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Seltener Fall: eine groteske OperVon Christoph Wurzel / Fotos: © Arno DeclairEines Morgens wacht der Unterbeamte Kowaljow ohne Nase auf. Was nun? Ohne Nase ist er nicht gesellschaftsfähig, schon gar nicht bei Frauen. Panisch beginnt er nach dem verschwundenen Organ zu suchen. Ausgerechnet in einer Kathedrale taucht die Nase auf, stellt sich als Staatsrat vor, entwischt ihm aber im Gewühl. Eine Suchanzeige in der Zeitung scheitert am Desinteresse der Redakteure, die sich lieber mit entlaufenen Hunden beschäftigen. Auch die Polizei zeigt sich angesichts der verschwundenen Nase überfordert. Die Situation wächst sich zum Tumult aus, als die Nase an einer Bahnstation doch erwischt und eingefangen werden kann. Nicht ohne ein gehöriges Schmiergeld zu verlangen, händigt ein Wachtmeister Kowaljow seine Nase wieder aus. Doch diese zeigt sich widerständig und plumpst zu dumpfen Paukenschlägen immer wieder aus seinem Gesicht. Ein herbeigerufener Arzt gibt wichtigtuerisch nur nutzlose Ratschläge, ein Freund rät zur Homöopathie und Kowaljow verdächtigt seine Nachbarin der Hexerei. Mittlerweile sind alle in eine Nasenhysterie verfallen, die von Polizei und Feuerwehr nur mühsam gebändigt werden kann. Doch ebenso plötzlich wie sie verschwunden war, sitzt die Nase auf einmal wieder mitten im Gesicht ihres Besitzers, so als wäre nichts gewesen. Kowaljow ist nun wieder wer und kann neuen Liebesabenteuern entgegen gehen. Die Nase und ihr Eigentümer: Bo Skovhus (Kowaljow), Bernhard Berthold (Die Nase) und Ensemble Unbegreifliche Vorgänge sind es, die Nikolai Gogol im zaristischen Russland zum Gegenstand seiner Erzählung gemacht hat. Selbstironisch bemerkte er dazu, dass das Vaterland eigentlich keinen Nutzen von solchen Stoffen habe. Und trotzdem wurde seine Novelle ein großer Erfolg, weil die Zeitgenossen deren satirischen Gehalt durchaus verstanden. Als der 21jährige Dimitri Schostakowitsch nach einem Opernstoff suchte, erschien ihm gerade diese surrealistische Geschichte geeignet, seiner Zeit den Spiegel vorzuhalten. Der historische Stoff schien ihm im künstlerisch revolutionären Umfeld der frühen Sowjetunion für beißende Kritik mehr geeignet, als die zumeist hymnischen literarischen Werke seiner Zeitgenossen. Kleinbürgerliches Duckmäusertum, bürokratischer Größenwahn, Bestechlichkeit und autoritäre Anmaßung der Staatsgewalt sind schon bei Gogol die bestimmenden Themen. So hält sich die Oper inhaltlich sehr eng an die literarische Vorlage. Schostakowitsch, der sich in den 20ger Jahren bereits mit radikal modernen Werken an die Spitze der musikalischen Avantgarde geschoben hatte, schärfte den satirischen Gehalt der Novelle mit seinen bereits in den Frühwerken erprobten musikalischen Mitteln gehörig an. Mit bewundernswerter Souveränität schöpft der junge Komponist Inspiration aus der musikalischen Moderne seiner Zeit von Igor Strawinsky bis Alban Berg, aus der Zirkusmusik bis hin zur Sakralmusik und nutzt nicht zuletzt seine Erfahrungen als Kino-Pianist bei der Begleitung von Stummfilmen. Ein rasanter Stilmix und der klanglich zugespitzte Tonfall der Musik verschärfen die Satire ins Groteske. Zur pointierten Charakterisierung der Personen und Situationen sind die Klangfarben der häufig solistisch eingesetzten Instrumente bis ins Extreme verfremdet. Besonders die Bläser des Hamburger Opernorchesters leisten hier brillante Arbeit. Musikalischer Höhepunkt ist gleich im ersten Akt das Intermezzo der neun Percussionisten, die auf Metall, Holz und Fell ein anschwellendes Angstgeheul trommeln - auf offener Bühne und mit beängstigender Eindringlichkeit. Kent Nagano lässt das Orchester mit viel Sinn für die Details und die überreiche Klangfarbenpalette zur Hochform auflaufen. Ohne Nase bist du ein Nichts: Bo Skovhus und Ensemble. Zielsicher haben Karin Beier, die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses