1. Startseite
  2. Kultur

Okka von der Damerau über die Festspiel-Premiere an der Bayerischen Staatsoper: „Tristan wirkt wie das Blut des Hauses“

KommentareDrucken

Okka von der Damerau
„Diese Brangäne ist für mich sehr wichtig“: Okka von der Damerau in der Münchner Neuinszenierung. © Wilfried Hösl

In München ist sie zum Publikumsliebling geworden. Umso bedauerlicher, dass Okka von der Damerau das Ensemble verlässt. Dass sie weiter hier auftreten wird, beruhigt: Die gebürtige Hamburgerin ist schließlich mit das Beste, was die Bayerische Staatsoper zu bieten hat. Auch andernorts ist man darauf aufmerksam geworden: In der nächsten Spielzeit singt sie ihre erste Brünnhilde - in einer neuen Stuttgarter „Walküre“. In der Münchner Festspiel-Premiere von Wagners „Tristan und Isolde“ unter Leitung von Kirill Petrenko ist Okka von der Damerau als Brangäne zu erleben.

Brangäne ist die wichtigste Person. Wenn sie Tristan und Isolde, wie eigentlich befohlen, den Todestrank verabreicht, ist das Stück nach 50 Minuten aus.

Ja, klar. Übrigens wird es in unserer Aufführung sogar einen Trank geben.

Spürt man eine Extra- Portion Magie am Ort der Uraufführung?

Sehr. Mir ist der Uraufführungsort total bewusst. Ich liebe diesen Raum heiß und innig, habe hier immer das Gefühl, dass die Wände die Schwingungen der vergangenen Vorstellungen aufgesaugt haben. Die „Tristan“-Musik wirkt wie das Blut des Hauses. Das andere: Ich mag die Beteiligten sehr, die Kombination von Künstlern. Außerdem findet die Premiere am Ende der Intendanz von Nikolaus Bachler statt, dadurch bekommt sie eine große emotionale Wichtigkeit...

...von der man sich auf der Bühne nicht hinreißen lassen sollte.

Na ja, es gibt einfach viele Schichten. Manchmal lasse ich mehr von mir, mal mehr von der Figur durchscheinen. In der Arbeit schätze ich es, wenn ich von den Kolleginnen und Kollegen inspiriert werde, wenn sie mich also auf eine positive Art aufregen. Und wenn ich mit etwas konfrontiert werde, das ich nicht 100-prozentig richtig finde, muss ich mich entscheiden: Inwiefern trage ich selbst Verantwortung für die Partie und für das, was am Ende auf der Bühne zu sehen und zu hören ist? Oder stehen Regie oder Dirigent in der Verantwortung? Es gibt Kollegen, die sich extrem einmischen. Andere schwimmen eher mit. Ich bin immer in einem Konflikt und entscheide mit der Zeit, was ich abgeben oder wann ich eingreifen muss.

Was ist Ihnen am liebsten?

Das kann ich nicht sagen. Es kommt auf die Beteiligten an. Es ist mir zum Beispiel nicht wichtig, dass jemand nicht dominant ist. Wenn Regisseure etwas zu sagen haben, dürfen sie gern so sein.

Sie haben die Brangäne 2017 mit Riesenerfolg in einer Wiederaufnahme der alten Inszenierung gesungen. Nun die Premiere – ist das eine Genugtuung?

So würde ich es nicht formulieren. Es hat allerdings sehr lang gedauert, bis ich für diese Premiere besetzt war. Ich musste viel Geduld und Demut aufbringen. Wenn das nicht geklappt hätte, weiß ich gar nicht, wie ich reagiert hätte... Diese Brangäne in dieser Produktion ist für mich sehr wichtig.

Wie hat sich die Brangäne seit dem ersten Mal verändert?

Beim Münchner Rollen-Debüt 2017 hatte ich sehr wenige Proben, weil eine andere Isolde geplant war, die dann absagte. Klar, ich konnte mich allein gut auf die Partie vorbereiten. Aber als es an die Proben ging, war vieles zwangsläufig mit heißer Nadel gestrickt. Stimmlich fühlte sich die Lage, in der die Brangäne liegt, anfangs unangenehm an. Ich musste mich erst einmal trauen, die Stimme fließen zu lassen. Im Übrigen habe ich die Partie gar nicht so oft gesungen – in Cleveland und einmal als Einspringerin in Köln. Ich habe irgendwann gespürt, dass sie mir gut liegt und bin daher jetzt mit einer großen Freude herangegangen.

