Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Das Böse in meinem Kopf
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Thilo Beu Was ist in dieser Welt noch zu glauben? Es bedarf bekanntlich nur einiger wie nebensächlich hingeworfener Worte, des falschen Augenscheins, zuletzt eines unscheinbaren Taschentuchs (das darob zum berühmtesten Taschentuch der Literaturgeschichte geworden ist), um im Handumdrehen aus dem Superhelden Otello den rasenden Mörder zu machen, der Ruhm und Liebe ebenso verspielt wie Moral und Anstand. Ein trauriger Fall von fake news und deren zerstörerischer Wirkung. Die subjektive Wahrheit im Kopf Otellos schafft unwiderrufliche Fakten. "Esultate!" - Otello kehrt vewundet aus der Schlacht zurück."
Eine Geschichte aus der Perspektive eines der Protagonisten zu erzählen, "in dessen Kopf zu steigen" und "mit dessen Augen zu sehen", das ist an sich kein neues Konzept. Das Team um Regisseur Roland Schwab setzt dies hier mit beklemmender Konsequenz, oder, wenn man so will, ohne Rücksicht auf Verluste, um. Die erst einmal leere Bühne (Piero Vinciguerra) wird durch herabsenkbare Lamellen-Jalousien bei Bedarf in rechteckige Sektoren unterteilt, was entfernt an Büroparzellen oder auch Gefängniszellen erinnert, vor allem aber ein abstrakter, unwirtlicher Raum bleibt. Im zweiten und vierten Akt fährt hinten aus dem Unterboden ein Beet mit dicht wachsenden Pflanzen hoch, inhaltlich kaum greifbar (man mag an Dschungel denken, an den Vietnamkrieg) - zuletzt hatte auch Tatjana Gürbaca in ihrer Essener Freischütz-Interpretation den Wald als nicht fassbaren Angstraum dargestellt. Otello wird in diesem Ambiente oft vervielfacht dargestellt, als werde die Figur in einem Kaleidoskop gebrochen. Die Geschichte läuft offenbar als Wahnvorstellung ab. Nach Desdemonas Ermordung bleiben alle anderen Personen außen vor, man hört die Stimmen elektronisch verzerrt - die Aufdeckung des Komplotts bleibt Halluzination, wie überhaupt längst unklar ist, was Realität und was Zwangsvorstellung ist. Gaston Rivero spielt diesen Otello als blutverschmiertes Muskelpaket und singt ihn mit Kraft und hoher Intensität, gebrochen in den leisen Tönen, bei aller Strahlkraft, die der Tenor auch besitzt, nie auftrumpfend: Ein Wahnsinniger, zweifellos. "Ich glaube an einen grausamen Gott" - Jagos "Credo" bringt einen Hauch von Napalm nach Essen
Vielleicht ist Jago keine reale Person, sondern das Böse in Otello. Nikoloz Lagvilava gestaltet ihn szenisch wie musikalisch als animalischen Bösewicht, der am Beginn und am Ende mit der Nebelmaschine die optischen Akzente setzt. Keine Frage: Er entfesselt das Unwetter des Beginns (auch mit Einsätzen für das Orchester) als Zeichen der Weltzerstörung. Er ist kein intellektueller Mephisto, kein Zyniker, sondern ein Vernichter, groß und düster bei Stimme. Bei dem noch sehr jungen Cassio, ein spätpubertärer Draufgänger ohne Skrupel (solide: Carlos Cardoso), hat er leichtes Spiel. Und Desdemona? Sie ist nicht mehr als ein Spielzeug, eine lebendig gewordene Barbie-Puppe, und man fragt sich, wer die Rolle denn gestalten soll, wenn die attraktive Gabrielle Mouhlen, die mit Model-Figur unter dem schicken Brautkleidchen unendlich viel Bein zeigt, einmal nicht verfügbar sein sollte. Sängerisch hat sie, ungeachtet des intensiv geführten lyrischen Soprans, die Partie noch nicht vollständig verinnerlicht, kämpft mit den Linien, singt im großen Duett des ersten Akts (szenisch leider zur Sex-Nummer verkürzt) pauschal über Feinheiten und Modulationen hinweg, wodurch Verdis musikalischer Sternenhimmelzauber nicht so recht aufgehen will. Und ihre große Szene im vierten Aufzug mit dem Lied an die Weide und dem Ave Maria, ziemlich vordergründig gestaltet (aber da fehlt vielleicht einfach noch die Erfahrung von ein paar Vorstellungen), im Designersessel gesungen, wird zum hübschen Konzertstück degradiert, weil die Regie der Figur kein echtes Eigenleben zugesteht. Desdemona als wehrloses Objekt der Begierde - und Otello erscheint gleich fünffach
Auch wenn die Kostüme (Gabriele Rupprecht) die Geschichte in einer tagesaktuellen Kriegssituation ansiedeln, den Chor (klangmächtig, aber nicht immer ganz präzise) samt Anführer Otello direkt aus einem blutigen Gefecht auf die Bühne zerren, wäre es zu kurz gedacht, Otellos Wahn auf die psychischen Traumata eines Frontsoldaten zu reduzieren (auch wenn der Regisseur in einem Interview im Programmheft auf Vietnam-Kämpfer verweist, die nach der Rückkehr ihre Familien getötet haben). Vielmehr gehört das militärische Blut-und-Schweiß-Ambiente wohl zum Abbild einer insgesamt verrohten Gesellschaft. Schwab setzt auf die großen Bilder, oft plakativ, doppelt die musikalischen Effekte gerne szenisch und verzichtet weitgehend auf Feinzeichnung. Die von Librettist Arrigo Boito so raffiniert gezeichnete Intrige mit der sich aus dem Nichts verdichtenden Eifersucht wird an den Rand geschoben, weil Schwab die realistische Erzählebene an sich zurückfährt. Das freilich hätte noch konsequenter inszeniert sein können, die Verwicklungen um das Taschentuch sind hier ein wenig halbherzig geraten. Aber in der Summe entwickelt diese düstere Sichtweise dann doch eine große Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Otello stirbt: Für das Ende sorgt Jago.
Matteo Beltrami am Pult der im Detail nicht immer konzentrierten Essener Philharmoniker, die manchen Einsatz verwackeln und manche Linie verschmieren, dann aber doch große Momente haben und den unkonventionellen Vorgaben des Dirigenten mit komplexen Klangfarben folgen, dirigiert einen zerklüfteten, oft in Einzelteile zerfallenden Verdi - Strawinskys Sacre du Printemps ist da nicht mehr weit. Die lyrischen Momente erscheinen isoliert, mitunter wie betörende Fremdkörper. Weg von der Tradition, scheint das Motto zu sein, das typisch Opernhafte weicht dem Modernen dieser Partitur - das geht Hand in Hand mit der Inszenierung, auch in dem, was diese Produktion eben nicht liefert. Kein Dirigat, das die Sänger "trägt", beinahe mehr eines, das sie kontrastiert und kommentiert. Mitunter arg reißerisch, aber in jedem Fall sehr dramatisch. Langweilig ist dieser Otello jedenfalls keine Sekunde.
Ein musikalisch wie szenisch streitbarer Otello, der sich schwer auf einen Punkt festlegen lässt. Zweifellos eine der aufregendsten Produktionen am Aalto-Theater in jüngerer Zeit. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten
Otello
Desdemona
Jago
Cassio
Emilia
Rodrigo
Lodovico
Motano
Ein Herold
|
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de