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Three Tales. Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich. Foto: Lutz Edelhoff
Three Tales. Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich. Foto: Lutz Edelhoff
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Eiskalter Schrecken: Beryl Korots und Steve Reichs Video-Oper „Three Tales“ am Theater Erfurt

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Während die Landesbühnen Sachsen mit „Coppélia – Android Q1“ die Gefahren personalisierter Glücksverheißungen auf den Prüfstand stellen, gibt es im Studio des Theaters Erfurt einen beklemmenden Blick auf drei kollektive Katastrophen des 20. Jahrhunderts: Die Video-Oper „Three Tales“ von Beryl Korot und Steve Reich, uraufgeführt bei den Wiener Festwochen 2002, ist „eine intermediale Performance in drei Teilen, in denen bedenkliche Implikationen und Konsequenzen technischer Entwicklungen im 20./21. Jahrhundert thematisiert werden“ (Pressetext des Theaters Erfurt).

Sei es Selbstironie, Faszination vor technischen Möglichkeiten oder sachlich überformte und damit versteckte menschliche Erschütterung: Nicht nur die Timing und Ablauf vorgebende Motorik der Videos von Beryl Korot, sondern auch durch die Musik von Steve Reich, der hier restlos auf emotionale bzw. psychisch bewegende Sinnstiftungsangebote verzichtet, ist diese Stunde eine ganz harte Probe für das Publikum. Denn es reicht hier nicht, dass das Videomaterial drei der größten Katastrophen des 20. Jahrhundert wiedergibt, diese aus verschiedenen Perspektiven und Dokumentationsbeiträgen rekapituliert, mittels Reaktionen von Zeit- und Augenzeugen spiegelt und einhämmernd repetiert.

Es geht um die Explosion des Zeppelins „Hindenburg“ im Jahr 1937, in Teil Zwei um die Zwangsumsiedlung der Bewohner des südpazifischen Bikini-Atolls nach dem Atombombentest der US-Amerikaner in den Jahren 1946–52, die den paradiesischen Lebensraum der Bikinianer für immer unbewohnbar machten und in Teil Drei um das 1996 geklonte Schaf Dolly, die Entwicklung von Cyborgs und die in Reichweite gerückte Überwindung der natürlichen Evolution.

Ausgangspunkt einer Betrachtung der „Three Tales“ muss auch das Verfließen von Werkkorpus, Wiedergabe und Interpretation sein. Das Instrumentalensemble des Theaters Erfurt und die fünf Sänger agieren im nüchternen Studio vor der großen Leinwand. Doch die Aufgabe des umsichtigen Dirigenten Peter Leipold ist nicht die affektive Steigerung, sondern die Koordination und Strukturierung der repetierenden Klanggesten und monotonen Gesangsphrasen. Licht und Dramaturgie sind neben ihm die einzigen Stabsfunktionen – es gibt keine Regie, kein Bühnenbild, keine Kostüme. Aber die vielen parallelen oder synchronen Bewegungen der Musiker, der Anblick der den Perkussionisten stellenweise mit Woodblogs assistierenden Sängern lässt sich durchaus als antitheatrale, choreographische Zutat goutieren. Dieses Wogen ist funktional, deformiert den Menschen zum Tonproduzenten. Je nüchterner, umso besser. Das kommt einer Dehydrierung des Musiktheaters gleich. Deshalb macht es auch fast keinen Unterschied, ob fünf oder nur vier Sänger singen. Bei gespanntester Aufmerksamkeit hört man den Unterschied, harmonische Defizite erlebt man also nicht: Musikalische Feinmotorik saust über den verhängnisvollen Kreislauf der Geschichte. Ein performatives Endspiel!

