Die Lebensgeschichte des in Vergessenheit geratenen Komponisten Joseph Beer könnte selbst aus einer Operette stammen, leider ließ das Happy End jedoch knappe 80 Jahre auf sich warten. Mit nur 28 Jahren wurde er als Shootingstar der Operettenszene gefeiert, seine Polnische Hochzeit wurde nach der Premiere in Zürich 1937 innerhalb weniger Monate in acht Sprachen übersetzt und auf 40 europäischen Bühnen gespielt; das Theater an der Wien plante eine Premiere mit Richard Tauber in der Hauptrolle. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, durch den Anschluss Österreichs an Nazideutschland 1938 wurde Beers Stern jäh zum Untergehen gebracht.

Das Werk des jüdischen Komponisten wurde verboten, sein Librettist Fritz Löhner-Beda wurde nach Dachau deportiert und eine geplante Premiere in Paris wurde abgesagt, rettete dem Komponisten aber das Leben. Denn der Direktor des Théâtre du Châtelet ermöglichte Beer die Flucht nach Paris, von wo aus er in die USA emigrieren wollte, aber nur bis Nizza kam, wo er die Kriegsjahre in verschiedenen Verstecken überlebte und nach dem Krieg seine Frau Hanna kennenlernte. Zeit seines Lebens komponierte er und kämpfte um die Aufführung seiner Werke, doch gespielt wurden sie – bedingt durch die Wandlung der Musiklandschaft und einen Streit mit dem Verlag – nicht mehr.

Dem Einsatz seiner Witwe und seinen beiden Töchtern ist es zu verdanken, dass zumindest die Polnische Hochzeit nun langsam eine Renaissance erlebt – 2012 kam es im Rahmen des Wiener Operettensommers zur österreichischen Erstaufführung, 2015 fand eine konzertante Aufführung und CD-Einspielung durch das Münchner Rundfunkorchester statt. Nun kehrt das Werk in einer Neuinszenierung an der Oper Graz auf eine große Bühne zurück. Stilistisch ist die Polnische Hochzeit ein klassischer Operetten-Schmachtfetzen im besten Sinne: Opernhafte Passagen á la Lehár treffen auf träumerische Arien und Duette wie von Kálmán und werden abgerundet durch swingende und folkloristische Elemente, wie bei Abrahams Viktoria und ihr Husar. Ein Ohrwurm reiht sich an den nächsten, die Melodien sind süffig und laden zum Mitwippen und Mitsummen ein. Ganz wie es sich für eine klassische Operette gehört sind außerdem die Texte seicht und die Handlung verworren.

Der polnische Freiheitskämpfer Graf Boleslav kehrt inkognito in die Heimat zurück, um seine Jugendliebe Jadja zu heiraten. Doch deren Vater, Baron Oginsky, hat Schulden bei Graf Staschek (der zufälligerweise der Onkel Boleslavs ist und ganz nebenbei schon fünf Mal verheiratet war) und möchte, dass Jadja diesen heiratet, damit er seine Geldsorgen loswird. Doch Jadja will nur Boleslav heiraten, weshalb die resolute Gutsverwalterin Suza den beiden zur Flucht verhelfen will. Als der Plan scheitert, verkleidet sich Suza kurzerhand als Jadja, heiratet Staschek und macht ihm das Leben fortan zur Hölle, sodass er bereit ist, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, solange sie nur rasch in eine Scheidung einwilligt. Dadurch können Jadja und Boleslav am Ende doch noch heiraten und Baron Oginsky werden seine Schulden erlassen. Und auch Suza heiratet schließlich ihre wahre Liebe, den Gutspraktikanten Casimir, während Staschek erkennen muss, dass er zu alt für den Stress einer weiteren Ehe ist. Inszeniert wurde die Grazer Neuproduktion von Sebastian Ritschel, der das vermutlich einzig Sinnvolle macht – er versucht gar nicht erst, das Werk in eine ernste Form zu pressen, sondern gestaltete die Polnische Hochzeit als völlig überdrehten, schablonenhaften Spaß mit überzeichneten Kostümen, Charakteren und Bühnenbildern.

Die nötige Ernsthaftigkeit kam ohnedies von der musikalischen Seite, die Grazer Philharmoniker drehten unter der Leitung von Marius Burkert die Operettenseligkeit auf die höchste Stufe, schmachteten und swingten ebenso leidenschaftlich wie farbenreich durch die Partitur. Spielfreudig umgesetzt wurde Beers Musik auch von einem bestens aufgelegten Sängerensemble, das sichtlich Spaß an der abstrusen Handlung und den schmissigen Hits hatte.

So sorgten Josef Forstner und Markus Butter als Baron Oginsky und dessen Wunsch-Schwiegersohn Graf Staschek mit einer Brise Selbstironie und punktgenauem komödiantischen Timing für viele Lacher; Katherina Melnikovas Jadja und Szabolcs Brickners Graf Boleslav waren hingegen für die großen Gefühle, die strahlende Spitzentöne und den süßlichen Schmelz in den Stimmen zuständig. Einmal mehr erwies sich Ivan Oreščanin als sichere Bank in Sachen Buffo-Charakter: er eilte, torkelte (jaja, der oft besungene Operettenschwips...) und witzelte in der Rolle des Casimir höchst unterhaltsam durch den Abend. Dass seine Stimme dann und wann etwas brüchig wurde, fiel angesichts seines vollen Einsatzes nur marginal ins Gewicht. Eine Operettendiva par excellence hat die Grazer Oper in Opernstudiomitglied Mareike Jankowski gefunden. Sie überzeugte gleichermaßen gesanglich wie darstellerisch als selbstbewusste Suza – die vielleicht emanzipierteste Frau der Operettengeschichte! – und verlieh der Figur mit samtigem Timbre kecke Attacke und schön geführte Bögen. Nur ein Umstand trübte mir den Abend leicht, denn warum Mikroports zum Einsatz kamen, erschloss sich mir nicht ganz; eigentlich sollten in einem mit guter Akustik ausgestatteten Opernhaus selbst gesprochene Dialoge keiner Verstärkung bedürfen.

Letztlich bleibt zu hoffen, dass sich die Polnische Hochzeit (spät aber doch) im Operettenrepertoire etablieren kann, denn Joseph Beers Werk steht den Großen dieses Genres in nichts nach!

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