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BERLIN/ Deutsche Oper: ANNA BOLENA -Premiere

16.12.2023 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper ANNA BOLENA, Premiere, 15.12.2023

Unter einem Unstern: Übernahme der Produktion des Opernhauses Zürich in der Regie von David Alden

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Federica lombardi. Foto: Bettina Stöß

Angesagte Sensationen finden in der Regel nicht statt. Allerdings hatten die Erwartungen an die nun Berliner „Anna Bolena“ mehr verhießen als einen langweiligen Opernabend mit einer völlig überforderten Titelinterpretin in einer auf Personenregie weitgehend verzichtenden Produktion.

Die Tragedia lirica in zwei Akten „Anna Bolena“, 35. Oper Donizettis, ist Historiendrama, romantische Oper, Belcantovehikel und – da kommen wir nicht darum herum – Zugpferd für eine dramatische Sopranistin, die dieses Fach in allen Verästelungen von Diktion, Phrasierung, Verzierungen und Legato beherrscht und das Publikum mit Charisma und blitzenden Spitzentönen vom Hocker reißt. Gar nicht zufällig war es das Verdienst von Callas, Gencer & Co, dass diese bis 1957 völlig vergessene Oper wieder ins Bewusstsein des Publikums wie der Fachpresse rückte. Das Schicksal der abgehalfterten Ehefrau und Königin, die, weil sie der nächsten Anwärterin auf das Bett des Heinrich VIII. den Weg verstellt, vom Gericht kurzerhand wegen vorgeschobenen Ehebruchs zum Tod verurteilt wird, inspirierte Donizetti zu neuen Höhenflügen an so etwas wie dramaturgischer Wahrhaftigkeit. Dabei ist es unerlässlich, dass die Titelrolle vor Tragik und bis zum Wahnsinn wütender Auflehnung gegen das Schicksal trieft, die Stimme als Wunderkasten von den ständig wechselnden Befindlichkeiten der Heroine in pastos aufgetragenen Farben mit ständig changierenden Schattierungen erzählt und die finale vokale Zirkusnummer „Coppia iniqua estrema vendetta“  in aller vokalen Entäußerung fetzt, was das Zeug hält.

Federica Lombardi, die sich in diesem heiklen Fach versucht, ist ein tolle Mozart-Sängerin, beispielsweise eine vom kühlen instrumentalen Ton her ideale Figaro Gräfin. Ihr in der Substanz lyrischer Sopran wartet mit fein gesponnenen Legatobögen auf, kann Piano und auf gepflegte Art und Weise weite Phrasen gestalten. Auf der Sollseite stehen ein kaum belastbares unteres Register, eine wenig verständliche Diktion und mangelnde Wort-Tonverzahnung sowie eine fragil spitze, nicht durchschlagskräftige Höhe. Zudem reicht das Volumen ihres Soprans nicht, um sich im Riesenhaus der Deutschen Oper Berlin gegen Chor und Orchester im dramatischen Schluss erster Akt und im zweiten Akt beispielsweise im Duett gegen die mächtig auftrumpfende Giovanna der Vasilisa Berzhanskaya zu behaupten – wenngleich „Dio che mi vedi in core“ noch die überzeugendste Szene des Abends bleiben wird.

Da nützt es nichts, dass Lombardi „Oh! dove mai ne andarono“ und „Piangete voi“ in nobel verschattetes Rembrandtdunkel taucht, wenn am Schluss der Oper beim stimmlichen Offenbarungseid der Stretta zweimal die Höhe total versagt. Lombardi bleibt auch von der Darstellung her allzu statisch und wirkt zwischendurch wie ferngesteuert. Passion und lodernde Gefühle der Titelheldin, auf die wartet man an diesem Abend vergeblich. Die Schlussfolgerung lautet: Lombardi ist in diesem Fach gehörig fehlbesetzt.

Damit des stimmlichen Ungemachs nicht genug. Was für ein Pech, dass ausgerechnet der stilistisch im Belcanto so sattelfesteste und strahlend höhensichere René Barbera als Lord Riccardo Percy unter einer schweren Erkältung litt, die immer wieder in Hustenanfälle ausartete. Er ließ sich vor der Vorstellung als indisponiert, aber auf dem Weg der Besserung, ansagen. Zudem verdient es alle Bewunderung, wie dieser hoch professionelle Sänger mit einer felsensicheren Gesangstechnik und laserscharfen Projektion trotz aller krankheitsbedingten Einschränkungen beispielhaft vorführte, wie Belcanto funktioniert.

