dafür ein. Der in Frankfurt Geborene arbeitet weltweit und hat, wie im Internetauftritt des Theaters nachzulesen ist, nur das im Sinn, „wirksam … die Produktionen seines Auftraggebers wie vorgesehen zu präsentieren“. Er setzt also optisch die Ideen von Regie und Ausstattung um, hier die des Griechen Paris Mexis. Ihn lernte man in Kiel bislang als reinen Ausstatter kennen, in Leclairs „Scylla et Glaucus“ oder Glucks „Orphée et Eurydice“, beide Male mit üppiger Kost für die Augen.

Dieser Sinnenbezirk wurde in Kiels „Lucia“ wieder reichlich bedient, fast ausschließlich durch die Beleuchtung, etwas noch bei Kostümen und, von weitem wenig auffällig, in der Maske. Die Bühne dagegen blieb absolut leer. Kein Interieur, kein noch so kleiner Hinweis auf Natur oder Landschaft half dem Besucher, nur eigens erfundene Textmarken zu jeder Szene. „Die Jagd“ las man anfangs oder „Der Hass“, zum Schluss „Treibsand“ und „Vereinigung“. Vorbild waren Teilüberschriften im Libretto, „Trennung“ für den ersten und „Ehevertrag“ für den zweiten.

Lichtspiele

Keine Kulissen also, stattdessen tanzten verschieden farbige Lichtkegel, mal im Kreis, in Flächen oder in Reihen, weit oder eng, hell oder gedimmt, von oben oder seitwärts. Sie mussten Schauplätze andeuten, Waldszenerien und verschiedene Schlosssäle. Theaternebel verhalf einige Male zu plastischen Halluzinationen, ließ trotzdem nie an Wald oder Begräbnisstätte denken, wie Donizettis Librettist Salvadore Cammarano sie sich für die dramatische Entwicklung vorgestellt hatte. Dennoch: die optischen Lichtspiele waren dem theatralischen Geschehen in den Szenen streng verbunden, wenn etwa die Mannen Enricos wie Hüter der Unterwelt vor hellem Hintergrund statuenhaft verharrten. Sie suchten dem psychischen Befinden der Personen kongruent zu sein. An anderen Stellen aber wirkten sie bloß effektvoll, mysteriös wie die großen Halbkreise, Dreiecke, Balken oder rechteckigen Kometenschwänze am Bühnenhorizont. Irgendwie sollten sie wohl Einflusssphären erfassen, zuerst einzeln, später übereinander gesteckt. Sie wirkten wie abstrakte Zeichen aus der Malerei eines Kandinsky oder Klee, der Handlung angepasst in farblicher Intensität.  

Die Bühne blieb dennoch unkonkret oder symbolistisch. Das wiederholte sich in den Kostümen. Für Lucia wurde ihrem Namen entsprechend Helles genutzt. Gelb war ihr Kleid, weiß der Kragen. Ihrem brüderlichen Gegenspieler Enrico war Rot vorbehalten, mit kurios wirkender Bart- und Haartracht in gleicher Farbe, aber sonderbar anders getönt. Dem Verlobten Lucias, dem Edgardo, hatte man ein Lila zugedacht, während sich in dem zwielichtigen Raimondo, dem Geistlichen, Rot und Lila mischten. Arturo trug seine weiße Hochzeitsuniform. Breite Aufnäher in Rot sowie die rote Haarfärbung ordneten ihn Enrico zu. In solcher Konzeption wirkte Lucias blutgetränktes Hochzeitskleid wie ein naturalistischer Ausrutscher, weil alles einem psychologisierenden Farbtopf entsprungen war, kulminierend in der merkwürdigen Stigmatisierung durch Male im Gesicht. Vor allem bei Lucia war das, als entstamme sie der Commedia dell’arte.    

Statik als Motto

Der Eindruck einer konzertanten Oper entstand auch dadurch, dass die Sänger sich wenig bewegten. Vor allem die Choristen stellten sich fein gegliedert auf und wurden dann auf der Drehbühne herumgefahren, mussten sich allenfalls frontal ausrichten. An einigen Stellen hatten sie zudem retardierte Armbewegungen zu vollführen. Bewundernswert, wie sie mit hochgereckten Armen sangen oder mit wippenden Knien beim Hochzeitsfest. Ähnlich hatten auch die Protagonisten zu agieren, wenn links Enrico und rechts der Geistliche spiegelgleich Gegensätze markierten. So wirkte die Bühnenpräsentation äußerlich spektakulär, stand sich aber mit dem Statuarischen, dem die Personenregie untergeordnet war, selbst im Wege.

Koloraturenpracht

Vorteil der konzertanten Ausrichtung war, dass die Sänger zumeist im Vordergrund positioniert waren, bei Donizettis anspruchsvoller Koloraturenkunst ein unschätzbarer Vorteil. Bewundernswert, was Kiels Prima Donna, in diesem Fall Hye Jung Lee, mit ihr aussagen konnte. Jedem Ton lauschte man nach, schon zu Beginn, wenn sie zur Harfe sehnsüchtig Edgardo erwartete. Warm war ihr Timbre und wandlungsfähig, auch im Spiel saß jede Geste. Die schwierigste Partie dann, die Wahnsinnsszene, bekam durch ihre noch im Pianissimo fein getönten Koloraturen einen ganz natürlichen Fluss, ließen das Changieren ihrer seelischen Verfassung nachempfinden. Es war ein faszinierendes, in Klang gesetztes Psychogramm einer Figur, die Spielball einer machtpolitischen Konfrontation wurde. Die eine Seite vertrat Tomohiro Takada, der den machtversessenen Enrico mit kraftvollem, auftrumpfend klingendem Bariton anpackte. Seinen Gegenspieler Edgardo sang Yoonki Baek, in Momenten mit zu viel tenoralen Schmelz, aber allen Herausforderungen stimmlich gewachsen. Matteo Maria Ferretti stellte sehr markant mit seinem fundierten und festen Bass den Raimondo als zwielichtigen Geistlichen heraus. Alle zeigten großes Können, hatten es aber in der Regie schwer, lebendig zu wirken, ebenso wie die Sänger in den mittleren Rollen, Margaret Newcomb als Alisa, die einzige von außen besetzte Partie, dann Michael Müller-Kasztelan als Arturo und Fred Hoffmann als Normanno.

Das Orchester, nicht von Anfang an in guter Form, leitete Sergi Roca als Gast. Wirkungsvoll brachte er die Musik zur Geltung, gab den solistischen Partien Luft, den Hörnern, der Harfe, der Flöte, förderte vor allem die großartige Chorleistung (Einstudierung: Lam Tran Dinh).

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