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Kein Himmel, keine Sonne. Wilson verwandelt Verdis Inferno in ein Kammerlichtspiel.

© Lucie Jansch/Festspielhaus Baden-Baden

Osterfestspiele Baden-Baden: Und Jago trägt Hörnchenfrisur

Robert Wilson und die Berliner Philharmoniker unter Zubin Mehta eröffnen die Osterfestspiele Baden-Baden mit Verdis „Otello“.

Schneeregen peitscht ums Festspielhaus, man zieht den Kragen hoch und unwillkürlich den Kopf ein. Zu Beginn seiner Osterfestspiele wird Baden-Baden von einem Temperatursturz heimgesucht. Menschen mit Geigenkästen auf dem Rücken eilen ohne einen Blick für die blühenden Bäume ins größte Opernhaus des Landes. Drinnen ist es zwar mollig warm, dafür liegt ein zutiefst ungemütliches Werk auf den Pulten der Berliner Philharmoniker. „Otello“ wird ihre siebte Oster-Residenz an der Oos eröffnen, jene Oper, mit der der alte Verdi triumphal zurückkehrte zum Musiktheater. Sie birgt Klänge von einem dunklen Planeten, eine Meditation über die Macht der Manipulation und des willentlich Bösen. Sie ist uns beunruhigend nah.

Gleich zu Beginn geraten die Elemente in Aufruhr. Ein furchterregender Sturm umtost Zypern, erschwert die Rückkehr des siegreichen Otello und zerschmettert fast sein Schiff. Blitze zucken, Verdi knüpft an das bodenlose „Dies irae“ seines Requiems an, das Volk betet um Rettung. Das Jüngste Gericht kündigt sich unüberhörbar an, nur einer verfolgt das Treiben regungslos: Jago, der sich von Otello um den Aufstieg im Militär gebracht sieht, fällt nicht auf die Knie. Otello, der afrikanische Feldherr im Dienste Venedigs, überlebt die wilde See, nicht aber die Untiefen, in die Jago ihn stürzt: „Dich treibt dein Dämon, und dein Dämon bin ich!“

Ursprünglich sollte Gatti die Produktion leiten

Was für eine Exposition – dort die entfesselte Natur, hier der menschliche Wille zum Bösen. Und darüber kein Himmel, keine Sonne. Doch im Festspielhaus geht dieser dramatische Einstieg erst mal baden. Robert Wilson, der Lichtmagier aus Texas, legt völlig unvermittelt die Quellen seines Theaters offen, zeigt Scheinwerferbatterien, blendet auf, orgelt auf dem Lichtpult herum, als befände man sich in einem übergroßen Partykeller. Dazu fällt wattiger Kunstnebel von der Decke. Hier legt ein großer Regisseur rasch den Schalter um, von Verdis Inferno zum eigenen Kammerlichtspiel. Sekundiert wird Wilson bei seiner szenischen Sabotage vom Philharmonia Chor Wien, dem es hörbar an Überblick und Artikulationsmacht fehlt. Und schließlich vermag Zubin Mehta es nicht, die Klangmassen klar zu umreißen und zu härten, auf dass man im Saal friere bis ins Herz.

Dabei hat Mehta, 82, Ehrenmitglied der Berliner Philharmoniker, diesen „Otello“ gerettet. Ursprünglich sollte Daniele Gatti die Produktion leiten, in der Saison ohne Chef zwischen Simon Rattles Abschied und dem Antritt von Kirill Petrenko. Doch dann musste Gatti als Leiter des Concertgebouw Orchestra fristlos gehen, wegen „unangemessenen Verhaltens“ gegenüber weiblichen Mitgliedern. Bei den Philharmonikern meldete er sich daraufhin krank – und diese fanden in Zubin Mehta nicht nur einen Ersatz.

Seit 1961 schätzen sich Orchester und Dirigent, „Otello“ war einer der ersten Opernerfolge Mehtas, Karajan gab ihm Tipps, das Werk begleitet sein Leben. Nun schließen sich Kreise. Der Maestro ist nach schwerer Krankheit fragil, wird im Rollstuhl zur Premierenfeier geschoben. Doch sein menschenfreundliches Leuchten, seine schier unendliche Geduld hat Mehta sich bewahrt. Er inspiriert zu vielen leisen Wunderstellen, zündet in der schwärzesten Nacht noch ein Kerzlein an und liefert nebenbei den Beweis, dass die Philharmoniker in Baden-Baden nicht immer sängergefährdend auftrumpfen müssen.

Berührende Unbedingtheit

Mit Stuart Skelton und Sonya Yoncheva als Otello und Desdemona finden zwei zusammen, die bei den Festspielen bestens eingeführt sind und ihre Partien schon gemeinsam an der New Yorker Met gemeistert haben. Ein so enges Bewegungskorsett, wie es ihnen Robert Wilson anmisst, werden sie wohl noch nie erlebt haben. Yoncheva merkt man an, dass sie sich ihre Rolle physisch aneignen will, sich warm spielen und singen muss. Doch die Handhaltung ist eingefroren wie bei einer Porzellanpuppe, der Rest des Körpers starr. Es dauert bis in den vierten Akt, bis Yoncheva sich freigesungen hat, plötzlich leben will, mit einer berührenden Unbedingtheit, die sie zuvor unter einer weißen Maske verborgen hatte.

Skelton ist offenbar dankbar, im Grunde nicht spielen zu müssen und ganz raumgreifende Statue zu sein. Sein Tenor kann wunderbar zärtlich klingen, empfindsam, beseelt. Und doch ist diese Stimme voller Brüche und abgerissener Aufschwünge. Die Figur ergibt kein Bild, wie auch schon Skeltons Parsifal bei der konzertanten Wagner-Aufführung in der Philharmonie. Dabei hätte sich aus den Stimmschwankungen wahre Musiktheaterregie entwickeln können, fehlt Otello doch jenes Urvertrauen, das immun macht gegen Fake News. Vladimir Stoyanov als Jago, mit seiner Hörnchenfrisur unschwer als Teufel erkennbar, hat da allzu leichtes böses Spiel, muss seine Darstellung gar nicht anspitzen. Dabei verschenkt er stimmliches wie intellektuelles Potential.

Schon während der Vorstellung ist Murren zu hören

Nach der Premiere steht Robert Wilson auf der Freitreppe im Foyer. Seine Hände zeichnen einen Bogen in die Luft. Er gleicht einem Zen-Meister, der inmitten des Sektgläserklirrens zur Stille mahnt. Der Musik habe er einen Raum zum Hören geben wollen. Und wieder ein beschwörender Wilson-Bogen.

„Thank you for the quiet moments“, sagt er noch. Das muss er ironisch meinen, denn seine Regie erntet schon während der Vorstellung hörbares Murren. Wilson ist daran nicht unschuldig, zu erzwungen der Bruch in der eigenen Ästhetik, nur um sie dann noch erstarrter abspulen zu können. Dabei hatte sein Vorspiel anderes erhoffen lassen: Zum Heulen eines südlichen Windes schaut man in die Augen eines Elefanten. Sie sehen unendlich müde und traurig aus. Der Koloss schlägt ein letztes Mal mit den Ohren und bricht nieder. Den Wind kümmert es nicht.

Weitere Vorstellungen am 16., 19. und 22. April. Konzertante Aufführungen in Berlin am 25. und 28. April

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