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Don Giovanni. Johan Hyunbong Choi (Don Giovanni), Wioletta Hebrowska (Donna Elvira). Foto: Olaf Malzahn
Don Giovanni. Johan Hyunbong Choi (Don Giovanni), Wioletta Hebrowska (Donna Elvira). Foto: Olaf Malzahn
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Lübeck sperrt „Don Giovanni“ ins Irrenhaus – Erste Regiearbeit von Martina Veh, umstritten

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Mozarts „Don Giovanni“ ist ein grandioses Werk, in sich geschlossen und konsequent im dramaturgischen Konzept. Wie herausfordernd dennoch (oder deswegen) jede Inszenierung ist, wird oftmals unterschätzt, wurde es auch bei dem jüngsten Versuch wieder, ihn im Theater Lübeck zu zeigen (10. Mai 2019).

Mit der Regie war Martina Veh beauftragt, 1971 in Starnberg geboren und laut Wikipedia in den Bereichen Musiktheater, Oper, Performance und Schauspiel tätig. Ein vielseitiger Zugang war ihr möglich, und sie schien bei ihrer ersten Regiearbeit in Lübeck auch von allem etwas bieten zu wollen. Musiktheater und Oper, klar, sie waren nicht wegzudenken, auch Schauspiel gehört dazu. „Performance“ allerdings war neu, eine Form, die (auch dies bei Wikipedia nachzulesen) „die Trennbarkeit von Künstler und Werk sowie die Warenform traditioneller Kunstwerke“ hinterfragt. Trieb das die Regisseurin an, dem ausgewogenen Libretto Da Pontes eine frisierte Handlung überzustülpen, dazu eine, die in die Enge einer Heilanstalt führte?

Klinik für gebrochene Herzen

Martina Vehs neue Story stand im Programmheft dort, wo üblicherweise die Inhaltsangabe nachzulesen ist. Sie zu kennen war allerdings nötig, um gleich zu Beginn der pantomimischen Handlung, die sie sich zur Ouvertüre erdacht hatte, folgen zu können: „Donna Elvira ist allein in ihrer Zelle, als sie ihrem eigenen Dämon begegnet: Don Giovanni. Er weist ihr einen Weg in die Freiheit.“ An anderer Stelle, nämlich im Vorbericht zur Inszenierung in der Tagespresse (Lübecker Nachrichten, 8. März 2019), war zu lesen, dass die Zelle, in der sich die von Don Giovanni Verlassene aufhielt, keine eines Klosters sein soll. Sie ist vielmehr die einer psychiatrischen Anstalt, umschrieben als „Klinik für gebrochene Herzen“. Sogar die Diagnose wurde mitgeliefert: Der „Verlust der großen Liebe hat sie verrückt gemacht“.

Dort hakte Martina Veh ein, nahm Psychose durch Liebesraserei als ihren Interpretationsansatz. Das ist irgendwie plausibel, sogar bei Da Ponte angelegt und bei Mozart hörbar, zumal neben Donna Elvira noch zwei weitere Frauen davon betroffen sind. Auch Donna Anna und Zerlina leiden, mehr oder weniger, an emotionaler Überspannung, deren Ursache der Schwerenöter Don Giovanni war. Sie wurden ebenfalls kurzerhand in die Geschlossene gesteckt. Die Regisseurin hat nämlich, auch das erfährt man aus der LN, den Fokus „auf die Frauen“ legen wollen, kehrt sich also von der Titelfigur ab. Freud lässt grüßen. Doch der Zuschauer darf beruhigt sein, weil das nun alles einem weiblichen Kopf entsprang, sich somit Sexistisches ausschließt. Denn der Opernbesucher erfährt viel von den sexuellen Obsessionen der weiblichen Protagonisten, wenn Donna Anna lechzende Nymphe wird, Donna Elvira eine gierige Dulderin und Zerlina es gleich mit mehreren treibt. Das ist wahrlich eine neue Sicht, ein Tableau feministischer Befreiung und für Don Giovanni entlastend.

Handlung vs. Geschehen

Dass nicht alles von dem Libretto getragen wird, ist nicht das größte Ärgernis. Schlimmer ist die Schizophrenie, die den Sängern und damit auch dem Publikum zugemutet wird, wenn die neue Handlung so gar nicht mit dem Geschehen übereinstimmen will. Da Pontes Text wird beibehalten, die Sänger müssen anderes singen als sie spielen. Dem steht die Behauptung der Regisseurin gegenüber: „Ich habe die Oper nicht umgeschrieben, nur die Perspektive der Betrachtung geändert.“ Doch das ist nicht richtig. So wird, mit weitreichenden Konsequenzen, der Komtur in einen Chefarzt gewandelt. Ob Anna seine Tochter ist, bleibt unklar. Schwerer wiegt, dass nicht Don Giovanni, sondern dann Donna Anna (!) ihn (den Vater?) ersticht. Sie wolle sich von „Zwängen ihrer väterlichen Beschützer … befreien“. Das bringt naturgemäß das Folgende bis zum Schluss ins Kippen, zumal immer mal wieder die unversorgte Leiche des Stationsleiters herumliegt, bis sie zuerst zum Gerippe, dann zu einem Zombie mutiert. Sein letzter Auftritt durch eine rot erleuchtete, doch sehr enge Türöffnung gerät zudem unfreiwillig zur Groteske, wenn sich an ihm vorbei der Chor von hinten auf die Bühne quetscht.  

