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Bis Maria endlich lächelt

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Vorne das Solistenensemble, hinten Maria.
Vorne das Solistenensemble, hinten Maria. © Hans-Jörg Michel

Calixto Bieitos Blick auf Monteverdis „Marienvesper“ in Mannheim

Geistliche Musik zu bebildern, ist ästhetisch riskant. Dort die Peinlichkeit eines Ringelreihns zur Matthäuspassion, hier gelungene Projekte mit Händel-Oratorien, die allerdings auch vor allem keine Opern sind, um dem Fastenzeitreglement nachzukommen. Claudio Monteverdis „Marienvesper“ von 1610 ist älter und mysteriöser, was die mögliche Aufführungspraxis betrifft. Die Musik wirkt teils opernhaft dramatisch, die Textzusammenstellung aus Marienverehrung und sinnlichem Hohelied-Begehren – in Mannheim durch kleine Zusätze noch betont, „Mein Geliebter komme in seinen Garten, um die Frucht seiner Äpfel zu essen“ – wird Nicht-Katholiken voraussichtlich zutiefst fremd bleiben.

Dabei findet der katalanische Regisseur Calixto Bieito einen geschickten Weg, um mit der Aufgabe des Illustrierens fertig zu werden, einer Aufgabe, bei der ja anders als bei der noch so abwegigen Oper die Frage im Raum steht, ob sich das Szenische überhaupt lohnt. Denn herrlich ist die Musik bei der Mannheimer Aufführung. Ein Spezialistenensemble, Il Gusto Barocco unter der Leitung von Jörg Halubek, steht zur Verfügung – wie schon in der fabelhaften „Poppea“ im vergangenen Frühjahr –, den stark geforderten Chor hat Dani Juris so einstudiert, dass er federnd alle Hürden nimmt, zehnstimmige Polyphonie-Feuerwerke eingeschlossen. Acht Solisten treffen den gelassen virtuosen, intensiven und doch distanzierten Ton, den Halubek nahelegt und der zu Bieitos Bildern passt.

Zu sehen ist eine Gemeinde bei einem religiösen Ritual. Eine hohe Bretterwandrundung hinten (Bühne: Anna-Sofia Kirsch) hat zurückhaltend kirchliche Züge. Es gibt in der Wand einige Trittstufen, die oberste bietet sich als sehr einfacher Thron, auf dem Maria und andere gelegentlich Platz nehmen. Nach vorne wird die Bretterbühne breiter und umrundet schließlich den daran eingelassenen Orchestergraben.

Die Seitenlogen werden mitbenutzt, später für den Chor, der sich zunächst aber hinter dem Orchester versammelt, während sich der Zuschauerraum füllt, Greise darunter, eine Schar kleiner Mädchen mit Täubchen als Kopfschmuck, unter den Frauen viele schwanger. Eine biedere, teils festlich gekleidete Schar (Kostüme: Anna Eiermann). Dazu der so mitlaufende Verrückte, der stark auf die Musik anspricht. Auch wenn Bieito im Programmheft nicht darauf hinweisen würde, dass er eigene Kindheitserinnerungen auf die Bühne schickt, käme man darauf, dass hier klassische Typen einer überschaubaren Gemeinschaft auftreten. Nach und nach treten hervor: Zwei Botticelli-Engel (die Sopranistinnen Amelia Scicolone und Nikola Hillebrand), Freundinnen oder Schwestern; zum „Dorftrottel“ zwei weitere Tenöre als gelegentlich herumrempelndes Jungmännertrio (Joshua Whitener, Kristofer Lundin, Raphael Wittmer); eine Hochschwangere, die dann doch nicht schwanger war (Anna Hybiner, Alt); ein schwarzer, einflügeliger Engel als Priester (Dominic Barberi) und ein weiterer Bass, der zunächst vom Seitenrang aus nachdenklich die Antiphonen einsingt.

Eine Bühnenhandlung im engeren Sinne gibt es nicht. Man sieht Menschen in verschiedenen Verhältnissen zum gesungenen Wort – gleichmütig, froh, ekstatisch, verzweifelt –, man sieht Szenen der Zuneigung und zwiespältige, latent und virulent bösartige, entgleisende.

Die Ambiguität der Texte wird von Bieito voll mitgetragen, das Ritual weder verherrlicht noch kritisiert, jedenfalls kommt es zu keiner Abrechnung. Blumen werden lange Zeit in die Höhe gehalten (Katholizismus südeuropäischer Ausprägung ist nicht zuletzt körperlich anstrengend) und fliegen dann ins Publikum. Augen drehen sich in irrem Glück himmelwärts, aber nur im Einzelfall. Der Priester als schwarzer Vogel, der im Hintergrund die Täubchen scheucht und erzieht, gibt ihnen auch Lutscher und albert mit ihnen herum. Die automatische Annahme, Zeuge einer Missbrauchsproblematik zu werden, erfüllt sich nicht.

Die Ausleuchtung des Themas Mutterschaft ist plakativ, aber nicht dumm. In einer arg symbolträchtigen Szene heben die beiden Botticelli-Engel aus einer Kiste, weiß wie ihre leuchtenden Kleider, mit Geburtszangen blutige Babypuppen heraus. Das klingt aber aufdringlicher, als es ist. Zu sehen ist das wachsende Befremden der jungen Frauen, greifbar ist neben den immer mehr blutigen Babypuppen der Kontrast zwischen dem zur Verklärung ungeeigneten Vorgang der Geburt und der Stilisierung in der Marienverehrung. Wie überhaupt viele penetrante Elemente doch eher Projektionen aus der Tiefe der Gemeinschaft sind als Bieitos. Dass die offenbar ungewollte Kinderlosigkeit aus der Frau eine Gejagte in knallroter Garderobe macht, ist ein bedenkliches Klischee, aber ein existentes.

Simone Becherer ist die stumme, teils thronende, teils in die Gruppe sich mischende, ernste, ungerührte, unbegeisterte Maria. Als sie am Ende auf ihren Bauch fasst und lächelt, ist alles auf einmal unkompliziert, ohne simpel zu sein. So inszeniert Bieito gerade noch nüchtern genug seine eigene Art der Marienverehrung.

Das geschickte Herumschieben, Umgruppieren der Figuren entspricht dazu so sehr den musikalischen Vorgängen, dass deren wiederum überwältigende Komplexität vor unseren Augen steht.

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