mit ihrer Regie und der Bühnenbildner Stéphane Laimé Schostakowitschs genialen Opernstreich in das Umfeld der in allen Bereichen der Kunst vor Experimenten nur so berstenden Epoche der frühen Sowjetunion gesetzt. In schier unerschöpflichem Ideenreichtum werden auf der ständig rotierenden Drehbühne die oft sehr kurzen Szenen nahtlos zu einer bild- und assoziationsreichen Revue verbunden. Elemente aus Zirkus, Slapstick und surrealer Phantasie paaren sich zu einer überbordenden Bilderflut. Dem mitunter rasanten Tempo der Musik folgt das zum Teil simultan auf mehreren Handlungseben ablaufende Bühnengeschehen. Zahlreiche Anspielungen und Zitate weisen auf die avantgardistische Kunstszene der 20ger Jahre. Die sich nach oben schraubende mehrstöckige Stahlkonstruktion in der Mitte der Bühne erinnert an Wladimir Tatlins "Internationale"-Turm in Moskau, der Ikone des revolutionären Aufschwungs der frühen Sowjetunion. Und in der Massenszene des 3. Aktes parodiert die Regie die kommunistischen Aufmärsche, bei denen die Massen formiert in Reih und Glied synchron rote Fahnen schwenkend einem Volksredner zujubeln. Hier bringt der Agitator allerdings im Stile von Chaplins Großem Diktator nur Nonsens-Kauderwelsch hervor. Bezüge zum frühen Stummfilm kehren in der Aufführung immer wieder. Deutlich geprägt ist die Inszenierung von Sergei Eisensteins filmischer Montagetechnik. Auf sehr hohem Ross: der Vertreter des Staates (Andreas Conrad als Polizeihauptmeister) und sein Untertan Kowaljow (Bo Skovhus) Doch derart avantgardistischer Kunst drehte der Aufstieg Stalins zunehmend die Luft ab. Die Inszenierung spiegelt auch diese Entwicklung in vielen Details. Bedrohlich bevölkern Soldaten mit angelegten Maschinengewehren die Szene, ein riesiger Bildschirm wacht wie der Große Bruder über den Raum - unübersehbare Anzeichen des Totalitären machen sich breit. Eine sonderbare Mischung aus Komik und Entsetzen prägt diese Inszenierung und lässt immer wieder auch an Schostakowitschs eigenen Zwiespalt zwischen künstlerischer Freiheit und latenter Bedrohung durch den stalinistischen Machtapparat denken. Sein Frühwerk Die Nase zeigt noch die leichte, weitgehend unbeschwert spielerische Seite von Schostakowitschs musikalischem Humor. Später wird daraus finsterer, bitterer Sarkasmus. So verknüpft diese Inszenierung auf ungemein geistreiche Weise ihre Handlung mit der Zeitgeschichte ihrer Entstehung und der Biografie des Komponisten. Sie bleibt dabei allerdings weitgehend bei der historischen Perspektive. Aktuelle Relevanz wird allenfalls berührt, wenn einmal der Gedanke an Verschwörungstheorien angedeutet wird. Allgegenwärtig: die Polizei (Ensemble) Ihre Schlagkraft bezieht diese Produktion nicht zuletzt aus den sängerischen Leistungen der zahlreichen Rollenvertreter, die sich hier ausnahmslos auch mit Bravour enormen darstellerischen Herausforderungen stellen. Allen voran der sängerdarstellerisch großartige Bo Skovhus als Kowaljow. Dem großen Lamento über seine vermeintlich zerstörte Existenz gibt er in einer Mischung aus echter Bestürzung und aberwitziger Überzeichnung beklemmend Ausdruck. Seine Partie ist die einzige in der Oper mit cantablem Charakter. Die übrigen Rollen verlangen verfremdete Tongebung bis hin zum Sprechgesang. Zur Karikatur eines Heldentenors macht Gideon Poppe die Rolle von Kowaljows Diener Iwan und der Tenor Bernhard Berchtold singt die kurze Partie der sich als hoher Beamter ausgebenden Nase in hochnäsig gestelztem Ton. Schneidend scharfe Töne schlägt Andreas Conrad als Polizeihauptmeister an. Ein Ensemble von acht Männerstimmen rattert in der Zeitungsredaktion die aufgegebenen Annoncen in präzise gesungenem Fugato herunter. FAZIT Ein großer Wurf in jeder Hinsicht Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Chor der Staatsoper Hamburg
Solisten
Platon Kusmitsch Kowaljow
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- Fine -