Verwirrende Melange

An vielen Stellen entsteht so eine verwirrende Melange, eben weil Musik und Text so gar nicht zueinander passen. Eine besonders skurrile Form nahm es an, als Donna Anna vor ihrer Beicht- oder Beschuldigungsarie „Or sai chi l’onore“ dem Don Ottavio das nächtliche Geschehen in ihrem Elternhaus völlig anders schilderte, als der Zuschauer es vorher erlebte. Lügt sie absichtlich oder ist sie wirklich umnachtet, eventuell voller Drogen? Solcherart wird die Handlung zum Happening, dargeboten in den Räumen einer geschlossenen Anstalt und mit deren sinnlichem Charme. Weiß gekachelt sind die Wände, fast nackt und mit aufgesetzten Leitungen, dazu auf die Drehbühne gesetzt, die bis zum Geht-nicht-mehr rotiert. Symbolhaft kreist entsprechend ein Riesenrad im Hintergrund, später vorn, in deren Gondeln (mit hübschem Doppelsinn) winkend lockende Damen hinauf- und herabschwebten.

Trotz aller Tristesse und auch nicht zu übersehender Längen ergeben sich Momente für teils hergeholte, teils anderswo besser inszenierte Gags, mit denen der Untertitel „Dramma giocoso“ bedient wurde. Eine sehr ansehnliche Szene wurde die zur berühmten Serenade vor Donna Elviras Haus im zweiten Akt, auf dessen zunächst kahle Hauswand Momme Hinrichs (auch Bauten) und Torge Møller eine wunderschöne Blumenhecke projizierten. Sie symbolisiert augenfällig die wieder aufblühende Hoffnung Donna Elviras. Leider waren solche Momente rar.

Die Kostüme der drei weiblichen Protagonistinnen hatte Julia Katharina Berndt im Sinne der Inszenierung in sehr gedeckten Tönen gehalten. Wenn sie nicht alle drei im uniformen schwarzen Unterrock erschienen, trugen sie Typisierendes, Donna Anna einen schwingenden Rock, Donna Elvira ein figurbetontes Kostüm und Zerlina einen biederen Hosenanzug. Die Männer waren dem angenähert, bis auf Don Giovanni, der trotz eines Fracks mit goldfarbenen Tressen und einer zottligen Perücke ungepflegt wirkte. Leporello steckte als Pfleger in weißer Klinikkleidung, die auch der komturale Chefarzt trug. Für Don Ottavio und Masetto blieb nur unspezifische Alltagskleidung übrig.

Wenn die Musik nicht wäre

Alle wurden schauspielerisch gewaltig herausgefordert. Anerkennenswert, wie sie das schafften und dazu noch großartig sangen. Evmorfia Metaxaki hatte in ihrer Stimme alle Beweglichkeit und Kraft, die Dynamik der Donna Anna zu präsentieren. Wioletta Hebrowska hatte es als Donna Elvira in der Hinsicht schwerer, als sie spielerisch noch mehr gefordert war. Wie sie dennoch die exaltierten Sprünge in ihrem Part meisterte, verdient große Bewunderung. Andrea Stadel lieferte eine Zerlina, die man sich kaum besser vorstellen kann. Ihr Part im Duett „Là ci darem la mano“ gehörte zu dem Schönsten und Sinnlichsten, was man an diesem Abend zu hören bekam. Die Titelfigur hatte man Johan Hyunbong Choi gegeben, seit ein paar Spielzeiten im Ensemble. Sein fester Bariton und sein munteres Agieren bestachen. Taras Konoshchenko sang den Leporello, war wie gewohnt sicher und voluminös. Die weiteren Rollen hatten Gäste übernommen, Alexander James Edwards den Don Ottavio und Mario Klein den Masetto. Als Komtur war Szymon Chojnacki eingesprungen. Der Chor (Leitung: Jan-Michael Krüger), obwohl von der Inszenierung her als Irrenhausbewohner sediert, rundete das Gesangliche klangvoll und lebhaft ab. Erfreulich sensibel und mit dynamischer Finesse agierte das von Andreas Wolf geleitete Philharmonische Orchester und erhielt dafür verdienten langen Beifall.

Fazit

Im Ansatz mag der Fokus auf die Damen gerechtfertigt sein, war aber, wie gezeigt, nicht durchzuhalten. So ergab sich eine Bühnenaktion, bei der man häufig den Kopf schüttelte oder sich im Irrenhaus glaubte. Bestätigt das die Regie? Das Publikum glaubte das nicht, applaudierte Sängern und Musikern nachhaltig, hatte für sie nur heftige Buhs. 

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