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Musik

Überragender „Fliegender Holländer“ am Staatstheater in Cottbus

Jens Klaus Wilde als Sentas Verehrer Erik. Dahinter in einer überlebensgroßen Projektion der Star des Abends in Cottbus: Der Bariton Andreas Jäpel als „Holländer“.

Jens Klaus Wilde als Sentas Verehrer Erik. Dahinter in einer überlebensgroßen Projektion der Star des Abends in Cottbus: Der Bariton Andreas Jäpel als „Holländer“.

Cottbus. Feuchter Wind und gerade mal fünf Grad; da gelangt man ziemlich durchgefroren zum Theater. Aber das Wetter passt zur Begegnung mit dem „Fliegenden Holländer“, diesem Seemann, der auf einem Geisterschiff durchs nordische Eismeer irrt. Der 28-jährige Richard Wagner brachte hier erstmals sein Lieblingsthema auf die Bühne: der größenwahnsinnige Mann, der nur durch ein ewig treues Weib von seinem Fluch erlöst werden kann.

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Am Cottbuser Theater ging am Samstag eine Neuinszenierung des „Fliegenden Holländers“ über die Bühne. Die musikalische Leitung hat Alexander Merzyn, derzeit kommissarischer Generalmusikdirektor am Hause. Schon mit der Ouvertüre holt der 36-Jährige zum großen Wurf aus. Er steigert den Orchesterklang in die Dramatik hinein und liefert aufwühlende Naturschilderungen des sturmgepeitschten Meeres.

Wagner ganz ohne Erlösungs-Gedöns

Jasmina Hadžiahmetovic gibt mit der Produktion ihr Regie-Debüt in Cottbus. Sie stammt aus Sarajevo und lebt seit 1992 in Deutschland. Dass sie auch im Sprechtheater zuhause ist, erkennt man in ihrer psychologischen Herangehensweise an den „Holländer“. Das ganze Erlösungs-Gedöns schiebt Hadžiahmetovic in den Hintergrund, um eine eigentlich alltägliche Liebesgeschichte freizulegen: Da begegnen sich zwei Einsame, der Seemann und die Kapitänstochter Senta, die einander verfallen. Jeder muss sich nun seinen geheimen Sehnsüchten, Begierden und Ängsten stellen.

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Natascha Maravals schlichtes Bühnenbild illustriert die Schauplätze ebenso treffsicher wie die Seelenlandschaften. Hohe Mauern, zwischen denen man einen Blick auf schwarze Wellen und einen stürmischen Himmel erhascht, zeugen von Enge: von den Verknöcherungen in des Holländers Seele, von der biedermeierlichen Bedrückung in Sentas Heim. Die Gefühle wanken ebenso wie die Leitern an Deck, die hier bis in den Bühnenhimmel ragen.

Der Star der Aufführung: Andreas Jäpel

Ereignis des Abends ist Andreas Jäpel in der Titelpartie des Holländers. Schwermütig und erschöpft ist dieser Seemann; sein Herz hat er tief hinter einer ruppigen Schale vergraben. Der Bariton, der dem Cottbuser Ensemble seit 20 Jahren angehört, singt in jedem Register kraftvoll und tragfähig, mit edlem Timbre und höchst textverständlich.

Mädchenhaft verkörpert die Gast-Sängerin Tanja Christine Kuhn die weibliche Hauptrolle. Wir erleben ein „Holländer“-Groupie, das in einem Koffer ein Bild und einen Mantelfetzen des angehimmelten Seefahrers mit sich schleppt. Auch Kuhns Sopran wirkt jugendlich, zuweilen aber etwas scharf.

Hadžiahmetović arbeitet sich an Wagners Frauenbild ab

Die Regisseurin hadert mit Wagners Frauenbild und deutet die Rolle der Senta um. Nicht todessehnsüchtig und opferwillig, wie bei Wagner, ist diese Frau, sondern durchaus aktiv. Als Senta und der Holländer sich zum ersten Mal begegnen, ist sie es, die Initiative ergreift und mit einladendem Lächeln auf ihn zugeht.

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Sentas Vater will die beiden verkuppeln. Mit seinen Grimassen und schlenkerndem Kopf geht Ulrich Schneider die Figur jedoch zu komödiantisch an. Skrupel, ob er die geliebte Tochter wirklich hals-über-kopf einem Fremden geben soll, erkennt man nicht.

Senta will den Mann ihrer Wahl und ein selbstbestimmtes Leben. Als sie erkennt, dass die „Treue bis zum Tod“ ihr wortwörtlich abverlangt wird, sträubt sie sich – anders als in der Partitur vorgesehen. Das führt zur Katastrophe und einem überraschenden Ende, worüber an dieser Stelle nichts verraten werden soll.

Alexander Merzyn lässt es richtig krachen

Es knirscht zuweilen, weil Hadžiahmetovic nun eine andere Geschichte erzählt als Wagners suggestive Musik. Die Regisseurin glaubt nicht an Erlösung und hält einen jeden für sich selbst verantwortlich. Sie präsentiert zwei ziemlich narzisstische Persönlichkeiten: Senta, die ihre Erlösungsfantasien auf jemanden projiziert, den sie lediglich aus Erzählungen kennt. Den Holländer, der sich seine Erlösung von einer Frau erhofft, die er ebenfalls nicht kennt und die er ihrem Vater schlicht abkauft. Um Liebe geht es hier gar nicht.

Nach Querelen neue Leitung am Staatstheater

Am Staatstheater Cottbus gab es in der vergangenen Spielzeit Mobbingvorwürfe gegen den Generalmusikdirektor Evan Christ mit anschließender Kündigung. Auch der Intendant Martin Schüler trat von seinem Amt zurück.

Neuer Intendant am Staatstheater Cottbus wird zur Spielzeit 2020/21 der Schweizer Stephan Märki, der zuletzt das Theater Bern leitete. In den Neunzigern leitete er das Hans Otto Theater in Potsdam; später wechselte er zum Deutschen Nationaltheater in Weimar.

Während die Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor läuft, übernimmt Alexander Merzyn, Erster Kapellmeister, diesen Posten kommissarisch. Alexander Merzyn wurde 1983 in Kiel geboren. Er studierte zunächst Cello und gewann 2010 den MDR-Dirigierwettbewerb. 2015 wurde Merzyn als 1. Kapellmeister am Landestheater Coburg engagiert.

Am 13. Mai veröffentlicht das Staatstheater Cottbus das Programm der Spielzeit 2019/20.

Während die Regie zum Nachdenken anregt, ist die musikalische Leistung des Abends gegen Kritik gefeit. Dem Opernchor gebührt ein dickes Lob für seine Klangfülle und Präzision. Alexander Merzyn modelliert äußerst plastisch und lässt es in den Chorszenen richtig krachen; bei den kernigen Matrosenliedern brennt im Saal die Luft. Zugleich bietet Merzyn „große Oper“ in leidenschaftlichen Liebesduetten und sorgt für zarte kammermusikalische Momente. Den Spannungsbogen dieser pausenlosen Aufführung hält der Dirigent bis zum Schlussakkord.

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Weitere Vorstellungen: Sonntag, 26. 5., 16 Uhr; Samstag 15. 6., 19.30 Uhr; Sonntag 30. 6., 19 Uhr.

Von Antje Rößler

MAZ

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