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China im Revuetheater Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß Franz Lehár gilt als einer der berühmtesten Vertreter der so genannten "silbernen Operettenära", nicht zuletzt wegen des wohl beliebtesten Operettenhits aller Zeiten, "Dein ist mein ganzes Herz" aus der romantischen Operette Das Land des Lächelns. Obwohl dieses Werk mit Richard Tauber in der Partie des chinesischen Prinzen Sou-Chong bei der Uraufführung kurz vor der Weltwirtschaftskrise 1929 einen grandiosen Erfolg verbuchen konnte und schon bald einen Siegeszug um die ganze Welt antrat, handelte es sich eigentlich lediglich um die Umarbeitung eines Stückes, das Lehár sechs Jahre zuvor mit nur mäßigem Erfolg unter dem Titel Die gelbe Jacke in Wien zur Uraufführung gebracht hatte. Mit einigen Veränderungen der Handlung, teilweise neu komponierten Liedern und dem Riesenhit "Dein ist mein ganzes Herz", der in der gelben Jacke nur in Ansätzen am Ende vorkam, legte Lehár den Grundstein für eine neue Form der Operette, die auch das in der Operette bis dahin allgemein übliche Happy End negierte. Während in der gelben Jacke Sou-Chong und Lisa ein Paar bleiben, stellen im Land des Lächelns die kulturellen Unterschiede ein unüberwindbares Hindernis für ein gemeinsames Leben der beiden dar, und Lisa kehrt mit ihrem Jugendfreund Gustl nach Wien zurück. Das Regie-Team um Sabine Hartmannshenn sieht nicht zuletzt darin ein Indiz für das Erstarken des Nationalsozialismus in der damaligen Zeit und legt in Essen eine recht eigentümliche Fassung vor, die Teile von der gelben Jacke und hinzugefügte Passagen des Regie-Teams enthält.Das Publikum (Chor) wartet auf die Vorstellung des Gastspiels Die gelbe Jacke. Unstrittig ist, dass Lehár als Hitlers Lieblingskomponist galt und Das Land des Lächelns nicht von den Spielplänen genommen wurde, obwohl zahlreiche jüdische Künstler an dem großen Erfolg des Werkes beteiligt waren. Sowohl Viktor Léon, der das Libretto zu Die gelbe Jacke lieferte, als auch Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda, die das Stück zum Land des Lächelns umarbeiteten, erhielten aufgrund ihrer jüdischen Abstammung im Dritten Reich Berufsverbot und wurden von den Nationalsozialisten verfolgt. Löhner-Beda, der Textdichter von "Dein ist mein ganzes Herz" wurde sogar 1942 im KZ Auschwitz zu Tode geprügelt. Richard Tauber, für den die Partie des chinesischen Prinzen kreiert worden war, wurde während eines späteren Auftritts in Berlin von antisemitischen Zwischenrufen gestört. All das versucht Hartmannshenn, wohl in ihre Inszenierung einzubauen und die Geschichte im Spiegel der Entstehungszeit 1929 zu erzählen. So wird die Handlung in den Spätherbst 1929 in ein Theater irgendwo in einer deutschen Großstadt verlegt, in der das Berliner Metropoltheater mit der "China-Revue" Die gelbe Jacke gastiert. Bühnenbildner Lukas Kretschmer hat eine beeindruckende Außenfassade eines Theaters der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts entworfen, bei der auf einem großen Plakat die Operette von Lehár und Léon angekündigt wird. Schon vor der Ouvertüre tummelt sich der Chor mit einigen Statisten in passenden Kostümen der Zeit vor dem Theater und wartet auf die Künstler und den Beginn der Vorstellung. Lisa / Lea (Jessica Muirhead) und Sou-Chong / Pedro (Carlos Cardoso) bei einem "Tee à deux" in der Garderobe Die Protagonisten des Stückes treten zunächst mit anderen Namen auf. Sou-Chong heißt Pedro, was auf die spanische Herkunft des Tenors anspielen soll. Als "Ausländer" wird er damit genauso zum Außenseiter in der aufkeimenden Fremdenfeindlichkeit wie die dunkelhäutige Martha, die in die Rolle der chinesischen Prinzessin Mi schlüpft. Lisa und Gustl hingegen tragen die Namen, die die Figuren auch in der gelben Jacke haben, Lea und Claudius, eine Idee, die sich nicht erschließt. Genauso unklar bleibt die Auftrittsszene Marthas während der Ouvertüre, wenn sie sehr aufdringlich die Aufmerksamkeit der wartenden Theaterbesucher auf sich zieht und sich von Claudius Blumen schenken lässt, die eigentlich für die von ihm angebetete Lea gedacht sind. Der Wien-Akt spielt dann zum Teil vor dem Theater und zum Teil hinter der Bühne und stellt die Vorbereitung der "China-Revue" dar. Die eigentliche Handlung der Operette, nämlich dass Lisa sich in Sou-Chong verliebt und beschließt, ihn nach China zu begleiten, bleibt in diesem Ambiente genauso zusammenhanglos wie das Duett "Bei einem Tee à deux", den Lisa mit Sou-Chong, der eine alberne Chinesenmaske mit schwarzem Zopf trägt, in der Garderobe zwischen den Kostümen einnimmt. Der Obereunuch schlüpft in die Rolle eines Conferenciers und führt das Publikum im Folgenden durch die Revue. "Im Salon zur blauen Pagode": Mi (Christina Clark, Mitte) mit den Tänzerinnen in der "China-Revue" Durch Einsatz der Drehbühne verwandelt sich die Hinterbühne in eine Varieté-Bühne mit Logen im oberen Bereich. Der Chor nimmt an den Seiten der Bühne die Rolle des Publikums ein. Natürlich mischen sich auch vereinzelte Nationalsozialisten unter die Zuschauer, die die Vorstellung mit unpassenden Zwischenbemerkungen stören. Zunächst wird aber eine beeindruckende Revue gespielt, wobei Tänzerinnen und Tänzer als langer gelber Drache auftreten und ein kitschiges Bild von China vermitteln, wie es vielleicht in den Köpfen der Europäer der damaligen Zeit vorgeherrscht hat. Bei Mis Auftrittslied "Im Salon zur blauen Pagode" wird dann von den Tänzerinnen extrem viel nackte Haut gezeigt, wie es wohl in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts im "verruchten" Varieté üblich war. Diese Revue ist zwar optisch nett anzusehen. Mit der Geschichte des Land des Lächelns hat das aber genauso wenig zu tun, wie mit dem Vorläufer Die gelbe Jacke. Von daher bleibt es auch völlig unverständlich, wenn Pedro (Sou-Chong) nach "Dein ist mein ganzes Herz" von der Bühne gejagt und der Spielleiter von Nazi-Schergen brutal zusammengeschlagen wird. Dies als Auslöser dafür zu deuten, dass nun das glückliche Ende der gelben Jacke in das traurige Ende des Land des Lächelns umgewandelt wird, ergibt keinen Sinn. Bei Lehár und seinen späteren Librettisten, die wie Léon jüdisch waren, bestand sicherlich nicht die Absicht, die Trennung zwischen Lisa und Sou-Chong aus dem erstarkenden Antisemitismus zu rechtfertigen. Der Spielleiter / Obereunuch (Rainer Maria Röhr) lädt zum Revuetheater ein. Nahezu geschmacklos präsentiert sich dann das Duett "Wenn die Chrysanthemen blühen" zwischen Gustl und Mi, wenn er sie wie einen Hund an der Leine führt und auf entsetzliche Art demütigt. Die Szene wird von den auftretenden Tänzerinnen und Tänzern noch vervielfacht. Einziger Trost mag sein, dass Damen des Chors während dieser Szene entsetzt den Saal verlassen, während sich die Herren bestens zu amüsieren scheinen. Das Ende entfernt sich dann noch weiter von der eigentlichen Operettenhandlung. Sou-Chong wird wieder zu Pedro und verlässt das Theater, an dem sich nicht nur die Ankündigung in Das Land des Lächelns geändert hat, sondern auch der Name des Librettisten gestrichen worden ist. Zu allem Überfluss wehen dann auch noch nationalsozialistische Fahnen vom Theater herab. Was einige Zuschauerinnen an dieser Szene lustig finden, erschließt sich dabei noch weniger als die Szene an sich. Vielleicht ist es einfach nur das blanke Entsetzen, das die Zuschauerinnen mit ihrem Gelächter ausdrücken wollen. Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Jessica Muirhead verfügt als Lisa über einen kräftigen Sopran, der in den Höhen zu strahlen vermag, allerdings manchmal nicht sehr textverständlich ist, so dass man an einigen Stellen durchaus auf die Übertitel angewiesen ist. Als Lea tritt sie sehr selbstbewusst und mondän auf. Dass sie in der "China-Revue" als Schwarzwaldmädl gekleidet ist, muss als Kostüm- oder Regie-Sünde betrachtet werden. Carlos Cardoso verfügt als Sou-Chong über tenoralen Schmelz, der in den Höhen allerdings ein bisschen stark forciert. Christina Clark bleibt stimmlich als Mi ein wenig blass, setzt die Partie szenisch aber überzeugend um. Albrecht Kludszuweit interpretiert den Gustl mit weichem Tenor. Rainer Maria Röhr überzeugt als Spielleiter mit großem Spielwitz, muss den Obereunuchen allerdings im rosa Tutu mit übertriebenem Hängebauch viel zu albern anlegen. Einen Zusammenhang zwischen dem Gauleiter und Sou-Chongs Onkel Tschang vermag Karel Martin Ludvik nicht zu vermitteln. Den Gauleiter jedenfalls spielt er überzeugend unsympathisch. Die Tänzerinnen und Tänzer überzeugen in den Choreographien von Igor Volkovskyy und präsentieren unterhaltsame Tanzeinlagen, die zwar nichts mit der Handlung zu tun haben, aber nett anzuschauen sind. Der von Patrick Jaskolka einstudierte Chor präsentiert sich stimmgewaltig. Die Essener Philharmoniker runden unter der Leitung von Stefan Klingele den Abend musikalisch überzeugend ab. FAZIT Die Inszenierung ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Man bekommt weder Das Land des Lächelns noch Die gelbe Jacke präsentiert und weiß bei aller Opulenz des Bühnenbildes und der Kostüme eigentlich nicht so recht, was die Aufführung mit einem dieser beiden Stücke zu tun haben soll. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Choreographie Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Essener Philharmoniker Chor des Aalto-Theaters Statisterie des Aalto-Theaters
Solisten*rezensierte Aufführung
Lisa (Lea)
Prinz Sou-Chong (Pedro) Mi (Martha) Graf Gustl (Claudius) Tschang
(Gauleiter)
Obereunuch (Spielleiter)
Tänzerinnen Tänzer Tamtam (Bühnenmusik) Klavier
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