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Wenn sie nicht will: „L‘amazzone corsara“ bei den Innsbrucker Festwochen

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Hannah De Priest als Gilde und Rocco Lia als Ernando
Wer fürchtet sich vor dem rasenden Dänen-König? Szene mit Hannah De Priest als Gilde und Rocco Lia als Ernando (2. v. re.) plus Statisten in der Inszenierung von Alberto Allegrezza. © Birgit Gufler

Eine Frau steht ihren Kerl: In „L‘amazzone corsara“ von Carlo Pallavicino erliegt Alvilda nicht den Lockungen des Dänen-Königs Alfo. Lieber kreuzt sie als Piratin über die Meere. Den Innsbrucker Festwochen glückt eine kurzweilige Wiederbelebung dieser Barock-Oper.

Die drei schlimmsten Dinge für den Mann? Der Kratzer am SUV, die Bitte ums Viagra-Rezept beim Urologen und die Tatsache, dass sie nicht will. Prinzipiell ist alles bei den Kerlen hormontechnisch begründet, das hat man sogar schon zur Barockzeit verstanden, längst vor medizinischen Revolutionen inklusive Doktor  Freud & Co. Im 17. Jahrhundert tauchten sogar immer wieder Powerfrauen auf den Opernbühnen auf, die sich ums Balzen der Männer null scherten. Insofern ist Alvilda, Königin der Gauten, keine Ausnahme: Statt dem Dänen-König Alfo zu erliegen, kreuzt sie lieber als Piratin über die Meere.

Um weibliche Selbstbestimmung dreht sich also der 1686 in einem kleinen venezianischen Theater uraufgeführte Dreiakter „L’amazzone corsara“ von Carlo Pallavicino (1630-1688). Stück und Komponist, der aus Salò am Gardasee stammt, sind heute vergessen. Das perfekte Kriterium für die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ist dies, wo Hits und bekannte Kost schon immer verpönt waren. Der Zweieinhalbstünder, so der Beweis dieser umjubelten Premiere im Haus der Musik, taugt auch heute tatsächlich für die Bühne. Pallavicino legt mit Textdichter Giulio Cesare Corradi ein hohes Tempo vor. Zwar gibt es viele Arien, die reflektieren, innehalten, Gefühlszustände auch in Gleichnissen ausdrücken. Doch sind das meist nur kurze musikalische Verdichtungen, bevor die Oper zur nächsten Situation jagt.

Drei Paar-Modelle, drei Spielarten der Liebe

Im Grunde geht es im leicht verworrenen Stück um drei Paar-Modelle. Alvilda, die sich von Alfo nicht in eine Beziehung zwingen lassen will. Olmiro, Alfos Bruder, der in Gilde verliebt ist, aber erst ihren unwilligen Papa Ernando überzeugen muss – der auch noch Hofmeister Olmiros ist. Am wenigsten hakt es bei Irena und Delio, ein klassisches Buffo-Dienerpaar, das Erotik weitgehend ungehindert auslebt. Dazu gibt es zeittypische Verwechslungen und Missverständnisse, die immer neue Musiknummern provozieren.

Die zweite Premiere der Innsbrucker Festwochen ist traditionell dem Nachwuchs vorbehalten. Alle Sängerinnen und Sänger haben im vergangenen Sommer mitgemacht beim dortigen traditionellen Cesti-Wettbewerb. Das Niveau, die Premiere führt es vor, muss hoch gewesen sein. Da ist zum Beispiel Hannah De Priest als durchtriebene Gilde. Sie kann ihren Sopran soubrettig funkeln lassen, hat aber auch Potenzial und Farben für Empfindsames. Helena Schuback in der Titelrolle ist stückgemäß ein echter Kerl, gestaltet die Alvilda mit herber Intensität. Julian Rohde bringt für den Alfo einen apart verschatteten, gut fokussierten Tenor mit. Für den Olmiro stand Komponist Pallavicino wohl ein Solist mit hoch entwickelter Atemtechnik zur Verfügung, Shira Patchornik erfüllt das mit Zartbitter-Sopran. Rocco Lia (Ernando) ist kein Polter-Bass, sondern ein junger Stilist. Rémy Brès-Feuillet als Delio mit weich gefasstem Countertenor und Marie Théoleyre als quecksilbrige Irena machen den Ensemble-Spaß komplett.

Produktion mit kleinem Budget und großer Wirkung

Man sieht der Produktion an, dass sie mit kleinem Budget auskommen muss. Regisseur und Ausstatter Alberto Allegrezza reichen drei wandelbare Bühnenelemente vollkommen aus. Die sind mal Bibliothek, mal Spiegelsaal, mal Lustgarten und werden bedient von stummen Domestiken, die sich auch sonst ins Geschehen einmischen. Allegrezza zitiert barocke Bühnengesten. Das ist teilweise amüsant und zuweilen misslich, weil die unterstreichenden, verdoppelnden Aktionen in die Gebärdensprache für Gehörlose driften.

Abgeknickte Handgelenke gibt es ständig zu sehen. Alle Figuren bewegen sich gespreizt bis geziert, als habe sich die Feiermeute des Innsbrucker Christopher Street Days auf die Bühne verirrt. Allegrezza rutscht da manches ins Klischee. Man könnte diese Ästhetik auch mal mit Gewinn brechen – oder auf den Gedanken kommen: So augenzwinkernd bis saukomisch ist das Stück auch wieder nicht.

Trotzdem bleibt man dran in diesen munter servierten Opernstunden. Es gibt tatsächlich keine Durststrecke, weil Musik und musikalische Fraktion durchgängig interessieren. Einen großen Teil trägt dazu das solistisch geforderte Barockorchester:Jung bei mit Partiturenstreichler Luca Quintavalle, der alles vom Cembalo aus leitet. Am Ende, so viel sei gespoilert, finden sich alle Paare. Sogar Alvilda legt das Piratengewand ab zugunsten der monarchischen Robe, von König Alfo mit zufriedenem Tenor-Solo registriert. Thron und Krone sind offenkundig attraktiver als der emanzipierte Amazonenkampf auf hoher See. Späteren Komponisten wäre dazu ein anderes Ende eingefallen.

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