Was ist sie für ein Typ? Eine Art Schwester der Isolde? Oder eine alles kontrollierende Gouvernante?

Anja Harteros und ich waren uns schnell einig, dass wir es als schwesterliche Beziehung empfinden. Es gibt eine große Nähe, aber auch eine Enge – inklusive Neid auf die Privilegiertheit oder Persönlichkeit der anderen. Eine ganz natürliche Beziehung ohne viele Formalitäten.

Verselbstständigt sich ein solches Einverständnis auch – unabhängig vom Regie-Konzept?

Krzysztof Warlikowski ist schon sehr an den Menschen interessiert und beobachtet viel. Von daher war er, so glaube ich, ganz glücklich, wie Anja und ich vorgehen. Es ergab sich vieles von selbst zwischen uns.

Wer darf Ihnen etwas sagen oder Sie kritisieren?

Na, mein Mann. (Lacht.) Ich musste erst lernen, mir von nicht zu vielen Leuten etwas sagen zu lassen. In unserem Beruf ist es doch so, dass man spätestens ab Tag eins des Studiums eingetrichtert bekommt: „Du musst immer kritikfähig sein.“ Ich halte das für problematisch, weil man dazu erzogen wird, zu viele Meinungen zuzulassen. Auch unqualifizierte. Oder qualifizierte Äußerungen von Menschen, die aber nicht so funktionieren wie man selbst. Die nicht verstehen, dass ich etwas schon längst kapiert habe, es aber einfach noch mal ausprobieren muss.

Sie sind ungeduldig?

Ja! Mit Kirill Petrenko ist die Zusammenarbeit auch deshalb so großartig, weil er weiß, wie ich funktioniere. Wir sind uns gar nicht so unähnlich. Wir sehen ja auch aus, wie kurz nach der Geburt getrennt... Im Ernst: Er ist so scharfsinnig, kann schnell korrigieren, und das auf einer sehr hohen Frequenz. Das liebe ich. Wenn dagegen jemand kommt und ewig erklärt, was er meint, obwohl ich es längst begriffen habe, dann kostet mich das Kraft – und ich werde ungeduldig.

Wer hätte gedacht, dass der „Tristan“ in dieser Spielzeit noch vor Publikum gespielt werden darf.

Ich war gerührt, als ich neulich im „Lear“ war und Menschen im Theater sah. Ich liebe diesen Kontakt und wir mussten ewig darauf warten. Es ist einmal mehr bewusst geworden, dass wir es in einer humanitären Gesellschaft brauchen, uns durch die darstellenden Künste seelisch und geistig berühren und bewegen zu lassen. Ich will mich nicht beklagen, weil ich das Glück eines Festengagements hatte und auch einige Vorstellungen und Konzerte gesungen habe, während andere gar nicht arbeiten durften. Es wird mir angst und bange, wenn ich darüber nachdenke, wie es war, als uns auf einmal das Publikum wegbrach.

Haben Sie sich deshalb engagiert in der Aktion „Aufstehen für die Kunst“?

Ich bin grundsolidarisch mit meinen Kollegen, das war schon vor Corona so. Dazu braucht es auch gar keine großen Posts auf Facebook oder Twitter. Ich wusste nur anfangs nicht, wie ich mich in diese Diskussion um die Kulturbranche einbringen soll, gerade weil ich Social Media für völlig überbewertet halte. Ich war froh, dass ich von der Initiative gefragt wurde, deswegen habe ich mich an der Verfassungsklage beteiligt. Die Corona-Folgen werden uns – weit über das Medizinische hinaus – noch sehr, sehr lange beschäftigen. Es ist bei mir eben immer eine Frage des Tagesablaufs, was ich noch unterbringen kann: Sobald meine beiden Söhne größer sind und ich familiär mehr Freiräume habe, werde ich mich noch stärker kulturpolitisch engagieren. Wenn ich was anfange, dann richtig.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Premiere
am 29. Juni (ausverkauft), „Oper für alle“-Übertragung am 31. Juli.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!