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Theater Kiel

Amor mit der Peitsche

Foto: Poppea (Vigdis Bergitte Unsgård) und Nerone (Tatia Jibladze).

Poppea (Vigdis Bergitte Unsgård) und Nerone (Tatia Jibladze).

Kiel. Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse bekanntlich überall hin. Mit dem dämonisch dominanten Zwitterwesen Amor im Rücken, der bei Mann und Weib nach Belieben das Licht des Verstandes an- und ausknipst, macht die reizvolle Poppea den Karrieredurchmarsch bei Hofe. Und die temperamentvolle Norwegerin Vigdis Bergitte Unsgård lässt keine raffinierte Wortwendung ungenutzt, um diese erotische Kraft auch in ihrem reich blühenden Sopran zu spiegeln.

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Monteverdis Porträt einer "besseren" Gesellschaft

Claudio Monteverdis faszinierend treffsicheres Porträt einer ewiggültig allzumenschlichen "besseren" Gesellschaft wird im Kieler Opernhaus köstlich präzise ausgerollt. Regisseurin Serena Sinigaglia verdeutlicht, wo sie nur kann. In den designerschick drapierten Trümmern (Bühne: Maria Spazzi) von Kaiser Neros selbstverliebter Kolossalstatue tummelt sich ein buntes Völkchen, das von Sandalenfilm bis zum Hiphop-Video Auftrittsmöglichkeiten hätte (Kostüme: Daniela Cernigliaro). Redlichkeit, mag sie einst als Virtù noch so göttlich gewesen sein, vegetiert hier längst ganz am Rande in stinkenden Lumpen vor sich hin.

Happy End über Lamento-Bass

Kein Wunder also, wenn gegen die aufstiegsgeile Titelfigur im frühen Musiktheater-Meisterwerk Die Krönung der Poppea sogar der Gott der Liebe (Francesca Boncompagni) ein bisschen schmallippig tönt und sich vor allem das vermeintlich starke Geschlecht zwischen geballter Weiblichkeit erstmal sortieren muss. Der Mezzosopran von Tatia Jibladze beginnt im leicht unsauberen Charaktermodus von Nerone, gewinnt im Laufe der Aufführung aber Sicherheit und glüht schließlich im berühmten Schlussduett "pur ti miro, pur ti godo" auf's Schönste. Echt ist das Happy End nicht: Das frisch inthronisierte Pärchen hockt da schon etwas unverbindlich nebeneinander – und der chromatisch in die Hölle absteigende Lamento-Bass verkündet nahendes Unheil ...

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Großartige Sängerleistungen

Großartig der Wut- und Trauerflor, mit dem Mezzosopran Adriana Di Paola Poppeas Ex, den Verlierer Ottone, vokal umwölkt. Auch Lucia Napoli findet für die angeblich frigide Kaiserin Ottavia einen prachtvoll herb verhärmten Tonfall und Hye Jung Lee das perlend optimistische Gegenbild für Drusilla. Der Bass Ivan Scherbatyh orgelt die Moralpredigten des todgeweihten Philosophen Seneca angemessen stoisch ins allgemeine Unverständnis hinein.

Gastdirigent Alessandro Quarta

Sie alle gleiten mit ihren wortgezeugten Vokalschleifen auf einem vom Gastdirigenten Alessandro Quarta wunderbar organisch mitatmenden Basso continuo, der rechts im hochgefahrenen Graben mit zwei Cembali, Barockharfe, Cello, Kontrabässen sowie Barockgitarre und drei Theorben prächtig tieffrequent besetzt ist. In Atempausen lässt Quarta links den Streicherchor genießerisch tänzeln und aufseufzen.

Detailreiche Personenregie

Sinigaglias Inszenierung wird nur bei der Sexparty um Senecas Leiche herum richtig böse und bedient sich etwas wahllos der Theatermittel, etwa wenn Pallas Athene als statische „dea ex machina“ hereingeschoben wird (Rotary-Stipendiatin Caroline Nkwe lässt mit ihrem reich schattierten Sopran in allen Partien aufhorchen). Aber die Personenregie ist detailreich und profiliert zahlreiche Nebenfiguren.

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Nebenfiguren mit Profil

Da amüsiert man sich über die tuntige Amme Arnalta, die Fred Hoffmann mit herrlicher Risikolust persifliert; genauso über das mütterliche Pendant Nutrice, der Chiara Brunello stimmlich echte Altistinnen-Statur einverleibt; oder den pubertär aufmüpfigen Diener Valletto (Francesca Boncompagni). Auch kichernde Hofdamen, Mercurio und wuselnde Sicherheitsbeamte (mit elegant geführten Stimmen wie von Matteo Maria Ferretti, Luca Cervoni, Anton Schmalz, Roberto Manuel Zangari) runden den überwiegend hintergründigen Spaß ab.

Premierenjubel im Kieler Opernhaus

Busenellos starker Text sagt sowieso alles: Erschreckend, dass sich seit 377 Jahren in Politkreisen nichts verändert hat. Premierenjubel für Sänger, Dirigent und Orchester; großer Beifall für das Regie-Team.

Die Daten im Kieler Opernhaus

Termine im Kieler Opernhaus am 18. und 20. Juni, jew. 19 Uhr. Einführung 45 Minuten vor Beginn. Karten: 0431 / 901 901. www.theater-kiel.de

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Von Christian Strehk

KN

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