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Federica Lombardi, Riccardo Fassi. Foto: Bettina Stöss

Der junge spielfreudige Bassbariton Riccardo Fassi als Enrico VIII. lieh seinen wohlklingenden, jedoch klein dimensionierten Bassbariton diesem hormongesteuerten, brutalen Machokönig. Statur und Gefährlichkeit der Figur blieben aber, auch wegen einzelner Regiegags, die ihn als einen Clown der Macht denunzierten, weitgehend auf der Strecke.

Die mit Abstand beste gesangliche Leistung des Abends bot die russische Mezzosopranistin Vasilisa Berzhanskaya als Annas Hofdame und Gegenspielerin um die Gunst des Königs Giovanna Seymour. Sie verfügt über einen in allen Lagen gleichermaßen anspringenden, hell getönten, robusten Mezzo, der keine Grenzen in Stimmumfang und Ausdauer zu kennen scheint. Sie kann zudem da punkten, wo es Federica Lombardi zu fehlen scheint: eine komplett aus dem Wort schöpfende hochdramatische Gestaltung der Rezitative, unbändige Leidenschaft und Squillo. Die Spitzentöne platziert sie sicher und mit stählerner Kante.

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Riccardo Fassi, Vasilia Berzhanskaya. Foto: Bettina Stöss

Karis Tucker als unter Folter Anna belastender Page Smeton verfügt über einen aparten Mezzo. Das Hin und Hergerissensein in seinen Gefühlen für seine Chefin gestaltet die Sängerin überzeugend. Warum die Regie aber den jungen Springinsfeld als Musiker und dauernotenschreibenden Komponisten charakterisieren will, bleibt ein Rätsel. In kleineren Rollen waren Padraic Rowan (Lord Rochefort) und Chance Jonas-O’Toole zu hören.

Gehörigen Anteil daran, warum der Abend nicht zündete und kaum je ein Funke übersprang, trug Dirigent Enrique Mazzola. Er trimmte das Orchester der Deutschen Oper auf gleichförmig leise Töne, ließ es in unendlichen Melodien schwelgen und lyrisch differenziert aufspielen. Dramatische Höhepunkte wusste Mazzola hingegen nicht zu nutzen, Spannung und Drive fehlten weitgehend. Der Chor agierte aufgabenadäquat, stand aber wie in einer konzertanten Aufführung bis auf den psychedelischen Schluss und bisweilen guckfensterplatziert kommentierend am Rand des Geschehens.

Im steinern kahlwändigen Einheitsbühnenbild mit fallweise herabgelassener Holzpaneelwand (Ausstattung Gideon Davey) und soften Horrorvideos von Rubi Voigt (aus Wolken sich formende fletschende Hunde, Totenköpfe) plustert David Alden die Aktion mit ironischem Beiwerk (Schirme, metikulös rasentrimmende Gärtner, schwarzlederne Pupplays) unnötig auf. Dagegen fehlt eine Personenregie, die den Namen verdient. Die Beziehung der Figuren zueinander findet kaum eine szenische Entsprechung. Als isoliert kaum verständliche Zutat aus Zürich, wo Donizettis gesamte Tudor-Trilogie zur Aufführung kam (Premiere am Opernhaus Zürich mit Diana Damrau und Karine Deshayes, in den weiblichen Hauptrollen war am 5. Dezember 2021) hat die Regie die Figur der kleinen Elisabeth (Mirabelle Heymann) übernommen. Sie soll die Klammer zu „Roberto Devereux“ bilden, weil Anna Bolenas Tochter später Elisabetta I. und damit die tragische Heldin in Donizettis Liebesdrama sein wird. So geistert sie ohne dramaturgischen Nutzen durch die Szene.

Fazit: Ein Opernabend, der viel versprach und wenig bot. Laue Buhs und lauer Applaus. Schade!

Fotos (c) Bettina Stöß

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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