Dehydrierung des Musiktheaters

Bei aller visuellen und akustischen Faktenfülle und den hinter Sachlichkeit gut verborgenen Mitleidsgesten in den Videos von Beryl Korot stellt sich durch Parallelbilder, Wiederholungen, Überblendungen doch schnell Gewöhnung ein. Es liegt an jedem Betrachter und Hörer selbst, Gefühle der Erschütterung zuzulassen oder das Angebot zur neutralisierenden, Emotionen bremsenden Beobachtung wahrzunehmen. Steve Reichs Musik beinhaltet durchaus die potenzielle Wirkung eines hypnotisierenden Sedativums. Darin gleicht sie dem Verfahren von Phil Glass, der das metropolitane Massengewimmel in Godfrey Reggios Film „Koyaanisqatsi“ (1982) mit repetierenden Tonfolgen zu gliedern vorgab. Doch die „Three Tales“ thematisieren Katastrophen rütteln an den Grundfesten menschlicher Existenz. Dadurch wird die Kluft zwischen Bildern und musikalischer Coolness noch massiver.

Selbstironie, Zynismus oder Relikt religiöser Besinnung? In die gesungenen Satzfesten aus Stoßseufzern von Mitleid, versachlichten Beschreibungen und Sachinformationen tönt wie ein neutralisiertes Echo der Refrain aus der um Myriaden Lichtjahre entfernten Botschaft der Genesis: „Macht euch die Erde untertan“. Ästhetisierung und die Verifizierung von Botschaften gleichen einer nuklearen Kernverschmelzung.

Die künstlerische Versachlichung des Menschenmaterials ist dabei nichts Neues: Das greift hinüber in die technisch-ästhetisch-sozialen Diskursen über Androiden, Cyborgs und Enhancement. Doch was für eine Wirkungsabsicht steckt hinter „Three Tales“ – tatsächlich die Überwindung des Leids durch Versachlichung, tatsächlich die optimierte Wertung auf für die imaginäre Bühne der eigenen Psyche?

Sprengstoffpotenzial der „Three Tales“

Das Theater Erfurt wagt als erster stabiler Theater-Betrieb die Produktion dieser bisher auf renommierten Festivals herumgereichten Video-Oper. Das ist weitaus progressiver als die spartenübergreifenden, performativen und interdisziplinären Emanationen des jungen Musiktheaters. Denn in „Three Tales“ gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Niederlage der Interpreten im Kampf mit dem Material – das wäre der dramatische und personell aufwändigere. Angemessener dagegen wäre allerdings der Ersatz des Live-Ensembles durch Zuspielband und zudem der einfachere, mit heutigen wirtschaftlichen kompatible.

Das Sprengstoffpotenzial dieser „Three Tales“ liegt nicht nur in dem zum Kultursnack komprimierten Requiem auf drei traumatisierende Globalevents des 20. Jahrhunderts, sondern auch in der performativen Konzeption des Werks. Beim starken Schlussapplaus entsteht deshalb erst recht eine der stimmigen Wiedergabe geschuldete mentale Übelkeit. Als Summierung all dieser Aspekte ist diese Spielplan-Entdeckung deshalb die (vormodern ausgedrückt) schmerzvollste der Intendanz Guy Montavan, denn sie bewirkt letztlich mehr eiskalten Schrecken als menschliches Mitleid.

  • Three Tales. Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich. Für zwei Soprane, drei Tenöre, Streichquartett, zwei Klaviere, zwei Vibraphone und Schlagwerk. Uraufführung Wien 2002 In englischer Sprache mit Übertiteln - Video Beryl Korot Musik Steve Reich - Musikalische Leitung: Peter Leipold, Licht: Stefan Winkler,  Dramaturgie: Larissa Wieczorek / Sopran 1: Leonor Amaral, Sopran 2: Marisca Mulder, Tenor 1: Tobias Schäfer, Tenor 2: Andreas Karasiak, Tenor 3: Paul Sutton / Violine 1: Anna Stümke/Nicola Hatfield,  Violine 2: Christian Alexander Fernbach/Anke Müller, Viola: Thomas Leipold/Thomas Frischko, Violoncello: Eugen Mantu/Jakob Fauser,  Klavier: Yuki Nishio, Miren Casado, Vibraphon: Kilian Hartig, Alejandro Coello Calvo, Perkussions: René Münch / Bernabás Fekete / Dimitrij Nedelev / Bumtae Kim - Premiere Do, 31. Januar 2019, 20 Uhr, Studio - Weitere Vorstellungen: Sa, 02.02. | Sa, 09.02. | Sa, 23.02. | So, 03.03. | So, 24.03. | So, 07.04. | Sa, 20.04.2019

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