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Opern-Kritik: Theater Lübeck – Elektra

Das Unglück macht alt

(Lübeck, 3.2.2024) Dass die Opern von Strauss nach griechischen Vorbildern mehr Sprechtheater in Musik als Oper sind, hat Brigitte Fassbaender verstanden und schafft eine solide Inszenierung, die den psychologischen Tiefen in der „Elektra“ nachfühlt.

vonPatrick Erb,

Normalerweise besucht man Neuinszenierungen am Premierentag und nicht erst am ersten Folgetermin. Doch was ist in den heutigen Zeiten normal, in denen neben den Arbeitsniederlegungen von Personenbeförderungsdiensten im Staatsbesitz gerne auch höhere Macht am Werk ist. Kein Grund jedoch, einem schönen Theater nicht den Respekt zu zollen, den es mit einer ebenso gelungenen Inszenierung verdient.

Szenenbild aus „Elektra“
Szenenbild aus „Elektra“

Die Requisite in Baumarktoptik

Vermutlich intendierte Regisseurin Brigitte Fassbaender, in ihrer Version der „Elektra“ unnötige Ablenkungen auszusparen, handelt es sich doch bei diesem Einakter mit fast zwei kraftraubenden Stunden Spielzeit weniger um eine ausdekorierte Oper als eher um eine musiktheatralische Skizze mit hohem schauspielerischem Anspruch. Und diese Skizze ist in Lübeck ein Vorhof im Palast von Mykene. Hinter einem dunkelbraunen Massivholztisch erstreckt sich eine Zweckarchitektur aus graublau gestrichenen Holzbalken. Dazu zwei Portale mit Vorhang, hinter denen – in klassischer Theatermanier ­– die baldigen Mordopfer Klytämnestra und Aegisth ihr tragisches Schicksal ereilen wird. Doch gerade weil diese Tragödie nur Fassade ist, hätte ein weniger billig wirkendes Bühnenbild mit stärkerem Fokus auf die agierenden Darsteller die Wirkung des hier im Vordergrund stehenden Konflikts potenziert.

Szenenbild aus „Elektra“
Szenenbild aus „Elektra“

Eine Besetzung wider die natürlichen Erwartungen

Wie unwichtig bildliche Vorstellungen in dieser großartigen psychologischen, in Musik gesetzten Studie sind, zeigt doch die Besetzung: Die Elektra, gespielt von Trine Møller, ist eine aus dem Königspalast von Mykene ausgestoßene, aber doch geduldete Außenseiterin. Gekleidet ist sie in „Lumpen“, die – passend zur hölzernen Bühnenfassade – graublaue Handwerker- oder Arbeitsklamotten darstellen. Mit den silber-grauen Haaren wirkt Møller deutlich älter als ihre Mutter Klytämnestra, die wiederum ebenfalls hervorragend gesungen wird durch Edna Prochnik. Aber Hass und Rachegelüste nagen an Elektra; das Unglück macht alt, weshalb dieses Generationen-Paradoxon auf Geistesebene schlüssig ist. Und auch der ins Exil verbannte Bruder Elektras und künftige Rächer seines Vaters Agamemnon, Orest, entspricht in der raumfüllenden Darbietung durch Rúni Brattaberg nur wenig dem Bild des jungen griechischen Tragödienhelden. Nur Wolfgang Schwaninger, der den Intriganten Aegisth spielt, kann glaubhaft der Vorstellung einer von Gleichgültigkeit und Eigennutz geformten Persönlichkeit entsprechen.

Szenenbild aus „Elektra“
Szenenbild aus „Elektra“

Im Geist der Wiener Moderne

Konkrete Darstellungen wären in Strauss‘ „Elektra“ nur barockes Blendwerk. In voller Absicht und nach dem Geschmack der Zeit werden psychologische Tiefen ausgeleuchtet. Was in seiner Grundkonstellation schon in den griechischen Mythen angelegt ist, durch die neuerfundene Psychoanalyse um 1900 befeuert und in der Bearbeitung von Librettist Hugo von Hofmannsthal in eine zeitgemäß übersetzte Form gegossen wird, beflügelt schließlich auch die Klangperversionen von Richard Strauss‘ Musik: Mordgelüste, Hass, Habgier. Kategorien, die in der genialen eklektizistischen Fassade der Musik des Spätromantikers zur Geltung kommen und über die Statik der Handlung hervorragend hinwegblenden. Dieser fesselnde Bezug auf die Person und nicht auf die Handlung wird in Lübeck zur Tugend erhoben.

Szenenbild aus „Elektra“
Szenenbild aus „Elektra“

Eine Woman-Only-Show

Der bewusst fehlenden Handlungsperspektive Rechnung tragend, verlangt Møller sich neben ihrer gewaltigen sängerischen Leistung eine gehörige Portion schauspielerischen Talents ab. Man hört, sieht und fühlt eine Elektra in ihrem Leidensweg. Und diesen pflastert ihr das Philharmonische Orchester Lübeck unter Leitung von Chef Stefan Vladar mit kongenialer Fluidität. Klangkörper und Elektra verschmelzen zu einer raum- und publikumsergreifenden Klangmasse, was auch mit stehenden Beifallsbekundungen zu Recht gewürdigt wurde. Auch jenseits der auf offener Bühne ausgetragenen Monologe der Elektra beherrscht man in Lübeck glaubwürdige Dramatik. Die Duette und Dialoge mit der Mutter Klytämnestra, die sich trotz des Verrats an Elektras Vater immer noch nach der Liebe der Tochter sehnt, bescheinigen Edna Prochnik eine nicht minder professionelle Expertise im Darstellen von Verlogenheit und Versöhnung. Die männlichen Darsteller sind dabei gewiss fähige Sänger, aber im Angesicht der beiden Damen nur schmückendes Beiwerk – in summa eine runde Inszenierung.

Theater Lübeck
R. Strauss: Elektra

Stefan Vladar (Leitung), Brigitte Fassbaender (Regie), Bettina Munzer (Bühne & Kostüme), Falk Hampel (Licht), Jan-Michael Krüger (Chor), Jens Ponath (Dramaturgie), Edna Prochnik, Trine Møller, Lena Kutzner, Wolfgang Schwaninger, Rúni Brattaberg, Laurence Kalaidijan, Natalia Willot, Elvire Beekhuizen, Noah Schaul, Changjun Lee, Elizaveta Rumiantseva, Chor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

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